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Gott Mammon und die Puffmutter

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Kommen nach den Nazis jetzt auf breiter Front die Umweltverbrecher auf die deutsche Opernbühne? Die Lektüre dessen, was der Regisseur Joan Anton Rechi im Programmheft zur Düsseldorfer Neuproduktion von Camille Saint-Saëns’ „Samson und Dalila“ äußert, könnte solches auf Anhieb befürchten lassen. Rechi will, so sagt er, um die aktuelle Relevanz des Stoffes zu erweisen, Saint-Saëns’ Philister zu fiesen Heuschrecken-Kapitalisten machen von der Art, wie sie am Amazonas den Regenwald abholzen.

Um den Regenwald geht es dann zum Glück doch nicht. Aber wieso eigentlich „zum Glück“? Warum soll es nicht legitim sein, drängende Zeitprobleme auf der modernen Opernbühne darzustellen? Die Antwort muss wohl lauten: Es ist legitim – wenn’s passt und nicht als dem Stoff krampfig-beliebig aufgezwungener Deutungsüberschuss einherkommt. Diesen Deutungsüberschuss liefert Rechi freilich immer noch. Während andere Regisseure den nach den Bibelquellen in Gaza zu platzierenden blutigen Konflikt zwischen Philistern und Hebräern auf die Nahostkriege dieser Tage blenden, situiert Rechi ihn zwar ebenfalls in einer unbestimmten Gegenwart, aber in einem ganz anderen Ambiente: Hier hat man sich die Philister als skrupellos-profitsüchtige Eigentümer und Manager einer Mine vorzustellen, die die Bergarbeiter – die Hebräer – brutal unterdrücken und ausbeuten. Ihr Gott Dagon ist der Gott Mammon, und Geld – als Schein wie klingende Münze – regiert, auf der karg-düsteren, unspezifischen Bühne (Gabriel Insignares) tatsächlich die Welt.

Über den ethnischen Konflikt lagert sich also ein sozialer – die Beziehungen zwischen den verfeindeten Kollektiven sind bei Rechi die einer Klassengesellschaft. Auch auf der Pantomime-Ebene tut die Regie eine Menge, um diese Version szenisch durchzudrücken: Nach ihrem erfolgreichen Aufstand im ersten Akt sind die Hebräer nicht die strahlenden Helden, sondern werden – wiederum gegen Geld – sogleich von Dalila eingewickelt, die hier als Puffmutter mit Anhang auftritt. Besonders verlogen: der alte Hebräer, der Samson vor Dalila warnt, sich selbst aber mit seinem Philister-Mädel unverzüglich ins Off trollt. So entgeht Rechi der Gefahr, die Oper zu einer eindimensionalen Heldenerzählung zu stilisieren.

Dennoch kann dieses Konzept letztlich nicht überzeugen – es ist, wie gesagt, überschüssig, redundant. Zum einen geben die Quellen nicht her, dass der Philistergott Dagon ein Gott des Geldes war. Zum anderen bedarf es, um die Feindschaft zwischen Philistern und Hebräern bei Saint-Saëns zu begründen, durchaus nicht ihrer ökonomistischen Engführung. Sie ist sogar geeignet, ihr die existenzielle Archaik zu nehmen. Eines der zentralen Wörter des Librettos ist „Hass“ – die Partitur widmet ihm sogar ein kriechend-schleppendes Leitmotiv. Und dieser Hass ist universell.

Dennoch blieben dies verschmerzbare Defizite, wenn die Regie mit einer fesselnden Bild- und Bewegungssprache aufwartete. Das ist aber nicht der Fall: Rechis statische Massen-Choreografie etwa erinnert laufend daran, dass Saint-Saëns das Werk zunächst als Oratorium geplant hatte. Auch sonst wird viel herumgestanden und an der Rampe gesungen, und das üble Kammerspiel des zweiten Akts mit Samsons Verführung durch Dalila gelingt allein durch die sängerische und darstellerische Potenz der Hauptdarsteller.

Tatsächlich kann man sich eine bessere Besetzung zumal der Dalila kaum vorstellen: Ramona Zaharia verkörpert die Abgründe der mythischen Femme fatale faszinierend intensiv, und wenn ihr Mezzo in die tiefe Altlage langt, scheint eine brodelnde Hölle aufzubrechen. Michael Weinius’ Tenor gibt für den Samson vielleicht ein paar Grad zu sehr den Stentor, aber die Stimme ist gewaltig, belastbar, mühelos raumfüllend. Unter den Nebenrollen gefällt zumal Simon Neal als zynisch-rabenschwarzer Bösewicht in der Rolle des Dagon-Oberpriesters.

Zu beachtlicher Form läuft der Opernchor auf, der zwischen quasi-bachischer Fuge, Triumphgeheul, Mendelssohn-Melodik, klagendem Psalmodieren und pittoresk-arabischen Tonleitern ein riesiges Stilfeld zu beackern hat. Axel Kober am Pult der Düsseldorfer Symphoniker entfacht viel Glut und Intensität im Graben, streichelt immer wieder die tiefen Bässe und stellt auch sonst klangliche Details heraus. Trotzdem sind etwas mehr Feinschliff und Verzicht auf Überwältigung durch den puren Sound angezeigt. Da war noch Luft nach oben.

Nächste Aufführungen: 23., 26. Oktober, 1., 6., 9. November

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