Ein Mann der Ordnung

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Im weißen Gewand, an den Füßen die markanten roten Schuhe, sitzt Papst Benedikt am Fenster seines Flugzeugs und blickt gedankenverloren in den leeren Himmel hinaus. Was mag ihm durch den Kopf gehen? Um ihn herum viel Platz im geräumigen Flugzeug, und keiner, der ihn stört. Ein Mann allein über den Wolken, weit weg vom römischen Jammertal, in dem ihm so viele Probleme entgleiten.

Einsam wirkt Joseph Ratzinger oft in Christoph Röhls Film „Verteidiger des Glaubens“, selbst dann, wenn er anlässlich von Empfängen oder Gottesdiensten von seinen Getreuen umgeben ist. Einmal, gerade ist vom schlimmsten Skandal seiner Kirche, dem Missbrauch von Kindern, die Rede, grollt Donner über der Freiluft-Messe, und Benedikt schaut nach oben, als erwarte er wahrhaftig ein Gottesgericht. Nein, wie ein Eiferer, wie ein Inquisitor gar, den mancher im langjährigen Präfekten der Kongregation für die Glaubenslehre sehen wollte, wirkt er da schon lange nicht mehr. Eher wie ein Getriebener, wie einer, der sich aus dem Rampenlicht fort und nach seiner Einsiedlerstube sehnt.

Christoph Röhl hat einen kritischen, in manchen Passagen sogar einen Film gedreht, der ein verheerendes Bild von der katholischen Kirche und ihren Führern zeichnet, aber er verliert niemals die nüchterne Distanz. Sein Panorama, das Joseph Ratzingers Leben einbettet in die neuere Kirchengeschichte, entfaltet er auf sorgfältige, nahezu bedächtige Weise – angefangen bei der Kindheit des späteren Papstes, die der Theologe und Vertraute der Familie, Wolfgang Beinert, als ein Idyll beschreibt, fest verwurzelt in den Traditionen der katholischen Kirche Bayerns und von solch fundamentaler Prägung, dass Ratzinger sein Leben lang an dieser Eltern-Kind-Konstellation als heiligem Modell festhalten wird. Eine Sacra Famiglia im barocken Süden Deutschlands.

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Papst Benedikt XVI. besucht im Sommer 2005 den Weltjugendtag in Köln.

Papst Benedikt XVI. besucht im Sommer 2005 den Weltjugendtag in Köln.

Die kleine Welt von Traunstein, der regelmäßige Messbesuch im Angesicht liturgischer Gemälde und Gegenstände, der Duft des Weihrauchs, die Musik und die feierlichen Gewänder der Würdenträger, all das formierte sich offenbar im Bewusstsein Joseph Ratzingers zum Idealbild einer religiös durchtränkten Schönheit. Die Begriffe Schönheit und Wahrheit stehen eng beieinander in Christoph Röhls Porträt des Mannes, der sich später Benedikt nannte, ein theologisches Geschwisterpaar, das ihn über die Stationen seines Weges aus der bayerischen Provinz ins Herz der katholischen Welt nach Rom leitete.

Die Konzepte von Wahrheit und Schönheit assoziiert Ratzinger unmittelbar als Ausdruck des göttlichen Willens, der sich in seiner, der katholischen Kirche manifestiert, die in ihren Gottesdiensten diese Ordnung feiert. Was aber ist die dem entgegenstrebenden Kraft? Wohl das Irdische, die Wirklichkeit, die alltägliche Realität mit ihren Unzulänglichkeiten, Verfehlungen und Sünden, in die sich in der Vorstellungswelt dieses Verteidigers des Glaubens direkt der Teufel einmischt. Er sei ein Mann der Prinzipien, heißt es in Röhls Film. Menschenkenntnis sei nicht gerade eine Stärke Ratzingers, ebenso wenig wie Wirklichkeitssinn und das Gespür für die überaus profanen Ränkespiele hinter den Mauern des Vatikan, die ihm als Papst zunehmend zu schaffen machten, wobei es Röhl nicht versäumt, auch die andere Seite dieses Charakters zu zeigen – des bestens vernetzten Präfekten der Glaubenskongregation, des machtbewussten Kirchenpolitikers, der noch bis in die Papstwahl hinein seinen Apparat im Griff hat. So leidenschaftlich sich Benedikt mit dem Intellekt in den Sphären der Transzendenz bewegt, so eisern behielt er zugleich die Kontrolle im Kirchenstaat. In dieser Ambivalenz erscheint er dann selbst durchaus als erdverbunden. Ein Verteidiger der himmlischen, aber auch der diesseitigen Ordnung.

Dazu gehören die Bastionen, die er noch im Schatten seines Vorgängers Johannes Paul und mit dessen Hilfe errichtete: Glaubenseliten wie die Legionäre Christi, wie Opus Dei und die Klostergemeinschaft Das Werk – die Reinheit der Lehre, die Bewahrung von Schönheit und Wahrheit sah er wohl vor allem in diesen Bünden verwirklicht, an denen die unübersichtliche Wirklichkeit der Kirche mit Befreiungstheologie, dem Streit um die Rolle der Frauen und demokratische Mitsprache abprallen. Er habe etwas geschaffen, was im Säkularen einer absoluten Monarchie gleiche, sagen im Film selbst getreue Gefolgsleute der Kirche – so wie Röhl überhaupt nur solche Zeugen für seine Dokumentation aufruft, die dem Katholizismus nahestehen. Von dem Jesuiten Klaus Mertes bis hin zur ehemaligen Nonne in „Das Werk“, Doris Wagner, sind es allesamt Vertreter des Glaubens, die sich von den Auslegungen Ratzingers absetzen.

Besonders gilt dies für die Skandale und Krisen, die in seine päpstliche Ägide fallen – von den Korruptions vorwürfen um Marcial Maciel und Kardinal Bertone bis hin zu den Missbrauchsfällen, die die katholische Kirche bis heute erschüttern. Tatsächlich atemberaubend wirkt hier das Versagen des Papstes, mitfühlende, auch nur angemessene Worte für die Opfer zu finden: Nicht sie sind es, um die er sich sorgt – dem Priesteramt als solchem vielmehr gilt seine Aufmerksamkeit, denn es sei dieser heilige Dienst, der nun befleckt sei. Noch 2010 ruft er das Jahr des Priesters aus. Es ist zugleich das Jahr, in dem die Missbrauchsvorwürfe wie ein „Tsunami“ über die Kirche hinwegrollen. So beschreibt Georg Gänswein, Sekretär des Papstes, die Enthüllungen um Kirchendiener, die sich an ihren kindlichen und jugendlichen Anvertrauten vergingen.

Sollte es eine Schwäche geben an Röhls Dokumentarfilm über Ratzinger, dann die, dass man gerne mehr von Ratzinger selbst sehen würde. Es gehört zu den intensivsten Szenen des Films, wenn man ihn etwa in seiner Rolle als Dozent sieht, wie er mit seiner hellen Stimme immer selbstgewisser in den Vortrag findet, die Augen vom Auditorium abgewandt und in eine unbestimmte Weite gerichtet. Auch in diesen Momenten scheint er seine Umgebung zu vergessen. Ein Redner, der sich paradoxerweise in sich selbst zurückzieht – und dem diese selbstgewählte Einsamkeit genügt.

FILM UND DISKUSSION

Bevor der Film am 31. Oktober regulär im Kino startet, ist er an diesem Wochenende am 13. Oktober um 15 Uhr im Kölner Filmpalast sowie am Dienstag, 15. Oktober, um 16.30 Uhr im Rahmen des Filmfestivals Cologne zu sehen.

Am Montag, 14. Oktober, um 19 Uhr, stellt sich der Regisseur Christoph Röhl den Fragen von Joachim Frank, Chefkorrespondent des „Kölner Stadt-Anzeiger“ – Karl-Rahner-Akademie, Jabachstraße 4-8, 50676 Köln.

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