FotografieAller Wasser König – Das „Rheinprojekt” von Stephan Kaluza

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Die Fotos des Projekts von Stephan Kaluza sind 2007 in dem Bildband „Der Rhein” im DuMont Buchverlag erschienen.

Die Fotos des Projekts von Stephan Kaluza sind 2007 in dem Bildband „Der Rhein” im DuMont Buchverlag erschienen.

  • Mit „Das Rheinprojekt” (complexe 1) von Stephan Kaluza beenden wir die diesjährige "Mein Kanon"-Reihe

Köln – Meine Sehnsucht nach dem Rhein hatte etwas mit Heimweh zu tun. Nichts gegen die Spree, deren bedächtigen Lauf durch die Hauptstadt ich schon seit sechseinhalb Jahren verfolgte. Manchmal hatte ich den Eindruck, die Spree fließe rückwärts, so langsam und unaufgeregt bewegte sie sich fort. Ganz anders als dieser mythisch-aufgeladene, mächtige Strom zu Hause im Rheinland, aller Wasser König.

2007 ging meine Zeit als Journalist in Berlin zu Ende, meine Frau und mich zog es mit unserer anderthalbjährigen Tochter zurück in die Heimat. An einem der letzten Tage in der Berliner Redaktion wurde ich auf folgende Nachricht aufmerksam: Der Düsseldorfer Fotograf Stephan Kaluza hatte sich zum Ziel gesetzt, den Rhein komplett von der Quelle bis zur Mündung zu dokumentieren. Als erster Künstler wollte er mit seinem „Rheinprojekt” den gesamten Fluss abbilden. Ich war fasziniert und fortan ein Fan von Kaluzas künstlerischem Ansatz: Bildliche Komprimierung, um Komplexität sichtbar zu machen.

Kaluza hat den Rhein von der Quelle am Pia Badus in der Schweiz bis zur Mündung in die Nordsee bei Rotterdam in knapp acht Monaten erwandert. Ein Fußweg von 1620 Kilometern, immer am rechten Rheinufer entlang. Im Minutentakt, alle 70 bis 90 Meter, hat er das gegenüberliegende Ufer fotografiert. Diese Spanne zwischen den Fotostopps entspricht exakt dem Wahrnehmungsraum, den das menschliche Auge erfassen kann. Auf diese Weise hat der Künstler das linke Ufer des Rheins in 21.500 Einzelfotos lückenlos dokumentiert. Würde man alle Aufnahmen digital hintereinander montieren, entstünde eine Fotostrecke von vier Kilometern, bei einer Höhe von 15 Zentimetern.

Kaluza ist auch Maler und Autor, doch vor allem das „Rheinprojekt” hat ihn deutschlandweit bekanntgemacht. Vom „Zeit Magazin” wurde er „Der Flussläufer” getauft, was ich sehr treffend finde. Denn gerade die Fußläufigkeit ist Grundvoraussetzung für Kaluzas Bildästhetik. Nur die Langsamkeit der Bewegung erlaubt diese Intensität von Wahrnehmung, wie sie die Bildreihe widerspiegelt. Es sind vor allem die Kontraste zwischen Idylle und Industrie, die mich beeindrucken. Hässliche Fabrikanlagen und monotone Kaimauern hat Kaluza ebenso eingefangen wie liebliche Weinberge. Alle Aufnahmen sind gleichrangig nebeneinander gestellt. Details wie vorbeiziehende Schiffe, Buschwerk und Uferpromenaden können vom Betrachter fixiert werden. Beinahe beiläufig wird zudem die Veränderung der Vegetation am Rhein im Lauf der Jahreszeiten erfasst.

Kaluzas Blick auf den Rhein ist eine Auseinandersetzung mit Zeit und Raum. Er schafft für die Fotografie das, was zuvor der Malerei vorbehalten war: die Perspektive auf das große Ganze. Vor der Digitalfotografie wäre ein solches Projekt übrigens undenkbar gewesen.

Auf eines der 21.500 Uferbilder werfe ich jeden Morgen einen Blick, wenn ich mein Büro betrete. Nein, es ist eben nicht ein Teil des Kölner Rheinpanoramas. Es zeigt den Orsoyer Rheinbogen, ein Naturschutzgebiet entlang des Niederrheins. Das Foto gibt mir Halt und motiviert mich zugleich. Es beruhigt meine Sehnsucht, die immer noch da ist. Ganz ohne Heimweh.

Neues Thema

Mit diesem Beitrag von „Kölner Stadt-Anzeiger”-Chefredakteur Carsten Fiedler endet unser Kanon 2017 über Kunstwerke. Uns begegneten in diesem Jahr Gemälde berühmter Künstler wie Sandro Botticelli, Jan Vermeer, Caspar David Friedrich, August Macke und Paul Gauguin. Doch auch die Totenmaske des Tutanchamun, der Isenheimer Altar und das Plattencover zu David Bowies Album „Heroes” fanden sich in unserer Kolumnenreihe. Auffällig war, dass Kunstwerke, die es in den persönlichen Kanon der „Kölner Stadt-Anzeiger”-Mitarbeiter schafften, häufig mit Kindheitserinnerungen zusammenhingen.

Und auch wenn „Mein Kanon” über Kunstwerke nun endet, geht unsere Reihe in der gedruckten Ausgabe und im E-Paper des „Kölner Stadt-Anzeiger” (hier geht es zum Abo-Shop) doch weiter. 2018 werden wir uns der Lyrik zuwenden. (ksta)

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