Eklat bei PEN-TreffenWie die Autorenvereinigung ihren peinlichen Tiefpunkt erreichte

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Deniz Yücel, kurz vor seinem Rücktritt als PEN-Präsident 

Gotha – „Wir sind doch kein Ponyhof“ – den auf das diskussionsfreudige deutsche PEN-Zentrum gemünzten Ausspruch tat ein altgedientes Mitglied nach einigen erregten Debatten schon bei der Jahrestagung 2017 in Dortmund.

Dabei war das Treffen in Westfalen, verglichen mit der am Wochenende im thüringischen Gotha mit einem Eklat zu Ende gegangenen Mitgliederversammlung, eine brave Routineveranstaltung überwiegend arrivierter Literaten mit Ehrungen, Preisverleihungen und vielen Reden.

Tiefpunkt mit Buh-Rufen und Beschimpfungen

Gotha wird in die an öffentlich ausgetragenen Kontroversen reichen Geschichte der Schriftstellervereinigung als beispielloser Tiefpunkt eingehen. Die zerstrittene Versammlung startete schon mit Buh-Rufen und wechselseitigen Beschimpfungen, und die aufgeheizte Stimmung beherrschte die zehnstündige Tagung bis zur letzten Minute.

Der Paukenschlag kam, als der Abwahlantrag der Gegner von Präsident Deniz Yücel mit knapper Mehrheit abgeschmettert worden war, Yücel also formal im Amt bestätigt  worden war. Den schwachen Vertrauensbeweis empfand Yücel,  erst im vergangenen Oktober auf den Schild gehoben, offenbar als Schmach. Er trat als Mikrofond und warf völlig unerwartet hin, und mit ihm erklärte das gesamte Präsidium seinen Rücktritt. Dann erklärte Yücel auch gleich noch seinen Austritt  aus der altehrwürdigen Vereinigung und entschwand.

Die Anwesenden rangen um Fassung

Die Anwesenden beider Fraktionen – die einen forderten entschieden Yücels Verbleiben im Amt, die anderen nicht minder kämpferisch seinen Abtritt – rangen im Saal der Kreisbibliothek noch um Fassung, als Yücel per Twitter längst seine Sicht der Dinge erläuterte. 

Er, der sich kurz zuvor im Sitzungssaal selbst als ein „Geschenk für den PEN“ stilisiert hatte, wolle nicht länger an der Spitze einer „Bratwurstbude“ stehen, und er habe es nicht nötig, sich  für einen Verein von „Spießern und Wichtigtuern  Ü 70“ zu engagieren, „die ihre Mitgliedschaft als Ausweis der eigenen Zugehörigkeit zur publizistischen oder literarischen Elite brauchen“. Sein Credo in Gotha: „Take it or leave it,  PEN!“

Machtkampf tobt seit Wochen 

Schon seit Wochen wird die Autorenvereinigung von einem Machtkampf erschüttert, der ihr weit mehr Aufmerksamkeit beschert als zu normalen Zeiten. Dafür gibt es im Wesentlichen zwei Auslöser: Die Äußerung des „Welt“-Journalisten bei der lit.Cologne im März zum russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine und Yücels als  „herrschsüchtig“ und zuweilen „rüpelhaft“ kritisierter Führungsstil.

Bei dem Kölner Literaturfestival hatte er sich für eine Flugverbotszone und damit für ein direktes militärisches Eingreifen der Nato ausgesprochen - was in weiten Teilen der 770 deutschen PEN-Mitglieder Unverständnis auslöste, bei vielen auch hellen Aufruhr. Yücel wurde vorgeworfen, „die Befugnisse des dir erteilten Mandats überschritten und überdies gegen die Charta des Internationalen PEN verstoßen“ zu haben. Darin heißt es etwas wolkig, der Autorenverband sei „verpflichtet, mit äußerster Kraft für das Ideal einer im Frieden lebenden Menschheit zu wirken“.

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Gerade auf dieses Bekenntnis haben sich im Vorfeld der Jahrestagung die Unterstützer von Yücel berufen. Einen PEN-Präsidenten zum Rücktritt zu drängen, weil er von jener Freiheit Gebrauch mache, „die zu verteidigen doch Kernanliegen unseres Vereins ist“, widerspreche eben jener Charta.

Eine Gruppe von gut 50 Mitgliedern, darunter die ehemaligen fünf Präsidenten nämlich Gerd Heidenreich, Christoph Hein, Johano Strasser, Josef Haslinger und Regula Venske, warfen in einem schor vor Gotha bekannt gewordenen Papier Yücel einen „autoritären Führungsstil“ vor. Der passe ins 19. Jahrhundert, nicht aber „in eine Menschenrechtsorganisation im Zeitalter flacher Hierarchien“.

Ein eitler Egomane?

Ganz offenkundig wollte Yücel, von Kollegen bei der „taz“ und der „Welt“ als „eitler Egomane“ beschrieben, zwei ihm nicht genehme Präsidiumsmitglieder loswerden. Seit Monaten kursieren Mails, von denen der „Kölner Stadt-Anzeiger“ Teile einsehen konnte, in denen von einer „tiefgreifende systemische Störung des Anstands und der Würde unserer Vereinigung“ durch die PEN-Leitung die Rede ist.

Als Yücel im vergangenen Herbst gewählt wurde, sahen seine Befürworter in ihm den geradezu idealen Kandidaten, weil er durch seine unrechtmäßige Inhaftierung in der Türkei das Anliegen des PEN, für verfolgte Autoren einzutreten, besonders authentisch verkörpere. Auch in Gotha wurde zu seinen Gunsten ins Feld geführt, das PEN sei in der Öffentlichkeit so präsent wie lange nicht mehr.“

Um die Krise vorläufig zu entschärfen, wurde der österreichische Schriftsteller Josef Haslinger als Interimspräsident gewählt.  Er hatte den deutschen PEN schon von 2013 bis 2017 geführt und zählte jetzt pikanterweise zu den Unterstützern einer Ablösung von Yücel.

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