Hart aber fairPlasbergs Irrsinn im Streit um Krankenhäuser

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Hart aber fair WDR 191119

Die „Hart aber fair“-Runde vom 18. November.

Köln – Alarm! Krise! Oder sogar: noch schlimmeres? Endlich wieder hat Frank Plasbergs Redaktion den nächsten, wie er so schön  „bildzeitungsesk“ in den Diskurs schlagzeilt, „Irrsinn“ der Republik ausgemacht: Es gibt, so mutmaßt, nein, Plasberg weiß das, denn es sind ja Zahlen da, sagt er, welche sagt er zwar nicht, aber sie sind da, bestimmt, irgendwo, also es sind Zahlen da, die sagen: Deutschland leistet sich zu viele Krankenhäuser. Und die sind auch noch qualitativ schlecht. Und jetzt kommt’s: Die Hälfte der rund 2000 Kliniken könnten geschlossen werden. Einfach so, zack, gute Besserung und weg. Beehren Sie uns nie wieder.

Aber Stopp! Das Krankenhaus vor Ort, das weiß Plasberg nun auch, sei eben für viele „eine Herzensangelegenheit“. Stimmt wahrscheinlich im wahrsten Sinne des Worte, aber den Witz spart er sich. Stattdessen lässt er lieber diskutieren, darüber wie viel Medizin dieses stetig alternde Land noch verträgt, verklausuliert in der Frage: „Zu klein, zu teuer, zu schlecht: Haben wir zu viele Krankenhäuser?“

Die Gäste

Gerald Gaß ist Präsident der Deutschen Krankenhausgesellschaft, standesgemäß ist seine Aufgabe in der Runde also, die deutschen Krankenhäuser sehr zu loben. Tut er glatt. „Wir haben in Deutschland eine gute, flächendeckende Versorgung“, selbstbeweihräuchert er seinen Verband zum Einstieg. Dennoch räumt Gaß ein, dass in Ballungsgebieten durchaus schon mal sowas wie Parallelstrukturen vorkommen könnten - etwa wenn Plasberg als Beispiel zeigen lässt, dass ein Bürger der Stadt Essen mit einem kaputten Knie in einem Umkreis von 25 Kilometern Behandlungsmöglichkeiten in über 50 Krankenhäusern hätte.

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Geständnis von Gaß hin oder her, die Zahl wirkt ziemlich ulkig im Gesamtkontext, ist es doch Plasberg, der später in der Sendung argumentieren wird: Gerade in ländlichen Regionen würden Patienten ja nie und niemals mit einem kaputten Knie in die kleine Klinik vor Ort fahren. Sondern in die Stadt. Folglich gäbe es gerade im ländlichen Bereich zu viele Kliniken. Und als Beleg dafür dient ein Zahlenbeispiel aus dem größten Ballungsgebiet Deutschlands?

Ob die Ärzte in Essen nun also vielleicht jetzt schon das halbe Münsterland mitbehandeln, erfährt man nicht. Nur, dass Frank Plasberg Ärzten auf dem Land per se nicht zu vertrauen scheint: „Jemand, der nur drei Operationen im Jahr macht, wie macht der das? Guckt der im Internet nach, wie das geht?“, fragt der 62-Jährige und man denkt direkt: Was tut der Mann, wenn mal wieder die Moderation einer Wahl oder einer Quizzsendung ansteht?

Zurück zum eigentlichen Drama: Der Antagonist von Gaß’ heißt Reinhard Busse und ist Professor für Management im Gesundheitswesen an der TU Berlin. Er will die Hälfte der Kliniken streichen und fordert: „Die Krankenhäuser sollten sich auf die Phasen konzentrieren, in denen es um Leben und Tod geht.“ Hat er natürlich recht - auch, weil es in der menschlichen Existenz selten andere Phasen gibt. Busse hat, so wirkt es leider, ansonsten die Sozialkompetenz eines Hedgefond-Managers, er schmeißt so militant mit seinen eigenen Forschungszahlen um sich, dass man fürchtet, er führe gleich auch noch den Patientenschlüssel der Bundesländer live auf dem Rechenschieber vor.

Ein Beispiel für Busses Wegrationalisierungsphantasien: Menschen, die wegen ihres Grauen Stars operiert werden, landeten viel zu oft in stationärer Behandlung. Die sollte man am besten nahezu alle ambulant behandeln. Nur sind, das sagt Busse nicht, Menschen, die wegen eines Grauen Stars operiert werden müssen, keine, die nach einer Behandlung beim Augenarzt lässig nach Hause joggen. Sie sind nämlich meistens alt und bettlägerig.

Aber auch so ganz generell will Busse mehr Menschen in die ambulante Behandlung drängen. „Haben Sie schon mal bei der Terminservicestelle angerufen?“, fragt Gaß darauf. Busse gegenfragt: „Wir schicken jetzt Leute ins Krankenhaus, weil die Arztpraxen zu voll sind, oder was?“ Findet er absurd. Hat aber wohl auch noch nie versucht, einen Orthopäden-Termin in der Kölner Südstadt zu bekommen.

„Wir müssen die Krankenhaus-Landschaft sortieren“, meint Martin Litsch, Vorstandsvorsitzender des AOK-Bundesverbands, ein stiller Gast sonst, von dem hauptsächlich die Thomas-Gottschalk-Gedächtnis-Krawatte in Erinnerung bleibt. Ansonsten bewegen sich die meisten seiner Sätze in der Kategorie „Hm, tja, nun gut“. Er spricht er sich für Grundversorgung in der Fläche aus, aber auch für die Spezialisierung von Einrichtungen auf gewisse Krankheiten, das viele Geld, das seine Kassen bereitstellen, sieht er eher nicht so gut angelegt. Hm, tja, nun gut. Nahrungsergänzungsmittel für Charisma-Mangel sind noch nicht erfunden.

Sabine Bätzing-Lichtenthäler ist extra aus der Pfalz angereist, die sie so konsequent „schön“ nennt, dass man mit der Zeit glaubt, sie schreibe heimlich versäumte Heimattraum-Postkarten an entfernte Verwandte unterm Tisch. Bätzing-Lichtenthäler ist SPD-Gesundheitsministerin in ebenjenem Bundesland im Südwesten. Sie setzt sich für den Erhalt von Kliniken im ländlichen Raum ein, allerdings nicht aus „sentimentalen Gründen“. Sondern: damit sie in der Fläche erreichbar bleiben für die Menschen. Man befinde sich schon im Umbruch, die Grund- und Regelversorgung müsse man sichern, sie als Politikerin wolle „gestalten“ und hätte auch den „Mut dazu“. Und irgendwo macht sich Olaf Scholz Notizen für die nächsten SPD-Wahlkampfslogans.

Weil in Deutschland ja aller guten Dinge drei sind und das anscheinend auch für Männer mit grauen Haaren und Brille in Talkshowrunden gilt, ist da auch noch: Dr. Rainer Hoffmann. Ein Arzt im Ruhestand und Initiator einer Petition gegen das Krankenhaussterben im ländlichen Raum. Hoffmann ist sehr klug, verliert sich allerdings oft in sehr konkreten, lokalen Beispielen, die Plasberg dann als Einzelfälle nicht gelten lässt. Immerhin sagt er einen schönen Satz, über den vor allem Busse und Litsch noch einmal nachdenken könnten: „Ich gehe davon aus, dass die Menschen, die im Krankenhaus liegen, auch krankenhauspflichtig sind.“ Und Hoffmann ergänzt ganz richtig auf Busses Idee, dass eine Zusammenlegung von Kliniken auch die Pflege entlasten würde: Macht man aus zwei Krankenhäusern eins und behält das vollständige Personal, verbessert sich der Schwestern-Patienten-Schlüssel nicht. Denn die Patienten ziehen mit um, also: die Zahl der Schwestern und der Patienten bleibt gleich.

Gezwungenes Einzelinterview

Kurz vor Schluss, man meint, es ist eigentlich schon alles gesagt, holt Plasberg noch eine Assistenzärztin aus Dänemark ins Einzelinterview, die davor, warum auch immer, im Publikum sitzen musste. Sie soll erzählen, wie es so im reformierten Krankenhaussystem dort läuft. Es läuft, natürlich, sehr sehr gut.

Dann wird gestritten, ob man das nun auf Deutschland übertragen könne. Die einen sagen: Ja. Die anderen sagen: Nein. Immerhin, man ist sich einig, dass medizinische Versorgung auch 2019 noch notwendig ist - und das ist ja schon mal was!

Werden Lobbyisten und Politik ansonsten auf einen Nenner kommen, in der Frage um den Umbau der Kliniken? Mehr Antworten hat man nach der Sendung nicht. Aber die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt. Wenn es nach Reinhard Busse geht allerdings, dann am besten zu Hause und im eigenen Bett. 

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