Helene Hegemanns „Bungalow“Wie das Düsseldorfer Theater in die Spielzeit startet

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Lea Ruckpaul als Charlie in „Bungalow“

Lea Ruckpaul als Charlie in „Bungalow“

Düsseldorf – Mit 17 machte Helene Hegemann Furore – mit ihrem Debüt-Roman „Axolotl Roadkill“, der sich in einigen Teilen als Plagiat entpuppte und 2010 einen veritablen Literaturskandal provozierte. Doch die Autorin machte weiter und legte 2018 ihr drittes Werk „Bungalow“ vor: Ein düsteres Opus, in dem das 13-jährige Mädchen Charlie von ihrer privaten Familien-Apokalypse und Weltenkriegen zwischen bombardierten Betonwüsten und einem Bungalow berichtet.

Im Düsseldorfer Schauspielhaus setzte jetzt Simon Solberg den Roman in Szene, verkürzt und mit dramatischen Zuspitzungen. Das Ergebnis überzeugt als beklemmendes Psycho-Kammerspiel für sechs Personen mit der mädchenhaften Lea Ruckpaul als Charlie, die sich bis zur Erschöpfung verausgabt. Sie versetzt die Zuschauer in Endzeitstimmung – mit einem Wechselbad von Panikattacken und nüchtern realistischer Erinnerung an ihre Eltern und Nachbarn im Wunschort Bungalow.

Der lautstarke Zweikampf zwischen Mutter (Judith Rosmair) und Tochter, vulgär rotzige Jugendsprache und Sex-Fantasien, aber auch zarte lyrische Momente dominieren den Abend. In Filmprojektionen tauchen Georg (Sebastian Tessenow) und Maria (Minna Wündrich) auf – die Bewohner des Bungalows, in die sich Charlie verliebt. Sie träumt sich in eine vermeintlich bessere Welt. Doch entpuppen sich die zwei als schrille, durchgeknallte Psychos. So zerplatzen die Wunschträume nach einer Liebesnacht mit diesem neurotischen Duo (Tessenow und Wündrich drehen hier so richtig auf), wie eine Seifenblase. Doch die zügig ablaufenden 100 Katastrophen-Minuten lockert Solberg geschickt auf: Mit grotesken Songs und schwarzhumorigem Kabarett, die das Leiden der Protagonistin ertragbar machen.

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Nach Charlies letzter Szene, in der sie empfindungslos vor sich hinstarrt und vom „Tag, an dem der Krieg ausbrach …“ erzählt, herrscht Stille. Nur langsam löst sich die Anspannung von Zuschauern in befreienden Applaus und Bravorufen auf.

Davon kann bei Büchners „Dantons Tod“ nicht die Rede sein. Obwohl die Erwartung hoch war. In das Historiendrama über die letzte Phase der Französischen Revolution 1794, in der der Wohlfahrtsausschuss die Regierung übernahm, Terror und Gewalt ausübte, die in blindem Massenmord unter der Guillotine mündete. Vor 50 Jahren – in der Zeit der Studentenrevolten – wurde das Düsseldorfer Schauspielhaus mit diesem Klassiker eröffnet und feiert zum Gebäude-Jubiläum und zur Neu-Eröffnung des sanierten Hauses wieder Premiere. In dem Haus auf dem Gustaf-Gründgens-Platz, der immer noch einer Riesen-Baustelle gleicht. Und in dem auch im Inneren Gewerke Tag und Nacht arbeiten.

Wer glaubte, es werde ein großer Wurf, sah sich getäuscht. Trotz einiger packender Bilder (Bühne: Olaf Altmann), quält sich die Inszenierung von Armin Petras dreieinhalb Stunden dahin. Und kann, trotz eimerweise fließenden Theaterbluts und dröhnendem Dauer-Fortissimos, die Regie-Schwächen nicht verbergen. Wer die historischen Figuren nicht kennt und nur wenig über die geschichtlichen Ereignisse weiß, findet sich in der Handlung kaum zurecht.

Deshalb der flaue Schluss-Applaus, obwohl die erste Garde von Schauspielern fesselnde Psychoporträts von Danton (Wolfgang Michalek) und seinen Gegenspielern Robespierre (Lieke Hoppe) und Saint Just (Cathleen Baumann) zeichnen und zu Recht bejubelt werden. Petras feiert in erster Linie die Sprache, die einprägsamen Bilder, die das 21-jährige Genie Büchner für die politische Dramatik fand.

Der Beginn ist so spektakulär wie das Finale. „Radikale“ und „Gemäßigte“ rutschen auf einer raumhohen Metallwelle nach vorne. In der Mitte rinnt eine dicke Blutspur. Dann reden sich Dantons Gefolgsleute um Kopf und Kragen, zittern am ganzen Leib vor Todesangst und enttarnen sich als Anti-Helden, die nicht sterben wollen. Im Schluss-Bild liegen 20 Darsteller kopfüber am Bühnenrand. Wie auf einer Schlachtbank.

Was der Inszenierung fehlt, ist ein aktueller Bezug. Vor 30 Jahren noch, als „Dantons Tod“ ebenfalls hier herauskam – mit fallender Mauer und „Wir sind das Volk“-Rufen –, konnte man im Fernsehen ähnliche Szenen bei den Leipziger Montags-Demonstrationen verfolgen. Petras dagegen setzt einen Historien-Stoff als Brülltheater mit übermütiger Party-Society in Szene, mit einer bildschönen Frau (Lieke Hoppe) als Schlächter Robespierre. Was das nun soll? Das weiß niemand. „Dantons Tod“: 26. 9.; 4., 28. 10. „Bungalow“: 26.9.; 4., 11., 28. 10.

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