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Eine kleine Kulturgeschichte des DuellsAlpha-Männchen in Waffen

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Duell

Köln – Degen, Pistolen, Uniformen, Sekundanten, Ärzte, das alles im klammen Morgengrauen vor der Stadtmauer? Nichts von alledem kennzeichnete den einstweilen beendeten Machtkampf zwischen Markus Söder und Armin Laschet um die Kanzlerkandidatur der Union. Trotzdem wird diese Auseinandersetzung, die die Partei zu zerreißen droht, immer wieder als „Duell“ bezeichnet. Ist das nur metaphorisch gemeint?

Immerhin werden auch – gleich, wie es ausgeht – keine Schwerverletzten oder Toten auf der Walstatt liegen. Indes könnte an die Stelle des physischen Todes der politische treten: das Ende der einschlägigen Karriere. Das betraf vor allem Armin Laschet: kaum vorstellbar, dass er im Fall einer Niederlage noch lange CDU-Vorsitzender und NRW-Ministerpräsident geblieben wäre. Aber auch diesbezüglich müsste man von Metaphorik sprechen: Der Verlierer stirbt einen lediglich symbolischen Tod.

Ist deshalb die Duell-Metapher abwegig? Keineswegs, vielmehr lassen sich am Kampf zwischen Laschet und Söder Formen und Rituale der Konfliktaustragung beobachten, die archaischen Ursprungs sind, aus der Mythentiefe der Zeiten kommen, an die Geschichtsquellen des „homo sapiens“ führen. Der Kampf der Alphatiere im Reich des Animalischen, der später ins regelhafte Duell testosterongesteuerter Menschen-Männer überführt wurde und sich heute eben als mit Haken und Ösen, mit Intrigen und schlechten Nachreden geführter Kampf um eine politische Führungsposition zeigt – handelt es sich nicht um die Metamorphose eines heute allenfalls zivilisatorisch gebändigten Grundmodells der Vergesellschaftung?

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Gerade die europäische Kulturgeschichte hallt wider vom Waffengeklirr des Duells – und entsprechend tut es die Bildende Kunst, die Literaturgeschichte und – in neuerer Zeit – der Film. Selbst einem so tiefsinnigen Text wie dem „Herr und Knecht“-Kapitel in Hegels „Phänomenologie des Geistes“ liegt als Denkfigur unverkennbar eine primitiv-archaische Duell-Konstellation zugrunde: Der Herr ist deshalb Herr, weil er in einer entscheidenden Situation bereit war, sein Leben zu wagen – während der künftige Knecht um seines physischen Überlebens willen vor der potenziell tödlichen Auseinandersetzung feige kniff. Und deshalb zu Recht bis auf weiteres „Knecht“ ist.

Die Duellkultur im alten Europa – exemplarisch zwischen dem 17. und dem 19. Jahrhundert – eröffnete, so schreibt der Historiker Winfried Speitkamp, „eine Ebene der Regelung gesellschaftlicher Auseinandersetzungen neben dem Recht, aber nicht neben dem Staat und vor allem nicht neben der Öffentlichkeit“. Der sich zum Rechtsstaat entwickelnde moderne Staat unterhielt ein zwiespältiges Verhältnis zur Institution des Duells, das er ob der Durchsetzung seines Gewaltmonopols eigentlich nicht dulden konnte, aber dennoch in einer juristischen Grauzone hinnahm. Lange Zeit jedenfalls, erst die Ära des Ersten Weltkriegs führte zur dauerhaften strafbewehrten Ächtung des Duells.

Alles dreht sich um dien „Ehre“

Warum das so war? Die Imperative einer funktionierenden Staatlichkeit stießen zusammen mit zunächst in der aristokratischen, dann (im 19. Jahrhundert) auch in der bürgerlichen Gesellschaft tief verwurzelten männlichen Rollenbildern, die zentral um den Begriff der „Ehre“ kreisten“ (zu Recht gab die Historikerin Ute Frevert ihrer Kulturgeschichte des Duells den Titel „Ehrenmänner“). Das Duell entsprach aus dieser Perspektive in besonderem Maße dem Zusammenspiel von öffentlichem Bild und individuellem Selbstverständnis: Wer seine „Ehre“ nicht mit der Waffe zu verteidigen bereit war, hatte einen fundamentalen Verlust an Selbst- wie Fremdachtung zu gewärtigen.

In der Dramaturgie von Film und Erzählung hat das Duell, dessen Resultat in der Frühzeit als Gottesgericht interpretiert wurde, oft genug einen kathartischen Effekt: Wenn der Schurke unterliegt, wird zugleich mit der verletzten Ehre ein Riss in der Weltordnung geheilt. Der für den Bösewicht Valmont tödlich verlaufende Schusswechsel in Choderlos de Laclos’ „Liaisons dangereuses“, die grandiose einschlägige Sequenz in „Spiel mir das Lied vom Tod“ – hier wird das Duell in der Tat zum säkularisierten Gottesurteil.

Sturz in die finale Katastrophe

In anderen Zusammenhängen aber gerät es zum exakten Gegenteil: Das Duell zwischen Innstetten und Crampas in Fontanes „Effi Briest“, das von Schnitzlers Leutnant Gustl im Inneren Monolog alptraumhaft vorwegimaginierte Duell mit einem Bäckermeister – beide haben im Kunstraum der Autoren keinerlei „reinigende“ Wirkung und auch nicht mit „gut“ und „böse“ zu tun. Bei Fontane beschleunigt der Tod von Crampas den Sturz des Romans in die finale Katastrophe. Fragwürdige soziale Ehrbegriffe, wie sie in einer durchmilitarisierten Gesellschaft dominieren, und die fehlende Kraft des Einzelnen, sich von ihnen zu lösen, signalisieren vielmehr hier wie dort die radikale Kritik weniger am Duell als solchem denn an einer sozialen Ordnung, die solcher Rituale der Konfliktbewältigung zu bedürfen scheint. In Thomas Manns „Zauberberg“ schließlich gerät Naphtas und Settembrinis Duell zur pseudoheroischen Posse, zur Blamage des Geistes vor dem Leben.

Die domestizierte Form aktueller Duelle hat auch zu einem Gestaltwandel geführt: Lautete im Wilden Westen die entscheidende Frage: Wer zieht schneller?, so kam im Fall von Söder und Laschet eher das Mikado-Prinzip zur Geltung: Wer sich zuerst bewegt (sprich: nachgibt), hat verloren. Das Verbindende zwischen „alten“ und „neuen“ Duellen ist indes offensichtlich: Die Rutsche von der Erhabenheit über die Fragwürdigkeit hinunter zur Tragödie wie zur Farce ist steil. Was soll man von Männern halten, die um ihrer persönlichen Machtinteressen willen bereit sind, die Politik zu zerstören, für die sie angeblich stehen?

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