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Frank Spilker von „Die Sterne“„Deutschland ist nicht das beste Land der Welt“

Lesezeit 9 Minuten
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Frank Spilker während des Interviews im Hallmackenreuther in Köln.

Köln – Frank Spilker, geboren 1966 in Bad Salzuflen, gründete 1992 in Hamburg zusammen mit dem Bassisten Thomas Wenzel, dem Keyboarder Frank Will und Schlagzeuger Christoph Leich „Die Sterne“. Wenzel und Leich sind bis heute mit dabei.

Zu den bekanntesten Songs der Sterne zählen „Universal Tellerwäscher“ und „Was hat dich bloß so ruiniert“. Spilker ist verheiratet, hat zwei erwachsene Kinder und lebt in Hamburg. Am 15. Februar spielen „Die Sterne“ in der Kölner Kulturkirche, das Konzert ist ausverkauft.

Herr Spilker, Sie sind im vergangenen Jahr 50 Jahre alt geworden, in diesem werden „Die Sterne“ 25. Was sehen Sie im Rückspiegel, wenn man beruflich Silberhochzeit feiert?

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Drei Viertel aus der Anfangszeit der Band sind noch mit dabei. Wir machen das also wirklich schon ziemlich lange mit dem Team, ohne dass es einem irgendwann mal unangenehm aufgefallen ist. So stelle ich mir ein gutes Firmenjubiläum vor.

Wissen Sie noch, was in Ihrem Leben los war, als Sie Sterne-Songs wie „Universal Tellerwäscher“ oder „Fickt das System“ getextet haben?

Ich habe ein paar Momente im Kopf, die damit zu tun haben, wie Erinnerung funktioniert. Man speichert Bilder zu Situationen ab, und vielleicht idealisiert und stilisiert man die dann auch im Nachhinein.

Als „Universal Tellerwäscher“ entstanden ist, war ich in einer völlig überfüllten Junggesellenbude. Wahrscheinlich mit einem Vierspur-Kassettenrekorder, vielleicht auch mit einem Tonband. Neben Zetteln, Stift und Gitarre habe ich vor allem die Technik vor Augen, die damals am Start war. Wir hatten Zeitdruck, ein Song musste unbedingt noch auf die Platte. Ich habe „Universal Tellerwäscher“ alleine produziert, erst danach haben wir das Stück zusammen geprobt.

Welche Fragen stellen Sie heute an das eigene Werk? Und sind die Antworten, die Sie bekommen, andere als noch vor fünf, zehn oder fünfzehn Jahren?

Ich wundere mich darüber, wie wenig entfremdet ich von frühen Songs bin. „Schnorrvögel“ zum Beispiel ist ein Song vom Album „Posen“ aus dem Jahr 1996. In dem Text beschreibe ich Alltagsszenen aus dem Hamburger Schanzenviertel. Es ist eine Beobachtung ohne große Analyse.

Damals dachte ich, dass das vielleicht nicht genug ist. Im Nachhinein denke ich, dass es gerade die großen Lücken im Bewusstseinsstrom des Textes sind, die den Song stark machen. Uns ging es von Anfang an darum, in deutscher Sprache eine andere Form von Popsong zu schreiben. Ich sehe mich dabei gerne als beobachtendes Subjekt, das eine typische Lebenswirklichkeit beschreibt.

Als ich „Universal Tellerwäscher“ geschrieben habe, waren fast alle in meiner Generation Praktikanten. Man hatte die schöne Fantasie, dass daraus Jobs werden.

Wofür stand die Band, wofür steht sie noch immer?

Im HipHop der 90er gab es das Modewort „Edutainment“. Das bedeutet, dass man sich nicht entscheiden muss zwischen Unterhaltung und Hochkultur. Man muss nicht rebellieren, um sinnhaft zu sein. Das ist eine Vorstellung, die mir gut gefällt. Um diesen Zwischenbereich zu füllen, haben wir für uns die Taktik des rhythmisierten Popsongs mit nicht banalem Inhalt entwickelt.

Bei den „Sternen“ haken sich Geist und Groove beherzt ein.

Das behaupte ich ungern. Aber ich gebe gerne damit an, wenn andere das so empfinden. Im besten Fall sind die Texte der Sterne lehrreich. Sie sind ein Angebot, selber mit dem Denken weiterzumachen.

„Facebook wird das klassische Marketing nicht ersetzen“

Wenn zwischen den Ohren unserer Fans was passiert, wenn sie uns hören und wenn sie dabei weder überfordert noch gelangweilt sind, ist das gut. Unser Nörgeln ist vielleicht auch gleichzeitig der Grund für unseren dauerhaft mittelmäßigen Erfolg. Viele Leute wollen das nicht hören, aber künstlerisch finde ich es interessanter als gängige Klischees zu bestätigen.

Wie aktiv sind Sie in den sozialen Medien?

Auf der persönlichen Ebene halte ich auf Facebook Kontakt zu meinen Freunden. Was die Arbeit für die Band angeht, sehe ich das als Job. Ich glaube nicht daran, dass Facebook klassisches Marketing ersetzt.

Dass man mit Facebook, Twitter und Youtube alles selber machen kann, halte ich für eine Illusion. Für nachhaltige mediale Aufmerksamkeit braucht man ein Team. Den jungen Leuten von heute verkauft man eine euphorische Lebenslüge: Sei möglichst originell – und schon profitierst auch du vom Kapitalismus.

Wenn man Facebook und Twitter als gesellschaftlichen Seismograph versteht, dreht der zuverlässig durch, wenn es um Integration, Flüchtlinge und den Islam geht. Was läuft falsch, wenn immer mehr Menschen so wenig Empathie empfinden?

In meinem Freundeskreis, sowohl im echten wie im virtuellen, sind hauptsächlich Menschen, die meine Ansichten teilen. Das ist auch ein Teil des Problems, man lebt in seiner Glocke. In meinem Umfeld ist es die bucklige Verwandtschaft, die auf einmal rechte Positionen vertritt.

Für Onkel und Tanten war ich früher der linksradikale Hippie und Langzeitstudent. Heute bin ich der Außenseiter, wenn ich der Position etwas abgewinnen kann, die Angela Merkel in der Flüchtlingsfrage vertritt.

„Bei Tim Bendzko ist nach wenigen Zeilen klar: Da ist nichts, und da kommt auch nichts“

„Was hat dich bloß so ruiniert“ ist eine Frage, die in diesem Zusammenhang eine ganz neue Relevanz bekommt. Den Songtitel kann man aktuell vielen Leuten entgegenschleudern.

Wenn Horst Seehofer versucht, die ganzen Nazis in die CSU zurückzuholen, verstehe ich das nicht. Es bleiben ja Nazis.

Ist es in diesen Zeiten schwieriger geworden, Humanist zu sein?

Nein, ich finde nicht. Neorechte und völkische Positionen haben nichts mit den äußeren Verhältnissen zu tun. Sie sind angetrieben von Ängsten, die da am stärksten sind, wo es gar keine oder nur geringe Migration gibt.

Wer die demografischen Verhältnisse kennt, weiß, dass es in Deutschland nicht ohne Zuwanderung geht, wenn die Renten weiter bezahlt werden sollen. In den Medien wird auch gar nicht verhandelt, dass viele Flüchtlinge nicht dauerhaft hier bleiben wollen.

Es ist nicht so, dass Deutschland das beste Land der Welt ist. Viele Syrer würden in ihr Land zurückgehen, sobald auf ihre Städte keine Bomben mehr fallen.

Falls man sich diesen Beruf überhaupt aussucht: Haben Sie es jemals bereut, Künstler geworden zu sein?

Das bereut man immer wieder, wenn es finanziell nicht gut läuft. Es ist ein Job ohne Netz und doppelten Boden. Was ich immer sage: Der Job als Künstler passt zu mir. Auch in schlechten Zeiten denke ich, dass ich mich langweilen würde, wenn gar nichts passiert – und damit meine ich nicht nur den finanziellen, sondern auch den kreativen Aspekt.

Indie-Musik und das, was wir machen, ist die Schaumkrone auf den großen Wellen. Fette Umsätze haben früher die Céline Dions gemacht, heute machen ihn die Helene Fischers dieser Welt.

„Sterne“-Songs werden bei Konzerten silbengenau mitgesungen. Bedauern Sie, dass es mit einem Album nie für eine Nummer eins in den Charts gereicht hat?

Als Band haben wir die Schwelle nie erreicht, die dazu nötig ist, damit eine große Plattenfirma sagt „Okay, das treiben wir jetzt mal auf die Spitze.“ Dazu gehört ein entsprechendes finanzielles Engagement, da muss man die mediale Aufmerksamkeit steuern, damit man für den Zeitraum einer Woche am meisten verkauft, und man muss auch unbedingt darauf achten, wer sonst zu diesem Zeitpunkt ein neues Album veröffentlicht.

Was müssen Sie noch tun zum Gelderwerb, um genug für Miete und Mohnbrötchen zu haben?

Gar nicht so viel, ich diversifiziere ein bisschen. In letzter Zeit schreibe ich häufiger Texte im journalistischen Bereich. Für „Nido“, den Ableger des „Stern“ für Eltern, habe ich zwei Kindergeschichten geschrieben.

Meine Kinder sind 21 und 19, also erwachsen. Aber ich kann mich gut daran erinnern, wie es war, ihnen Geschichten vorzulesen. Für Byte FM mache ich Radio. Das hilft mir auch, musikalisch am Ball zu bleiben. Und ich arbeite zurzeit gerade an einem Hörspiel, das für WDR 3 produziert wird. Das ist alles an- und aufregend, ich mag gerade die Sachen sehr gerne, die ich nicht schon seit 25 Jahren mache.

Auf „Mach’s besser“, dem Album zum 25. Geburtstag der Sterne, covern Vorbilder, Wegbegleiter und musikalischer Nachwuchs 25 „Sterne“-Songs. Ist das ein Kniff, um der eigenen Musealisierung zu entgehen?

Es ist eine von vielen Varianten, einen Geburtstag zu begehen. Wir wollten uns covern lassen, weil das für uns ausdrückt, dass es nicht nur um die eigene Band geht. Sondern auch um Geistesverwandtschaften, eine Szene, eine Gemeinschaft und, am wichtigsten, gegenseitige Wertschätzung. Wenn man drei Generationen von Musikern für „Sterne“-Songs begeistern kann, zeigt das, dass man nicht an Relevanz verloren hat.

Wie kam die Auswahl für das Cover-Album zustande?

Nachdem wir uns das Konzept überlegt hatten, gingen die Anfragen früh raus. Wir haben eine Liste angelegt, und da konnte man sich eintragen, welche Songs man covern wollte. Das Ganze haben wir dann moderiert. Es gab eine Dopplung, bei der wir entschieden haben. „Scheiß auf deutsche Texte“, das wollten wir unbedingt als Cover von Egotronic.

Was passiert, wenn man die eigenen Songs verleiht?

Es ist wundervoll, wenn man mal zurücktreten kann. Die eigenen Songs als Konsument zu erleben, ist eine tolle Erfahrung. Wenn man sich die eigene Performance anhört, entdeckt man immer Fehler oder etwas, das man nicht mag. Das fällt völlig weg, wenn andere Musiker sich deine Lieder zu eigen machen. Ich habe die Songs noch nie so klar als Songs vor Augen gehabt wie bei diesem Cover-Album.

Hat sich keiner an „Was hat dich bloß so ruiniert“ getraut?

Jan Delay wollte das machen, hatte dann aber doch keine Zeit. Es gibt aber bereits Coverversionen von „Was hat dich bloß so ruiniert“. Ich empfehle das Cover von Metallspürhunde, einer Schweizer Synth-Rock-Band. Das ist ganz skurril.

Welches Cover hat Sie am meisten überrascht?

„Bis Neun bist du O.K.“ ist toll geworden. „Naked Lunch“ aus Österreich singen in dem Song zum ersten Mal auf Deutsch.

Bands wie „Die Goldenen Zitronen“, „Blumfeld“, „Tocotronic“ und „Die Sterne“ natürlich waren, respektive sind, nörgelig, bei Bedarf wütend und nicht einverstanden mit den Verhältnissen. Woran liegt es, dass dies Sängern wie Tim Bendzko, Mark Forster, Andreas Bourani oder Max Giesinger komplett abgeht?

Was man Positives darüber sagen kann ist, dass es nicht mehr verschleiert wird hinter schlechten englischen Texten. Es sind schlechte deutsche Texte. Bei Tim Bendzko ist nach wenigen Zeilen klar: Da ist nichts, und da kommt auch nichts.

Ich kann mich allerdings nicht aufregen über Xavier Naidoo und die „Söhne Mannheims“, die zuverlässig junge Christen abholen. Die Leute, die so etwas hören, sind in der Mehrheit. Ich habe immer Minderheitenmusik gemacht, und ich habe das immer gern getan.

Welche Risiken und Nebenwirkungen hat das Älterwerden auf Tour?

Hexenschuss! Ganz schlimme Sache. Ist mir auf der letzten Tour passiert. Kann was mit normalen Verschleißerscheinungen zu tun haben, eventuell auch mit mangelnder Vorbereitung. Kein Sport und so.

Mit starken Schmerzmitteln konnten wir dann weitertouren. Ich weiß jetzt, dass wir uns vor der nächsten Tour besser vorbereiten sollten. Als Trainingsprogramm gehe ich vielleicht zwei-, dreimal schwimmen.

Im Song „Das bisschen besser“ heißt es „Es hat keinen Sinn zu warten, bis es besser wird/ Das bisschen besser wär das Warten nicht wert“. Worauf warten Sie trotzdem noch?

Dass es besser wird. Ohne Hoffnung würde ich nicht leben wollen, dann kann man sich wirklich gleich erschießen.

„Mach’s Besser: 25 Jahre Die Sterne“ erscheint am 10. Februar bei Materie Records.

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