Dilettierende BassistenBonner Bundeskunsthalle zeigt Ausstellung über Doppelleben

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Der Besucher geht mit Kopfhörern durch den stillen Ausstellungsraum und klinkt sich ein, wo er mag. 

  • „Doppelleben – Bildende Künstler*innen machen Musik“ heißt die neue Ausstellung in der Bonner Bundeskunsthalle.
  • Darin unter anderem zu sehen: dilettierende Bassisten. Lohnt sich die Schau trotzdem? Wir haben sie besucht.

Bonn – „Er nimmt es ernst, ich finde es interessant, sie dürfen lachen, wenn es sie amüsiert.“ So leitet Garry Moore, Moderator der beliebten amerikanischen Rateshow „I’ve Got a Secret“ (Ich habe ein Geheimnis), im Januar des Jahres 1960 den ersten Fernsehauftritt John Cages an.

Der Avantgarde-Komponist und Fluxus-Künstler führt sein Stück „Water Walk“ auf, schlakst ungerührt vom erst ungläubigen dann brüllenden Lachen des Studiopublikums von Schnellkochtopf zu Badewanne, drückt seine Unterarme auf eine Klaviatur, knautscht eine Gummi-Ente, wirft nonchalant Radiowecker von der Theke. Die Lacher stören ihn nicht im Geringsten, sie sind Teil der Performance.

Ein Geheimnis haben auch die anderen Künstler, die in der Ausstellung „Doppelleben“, kuratiert von Eva Badura-Triska und Edek Bartz, in der Bonner Bundeskunsthalle zusammengeführt werden. Anders als Cage sind die meisten von ihnen vor allem als bildende Künstler bekannt, von Marcel Duchamp bis Hanne Darboven, von A.R. Penck bis Albert Oehlen. In Bonn aber begegnen sie uns durchweg als Musiker. Selten geht es dabei um die romantische Idee vom Gesamtkunstwerk, nie um ein rein hobbyistisches Musizieren zum Ausspannen von der schweren Kunstproduktion.

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Eher um eine Weiterführung der Kunstproduktion mit anderen Mitteln. Es ist eine Binse, dass sich die Kunstsparten im 20. Jahrhundert immer weiter einander angenähert haben: Eine Kunstperformance kann auch Theater, ein Pop-Video Konzeptkunst sein. Die Systeme aber laufen trotzdem getrennt voneinander nach ihren je eigenen Gesetzmäßigkeiten ab, was um so deutlicher zu sehen (und hören) ist, wenn sie im kreativen Missverständnis zusammenfinden.

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Sollten die Ergebnisse auch manches Mal eher enervierend als anregend ausfallen – Doppelleben bedeutet nicht zwangsläufig Doppelbegabung, und erstaunlich viele Künstler dilettieren hier als Bassisten – , die Bonner Schau lässt den Besucher nicht panisch nach dem Galerie-Ausgang schielen. Stattdessen schenkt sie ihm die Souveränität in Form eines Kopfhörers mit Klinkenstecker. Mit diesen flaniert er in der stillen Halle zwischen den von der Decke hängenden Leinwänden, viele von ihnen gleich doppelseitig als Projektionsfläche genutzt, und klinkt sich mal hier mal dort ein: Die Ausstellung funktioniert als eine Art begehbares Youtube, erlaubt gleich dem Videoportal flüchtiges Durchklicken ebenso wie tiefes Eintauchen ins Material. Selbstredend fehlt nicht Laurie Andersons Single „O Superman“: Mit der verrätselten Vocoder-Arie schaffte es die Performance-Künstlerin 1981 bis auf den zweiten Platz der britischen Charts, plötzlich Popstar mit massenkompatibler Avantgarde.

In Deutschland kennt man das Ehepaar Michaela Melián und Thomas Meinecke heute als Künstlerin, respektive Suhrkamp-Autor. Im Jahr 1982 waren sie mit ihrer Band Freiwillige Selbstkontrolle (F.S.K.) in der Sendung „...sagst was’d magst“ des Bayerischen Rundfunks eingeladen, in der ehemalige Angehörige der Außerparlamentarischen Opposition mit Autoren der von Meinecke gegründeten Zeitschrift „Mode & Verzweiflung“ diskutierten. Der F.S.K.-Auftritt lieferte den treffendsten Debattenbeitrag im Generationenkonflikt: „Ab nach Indien/ Geh doch nach Indien!“ rief die Band den Alt-Hippies in deutscher Post-Punk-Kürze zu, schlagender als jedes Bild der Neuen Wilden.

Die – zumindest scheinbare – Unmittelbarkeit von Musik, zumal populärer, übt schon lange starken Reiz auf bildende Künstler aus. Gleich am Anfang der Ausstellung begegnet man dem Vorschlag (aus dem Jahr 1923) des Bauhaus-Künstlers László Moholy-Nagy, das Grammophon nicht als bloßes Reproduktionsinstrument zu nutzen, sondern direkt durch Einritzen auf der Schallplatte zu komponieren, also ohne Umweg über Interpreten und Mikrophonie. Ein Traum von direkter Verstärkung der Kunstproduktion, der bis heute weitergeträumt wird.

Die Grenze zwischen den zwei Leben ist sowieso durchlässig: Die musikalischen Improvisationen, die Anne Imhof zusammen mit drei Künstlerkollegen unter den Namen Beautiful Balance aufführt, sind ebenso cool und heavy wie ihre Performances. Nebenbei: Imhof ist großer Fan der Industrial-Gruppe Throbbing Gristle, die Mitte der 70er aus dem Kunstkollektiv COUM entstand, und die ebenfalls in Bonn vertreten ist.

Durchlässige Grenzen auch bei Yves Klein: Dessen einziges Musikstück, die „Symphonie Monoton-Silence“, besteht aus einem einzigen, lang gehaltenen Akkord und wirkt auf den Zuhörer nicht weniger immersiv als seine monochromen Bilder auf den Betrachter. Die Symphonie entstand 1947, Jahrzehnte bevor amerikanische Komponisten europäische Neutöner mit ihrer Minimal Music vor den Kopf stießen.

Noch faszinierender ist die zeitliche Parallelität zwischen den Performances des schweizerisch-amerikanischen Künstlers Christian Marclay, der Ende der 70er Jahre damit beginnt, Plattenspieler und Vinylplatten zu manipulieren, und der Emanzipation des Turntablisms aus den Anfängen der HipHop-Kultur. Wer ist hier der bildende Künstler, wer der Performing Artist?

In dieser Abgrenzung bleibt die Schau, vielleicht zwangsläufig, unklar. Warum ist Don Van Fliet alias Captain Beefhart vertreten, dessen Malerkarriere doch erst durch sein viel bekannteres Erstleben als Musiker so richtig begann? Warum nicht die zahllosen Musiker, die ihre Pop-Karrieren an der Kunstakademie starteten? Bei aller Freude an der Unmittelbarkeit: Oft genug doppelt Pop doch selbst als Konzeptkunst.

„Doppelleben – Bildende Künstler*innen machen Musik“ bis zum 18. Oktober in der Bundeskunsthalle. Einen Katalog gibt es online:

www.doppelleben-katalog.de

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