Generationen geprägtKölner Germanist Karl Otto Conrady mit 94 Jahren gestorben

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Gedichte-Herausgeber und Goethe-Spezialist Karl Otto Conrady 

  • Der Kölner Germanistik-Professor Karl Otto Conrady hat Generationen von Kölner Germanistik-Studenten geprägt.
  • Der Goethe-Spezialist war ein großer Vermittler und Interpret der Literatur. Und er war ein streitbarer Geist. Nun ist er mit 94 Jahren gestorben.
  • Ein Nachruf.

Köln – Für Generationen von Kölner Germanistik-Studenten sprach das Fach Neuere Deutsche Literatur mit zwei gewichtigen Stimmen, denen der Professoren Walter Hinck und Karl Otto Conrady. Der eine – der 2015 gestorbene Hinck – stellte sein Forschen und Lehren schwerpunktmäßig in den Dienst eines Autors, Bertolt Brecht. Der andere – Karl Otto Conrady – konzentrierte sich auf den Übervater der deutschen Literatur, Johann Wolfgang von Goethe.

Eine Anzeige auf der Website ihrer einstigen Wirkungsstätte, des Instituts für Deutsche Sprache und Literatur der Philosophischen Fakultät der Universität zu Köln, machte nun auch den Tod Karl Otto Conradys publik. Der Wissenschaftler, Herausgeber und Autor maßgeblicher Werke starb nach dieser Quelle bereits am 1. Juli. Er wurde 94 Jahre alt.

Soldat im letzten Kriegsjahr

Conrady begründete seinen Ruf als über die Grenzen seines Fachs hinaus denkender Literaturwissenschaftler nicht zuletzt in der Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus. 1926 im westfälischen Hamm geboren, trat er in jungen Jahren in die NSDAP ein, wurde im letzten Kriegsjahr noch Soldat und geriet in Rheine in amerikanische Kriegsgefangenschaft, aus der er aufgrund seiner Jugend rasch wieder entlassen wurde – wie viele seiner Altersgenossen, so erklärte er Jahre später, empfand er den Untergang Nazi-Deutschlands als Niederlage, nicht als Befreiung.

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Doch mit dem Germanistik-Studium an der Westfälischen Wilhelms-Universität in Münster und mit den ersten Jahren als Dozent und junger Professor in Göttingen, Saarbrücken und Kiel begann die kritische Reflexion seines Fachs, das sich der braunen Diktatur vielfach als dezidiert „deutsche Wissenschaft“ angedient hat, Literatur mythologisch interpretierte und die Blut-und-Boden-Ideologie der Nazis in die Sphäre der germanischen Sprache übertrug. 

Bedauern über radikale Haltung

Zur großen Konfrontation mit dieser Auslegung des Fachs als einer Art Volkskunde kam es unter anderem 1966 auf dem Germanistentag in München, bei dem Conradys Mitstreiter Walter Boelich dazu aufforderte, das Kind ruhig mit dem Bade auszuschütten, also zu einer Generalabrechnung anzusetzen. Diese radikale Haltung bedauerte Conrady im Nachhinein, doch im Jahr 1966 war sie Ausdruck einer zunehmenden Politisierung einer neuen Wissenschaftler-Generation und der scharfen Auseinandersetzung mit der Honoratioren-Universität.

Für Conradys Berufsbiografie waren diese Jahre prägend, auch im Hinblick auf seine Liebe zur Literatur, die mit politischem Engagement immer wieder in ein fruchtbares Spannungsverhältnis trat. Er war der Herausgeber des „Großen Deutschen Gedichtbuchs“, das bald stil- und kanonbildend wirkte und sich unter dem Titel „Der große Conrady“ ebenso selbstverständlich wie populär mit seinem Namen verband. Er würdigte Goethe in zahlreichen Büchern, Vorlesungen und Seminaren, allen voran in seiner zweibändigen Biografie, die er Anfang der 80er Jahre veröffentlichte und die zehn Jahre darauf noch einmal in einer Neuauflage erschien.

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Daneben und darüber hinaus aber führte Conrady ein Leben als Politiker und Funktionär. Von 1967 bis 1969 gehörte er als SPD-Mitglied dem Landtag von Schleswig-Holstein an, hier war er Vorsitzender des Kulturausschusses.

Als Präsident des PEN fiel ihm in den Jahren nach 1996 die schwierige Aufgabe zu, den Zusammenschluss der ostdeutschen und der westdeutschen Sektion der Schriftstellervereinigung zu moderieren. Nach zwei Jahren hatte er „die Schnauze voll“, wie er freimütig bekannte. Die grassierende Stasi-Angst unter den Mitgliedern und zahlreiche Austritte verdarben ihm die Freude am Amt.

Liebe zur Lyrik

Trost fand er in der Lyrik, auch in der langen Professorenzeit, die er von 1969 bis zu seiner Emeritierung 1991 in Köln verbrachte. Als Hochschullehrer vermittelte Conrady den Studierenden ein Literaturbild, das frei von normativen Einschränkungen war, auch und besonders im Wirkungsbereich des Gedichts, das er als Medium sprachlicher Exaktheit schätzte und liebte: „Ich sträube mich gegen eine allgemeine Bestimmung, was Lyrik sein soll“, sagte er einmal in einem Interview. „Was mich interessiert an der Lyrik, ist der Versuch des genauen Sprechens. Also bitte nicht heute noch Gedichte schreiben im Stil von Eichendorff und Brentano. Die haben wir ja.“

Karl Otto Conrady lehrte und forschte in Köln, als seinen Wohnort wählte er Rösrath, bevor er zuletzt im Alter wieder in die Stadt zog. Die Metropole und die Ruhe der Vorstadt, er mochte beides, so wie er es verstand, den Streit der Politik und die Versenkung ins Gedicht in seinem Leben zu vereinen. Karl Otto Conrady war ein großer Vermittler und Interpret der Literatur, und er war ein streitbarer Geist. Beides vermissen wir sehr.

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