Heile Welt in KölnUkraine-Flagge eines Musikers bei Netrebko-Konzert abgeräumt

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Umstrittener Auftritt von Anna Netrebko in der Philharmonie.

Köln – Proteste gegen den Kölner Montagsauftritt von Anna Netrebko? Vor der Philharmonie schon, drinnen nicht oder doch kaum. Als die russische Starsängerin für die Finalszene aus dem zweiten Akt von Donizettis „Anna Bolena“ in prachtvoller Robe erstmals das Podium betrat, machte der freundliche, wenn auch nicht überschwängliche Willkommensapplaus sogleich deutlich, dass auf sie nicht das Schicksal der von ihr dargestellten Figur wartete: eine und sei es symbolische Hinrichtung.

Immerhin blieb es ihr nicht erspart, ausgerechnet im Orchester, bei den Bratschen, einer zunächst geschwenkten und dann über das Spielpult gebreiteten Ukraine-Fahne ansichtig zu werden. Nach der Pause war die Flagge verschwunden – da hatte wohl das Orchestermanagement auf den betreffenden Musiker energisch eingewirkt.

Kreml-Nähe? Mangelnde Distanzierung vom Ukraine-Krieg? Eine zweifelhafte Rolle als Putin-Muse? Nein, diese Dinge sollten die Ablaufdramaturgie erkennbar nicht stören. Der nicht zuletzt teure Abend hatte ungetrübt „schön“ zu sein – und sonst nichts. Auch im Begleitheft des Veranstalters – nicht der KölnMusik, sondern der auf Starvermarktung spezialisierten Unnaer Handwerker Promotion – findet sich kein Sterbenswörtchen zur immerhin ziemlich hitzig geführten öffentlichen Debatte um die Sängerin.

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Das Publikum stört sich nicht an der umstrittenen Sängerin

Die Trennung von Kultur und Politik – kann das wirklich funktionieren? Nach Ansicht der wohl meisten Besucher des Kölner Konzerts ganz offensichtlich. Eine schüchtern-stichprobenartige Pausenumfrage des Berichterstatters zeitigte einige teils ärgerliche Antworten, die in diese Richtung wiesen. „Kunst ist Kunst“ bekam er da in Anspielung auf Evas Diktum in den „Meistersingern“ zu hören.

Und schließlich gelte Netrebko, gerade weil sie den Krieg kritisiert habe, in Russland als Verräterin: „Was will man denn noch?“ Der Hinweis, im Zweiten Weltkrieg seien schließlich in Großbritannien auch nicht hitler-nahe Künstler aufgetreten? „Das ist nun wirklich arg übertrieben, die Bundesrepublik ist schließlich nicht Kriegspartei.“

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Im Gegensatz zum Publikum störten sich Demonstrierende an dem Auftritt Netrebkos.

Allerdings war ein indirektes „Protestzeichen“ nicht zu übersehen: Im Saal klafften viele breite Lücken in den Reihen – was bei früheren Netrebko-Auftritten in der Philharmonie undenkbar gewesen wäre. Nun mag diese Besucherabstinenz etliche Gründe gehabt gaben. Aber ein Punkt dürfte ebenfalls einleuchten: Wer Netrebko-Konzerte in Deutschland missbilligt, gibt nicht 300 Euro aus, nur um sich am Ort des Geschehens über den Gast beschweren zu können. So gesehen kann die „Politik des leeren Stuhls“ durchaus als Ablehnungsgeste verstanden werden.

Anna Netrebko hält dem Druck stand

So oder so wird die Sängerin, die im Reißverschlussmodus oder im Duett und Terzett mit ihrem Ehemann Yusif Eyvazov und ihrer Petersburger Kollegin Elena Zhidkova agierte, unter dem inneren Druck gestanden haben, das Publikum in ehedem so nicht gekannter Weise von sich überzeugen zu müssen. Von vornherein unangefochtene „Heimspiele“ kann sie wohl auch vor ihren größten Fans nicht mehr absolvieren.

Nun, man wird kaum bestreiten können, dass sie in Köln diesem Druck eindrucksvoll standhielt: Nervenstärke, performerische Routine und nicht zuletzt ein in der Bühnenpräsenz so gewinnender wie im Sängerischen überzeugender Auftritt führten dann auch dazu, dass sich die Atmosphäre in der Philharmonie spürbar erwärmte und am Schluss auch die gewohnten Standing Ovations samt Klatschmarsch fällig wurden.

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Im von der Nordwestdeutschen Philharmonie unter Michelangelo Mazza anständig und stiladäquat, teils etwas grobkörnig begleiteten Programm dominierte das italienische Opernrepertoire zwischen Donizetti und Puccini – mit zwei Ausreißern hin zu Tschaikowsky und Wagner. Da gab es dann erwartbar viele Ohrwürmer – bis hin zu Augustín Laras freilich mexikanischem Evergreen „Granada“ in der zweiten der drei Zugaben.

Gesangspartner und Ehemann Yusif Eyvazov bleibt hinter Opernstar zurück

Die nach wie vor superben Qualitäten der Netrebko (die immerhin in diesen Tagen 51 wird) zeigten sich gerade auch im Vergleich mit ihren alles andere als impotenten Partnern: Der Ehemann (dessen Liebesduette mit ihr durch den Umstand dieser persönlichen Konstellation eine spektakuläre lebensweltliche Beglaubigung erfahren) ist ein gewaltiger Tenor, der freilich zu circensischer Selbstdarstellung neigt, schnell laut wird und es dann auch schon mal an Farben- und Charakterdifferenzierung mangeln lässt. Zhidkovas vornehmer Mezzo hingegen wirkt neben der Kollegin ein wenig blass, unspezifisch, unterbelichtet.

Anna Netrebko hingegen scheint in ein Reifestadium eingetreten zu sein, von dem es eigentlich nur noch bergab gehen kann. Die Stimme ist mit den Jahren satt, rund und voll geworden, hat sich – man hört es in der großartigen tiefen Lage – ihrerseits dem Mezzo angenähert. Der Registerwechsel zur Höhe hin funktioniert indes ausgezeichnet. Das teils üppige Vibrato ist Ausdrucksmittel und leiert nicht, die Einsätze kommen fokussiert und mühelos wie aus dem Nichts, die Spitzen geschmeidig und entspannt (an einer Stelle war die Intonation spektakulär zu tief).

Kunst und Politik trennen

Nun macht technische Souveränität allein noch keine große Kunst. Die zeigte sich indes zum Beispiel bei „Isoldes Liebestod“ in der intensiven Bewältigung des weitgespannten dramaturgischen Bogens zwischen verhaltenem Einstieg und der Aufgipfelung in großer trancehafter Emphase; auch in der suggestiven Verschmelzung der eigenen Stimme mit der Orchestermelodie. Ja, Netrebko ist (was zu Beginn ihrer Karriere niemand vermutet hätte) eine gute, das Innenleben dieser Musik verstehende Wagner-Interpretin geworden.

An dieser Stelle trennen sich Kunst und Politik dann de facto eben doch: Netrebkos Putin-Nähe war oder ist kritikwürdig – aber sie singt deswegen nicht schlechter.

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