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Frederic Wake-Walker im Interview„Jede meiner Produktionen spielt im Hier und Jetzt“

Lesezeit 6 Minuten
Kirchenbänke für „Peter Grimes“ – und der Regisseur Frederic Wake-Walker zwischen ihnen.

Kirchenbänke für „Peter Grimes“ – und der Regisseur Frederic Wake-Walker zwischen ihnen.

Mister Wake-Walker, Sie sind in der Britten-Sphäre aufgewachsen. Ihre Mutter war in der Britten-Pears Foundation Sekretärin, Sie selbst haben als Knabensopran bei Aufführungen seiner Opern in Aldeburgh mitgewirkt. Also: Wer und wie war Benjamin Britten?

Na ja, als er – 1976 – starb, war ich noch nicht geboren. Aber ich habe Peter Pears [Brittens Lebenspartner, d.Red.] und andere aus seinem unmittelbaren Umfeld kennengelernt. Er war, das ging in Aldeburgh gar nicht anders, omnipräsent , für mich ein imaginärer Großvater – sehr streng, sehr fordernd, sehr sensibel. Ein toller Lehrer, vor dem man schon Respekt hatte.

Was haben Sie von ihm wie indirekt auch immer gelernt?

Alles zum Thema Musik

Ich habe gelernt, auf welche Weise Musik dramatisch sein kann, wie diese Spannung zwischen Musik und Drama auf die Bühne kommt. Und Brittens Kinderoper „Noye’s Fludde“, die ich bereits inszeniert habe, hat mir gezeigt, wie man als Künstler „inklusiv“ sein und zugleich strengsten Qualitätsanforderungen genügen kann. Und was ich mich immer wieder frage: Wie kann ein Mann mit einer derart „zivilisierten“ Klangsprache, mit dieser Neigung zum Weichen und Schönen so schreckliche Stoffe und Ideen in seinen Opern bearbeiten?

„Peter Grimes“ ist eigentlich die erste englische Oper seit Henry Purcell. Sie entstand 1945, im Jahr des Kriegsendes, nahezu voraussetzungslos. Das waren ziemlich irre Bedingungen...

Das kann man wohl sagen. Sehen Sie, die Uraufführung war am 7. Juni 1945, ein Monat nach der deutschen Kapitulation. Das hat meine Produktion stark beeinflusst. Wir verlegen das Stück nicht in diese Zeit, aber deren Stimmung ist schon drin.

Regisseur und Premiere

Frederic Wake-Walker, im ostenglischen Aldeburgh geboren, arbeitet als Regisseur, Produzent und Kurator von Opern und multidisziplinären Künsten. Zu seinen neueren Regiearbeiten gehören Mozarts „La finta giardiniera“ (Glyndebourne Festival), HK Grubers „Gloria – A Pigtale“ (Royal Opera House, Bregenzer Festspiele, Buxton Festival), Händels „Jephta“ (Buxton Festival) und Strawinskijs „Renard“ (Konzerthaus Berlin). Als Künstlerischer Leiter der Mahogany Opera Group inszenierte Wake-Walker unter anderem Brittens „Church Parables“ (in St. Petersburg und auf Großbritannien-Tour). Wake-Walker lebt in Berlin.

„Peter Grimes“ ist seine erste Kölner Arbeit. Premiere ist am Sonntag, 18 Uhr, im Saal 1 des Staatenhauses. Die Titelpartie singt Marco Jentzsch, es spielt das Gürzenich-Orchester unter Nicholas Collon. (MaS)

„Peter Grimes“ ist übrigens nicht Brittens erste Oper, im US-Exil entstand bereits „Paul Bunyan“. Ich höre in „Peter Grimes“ auch diese amerikanische Zeit mit. Da gibt es, etwa in den Chören, viel Musical Theatre, viel Copland und so weiter. Die Musiksprache ist ja auch bekömmlich, dem Hörer zugewandt.

Aber die Epochenzäsur 1945 hat sich dem Werk eingeschrieben?

Ja, ich denke und empfinde das so. Dieser Ort am Meer, wo die Oper spielt, ist gleichsam das Ende einer Welt. Und diese Welt ist verloren, die Strukturen, die sie stabilisieren sollen – Kirche und Justiz –, sind kaputt. Diese Fischer – sie bilden eine arme, enge Gesellschaft, die ihre Aggressionen dann an einem noch ärmeren Außenseiter abreagiert.

Spiegelt sich in Grimes’ Außenseitertum das des Komponisten?

Ich denke schon. Es war ja erstaunlich, dass er überhaupt den Auftrag zu „Peter Grimes“ bekam – viele Briten lehnten ihn damals ab, weil sie seine Emigration und seinen Pazifismus als Drückebergerei verachteten. Seine Homosexualität war ein weiterer Grund für Ausgrenzung. Das Motiv drängt sich übrigens in „Peter Grimes“ nicht auf, es verschmilzt mit dem Status von Grimes als Außenseiter.

Stichwort Außenseiter. Da gibt es immerhin unübersehbare Affinitäten zwischen „Peter Grimes“ hier und „Othello“ und „Wozzeck“ dort.

Auf jeden Fall, das Lied „Now the Great Bear“ aus dem ersten Akt etwa gemahnt an Verdi, und bei Alban Berg wollte Britten ursprünglich studieren – wozu es dann nicht kam. Am Beginn des dritten Akts höre ich jedenfalls sehr viel Berg und „Wozzeck“.

Gegenüber der Vorlage – George Crabbes Verserzählung „The Borough“ – ändern Brittens Librettist und er selbst ja bezeichnenderweise die Konstellation: Bei Crabbe ist Grimes schuld am Tod des ersten Lehrjungen, bei Britten handelt es sich um einen Unfall.

Na ja, ganz unschuldig ist er auch bei Britten nicht, er rückt ihn in eine Perspektive der Ambiguität. Auch der Zuschauer weiß nicht genau, was passiert ist. Aber es sind die anderen, die das Vieldeutige zu Grimes’ Ungunsten vereindeutigen und darüber in eine Pogromstimmung geraten. Und die Gegenkräfte – der Richter etwa – sind zu schwach und unentschieden, um dem Einhalt zu gebieten.

Das Zentralsymbol der Oper ist – bis hin zu den orchestralen Zwischenspielen – das Meer. Wie hängt das mit dem gesellschaftlichen Verhängnis zusammen?

Ich empfinde diese „Sea Interludes“ als die Konfrontation von Grimes mit seinen eigenen Gefühlen und Ängsten. Damit wird das Meer zur Projektionsfläche menschlicher Vorgänge und damit auch zum Symbol der allgemeinen Heillosigkeit. Ich kann mir genau vorstellen, wie Brittens Komposition dieser Musik von der Erfahrung des Meeres bei Aldeburgh beeinflusst wurde. Nehmen Sie den Anfang des zweiten Akts: Es ist Sonntagmorgen, das Wasser reflektiert die aufgehende Sonne. Ich kenne diese Effekte selbst sehr gut und kann nachvollziehen, was Britten in seiner Musik umsetzen wollte.

Was bekommt das Kölner Publikum auf der Bühne zu sehen?

Jede meiner Produktionen spielt im Hier und Jetzt. Wir sind in Köln, im Jahr 2018. Aber ich sagte bereits, dass ich „Peter Grimes“ auch vor dem Hintergrund von Amerika und Brittens amerikanischen Erfahrungen sehe. Bezogen auf den Gegenwartskontext, führt das zu der Frage: Was geht derzeit vor in Amerika?

Sie meinen Donald Trump...

Weniger Trump als die Leute, die ihn wählen, diesen verbreiteten Populismus, den es natürlich auch in Europa gibt. Viele Leute sagen ja, dass wir uns in einer Situation wie in den 30er Jahren befinden. Am Ende der 30er stand der Zweite Weltkrieg, an dessen Ende wiederum Britten „Peter Grimes“ komponierte. Das sind schon Zusammenhänge, die pessimistisch stimmen.

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Ich situiere die Oper in einer angedeuteten Methodistenkirche mit Bankreihen, also einer religiösen Gemeinschaft, die für Dogmatismus, Intoleranz und Fanatismus, wie sie die Menge in „Peter Grimes“ äußert, anfällig sein kann.

Eine warnende Inszenierung?

Na ja, ich bin kein Prediger, sondern ein Künstler. Aber wenn Sie mich nach der Aktualität von Brittens Oper fragen, so muss ich sagen: Ja, sie ist sehr aktuell, und das will ich deutlich machen.

Wie kommen Sie mit der Situation im Staatenhaus zurande?

Ich freue mich total auf diesen Raum. Ich habe schon viele Opern in verschiedensten Räumen, darunter auch Warenhäusern oder Kirchen inszeniert, und mich inspiriert das. Wir sind hier alle in einem Raum – Sänger, Chor, Orchester, Publikum – gleich vor der Bühne ist die erste Zuschauerreihe. Da sind unglaublich starke wechselseitige Energieflüsse. Und meine Bühnenbildnerin Anna Jones hat die Inszenierung genau in diesen Raum hineingestellt.

Sie leben seit zehn Jahren in Berlin und wollen 2019, wie zu hören ist, die deutsche Staatsbürgerschaft annehmen. Warum?

Ich gebe nicht meinen britischen Pass ab, werde also Doppelstaatler. Im übrigen ist meine Frau Deutsche, und meine beiden Kinder sind Deutsche und Briten. Der eigentliche Grund aber: Ich sehe mich selbst weniger als Briten als als Europäer. Wenn schon, dann bin ich eher Suffolker als Brite. Und ich will ein Zeichen gegen den Brexit und jede Form nationalistischer Abgrenzung setzen. Niemand weiß ja genau, was passieren wird. Aber mir geht es um die Idee von Europa und der EU, die ich für stark und überzeugend halte.

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