Historiker Takuma Melber„In Asien begann der Weltkrieg 1931“

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Japanisches Infanterie-Regiment vor der Verschiffung nach China vor dem Meiji- Schrein im Jahr 1941

Japanisches Infanterie-Regiment vor der Verschiffung nach China vor dem Meiji- Schrein im Jahr 1941

Herr Melber, viele denken, dass der Zweite Weltkrieg in Europa begonnen hat. Hat er aber tatsächlich in Asien seinen Anfang genommen?

Wie wir alle wissen, begann in Europa der Zweite Weltkrieg mit dem deutschen Überfall auf Polen im September 1939. Zu diesem Zeitpunkt tobte auf dem chinesischen Festland aber längst der Krieg zwischen China und Japan: Am 7. Juli 1937, also heute vor 80 Jahren, begann der sogenannte Zweite Sino-Japanische Krieg, der in Asien als Beginn des Zweiten Weltkriegs angesehen wird. Einige Historiker gehen sogar weiter: Für sie beginnt der Zweite Weltkrieg im Jahr 1931 mit dem Einmarsch japanischer Truppen in der Mandschurei im Nordosten Chinas. Sie bezeichnen den Zweiten Weltkrieg daher auch als "fünfzehnjährigen Krieg". Allerdings müssen wir uns vergegenwärtigen, dass erst der Kriegseintritt der USA - als Folge des japanischen Angriffs auf den Stützpunkt der US-Pazifikflotte Pearl Harbor am 7. Dezember 1941 - die Kriegsschauplätze Europa und Asien miteinander verband und so der Krieg zu einem echten Weltkrieg wurde.

Was hat den Krieg zwischen Japan und China ausgelöst?

Es war ein Feuergefecht zwischen vor Ort stationierten japanischen und chinesischen Soldaten, das den Krieg am Spätabend des 7. Juli 1937 auslöste: In einem Vorort der heutigen chinesischen Hauptstadt Peking ereignete sich nahe der steinernen Lugou Brücke - im Westen besser unter ihrem Beinamen Marco-Polo-Brücke bekannt - dieser Vorfall. Als "Zwischenfall an der Marco-Polo-Brücke" ging er in die Geschichtsbücher ein. Bis heute ist allerdings umstritten, ob hier wirklich auf japanische Soldaten geschossen wurde und wenn ja, wer die Schüsse abgegeben hat. Auf jeden Fall war dies der Anlass, der eine weitergehende gewaltsame Expansion Japans auf dem chinesischen Festland zur Folge hatte.

Kann man Japan mit dem Deutschen Reich in punkto Aggressivität vergleichen?

Durchaus lassen sich Japan und das Deutsche Reich in dieser Hinsicht vergleichen: Als Bündnispartner verfolgten beide Länder eine aggressive Expansionspolitik mit kriegerischen Mitteln. Und wenn wir nur an die durch japanische Truppen in China - aber auch später andernorts in Asien verübten Kriegsgräuel - und an die generell brutale Kriegsführung etwa im Rahmen der Widerstandsbekämpfung denken, so sehe ich auch hier klare Parallelen in punkto Aggressivität. Allerdings ist die Schoah in Europa der zentrale Unterschied. Denn eine derartig systematisch betriebene Massenvernichtungspolitik mit industriellen Methoden wie sie Hitlerdeutschland gegenüber den Juden betrieb, gab es in Asien so nicht.

Wie sah die Ideologie aus?

Ideologisch herrschte in Japan eine übersteigerte, geradezu pervertierte Form des Nationalismus vor. Im Mittelpunkt der Ideologie stand der Tenno, der japanische Kaiser, der gottgleich verehrt wurde. Zudem wollte Japan als die imperialistische Macht Ostasiens anerkannt werden. Ihr sollten sich alle Völker Asiens unterordnen, auch Rassismus spielte dabei eine ganz große Rolle - sehr zum Leidwesen der Chinesen, die aufgrund zeitgenössischer rassistischer Anschauungen von japanischen Militärs als minderwertig angesehen wurden.

Wie hoch waren die Opferzahlen?

Japan hatte im gesamten Zweiten Weltkrieg etwas mehr als dreieinhalb Millionen Tote zu beklagen. Die Zahl der chinesischen Todesopfer war um ein Vielfaches höher: mindestens zehn Millionen, vermutlich aber bis zu fünfzehn Millionen Chinesen ließen ihr Leben.

Viele erinnern sich an das Massaker von Nanking. Was passierte dort damals genau?

Nach einer mehrtägigen Belagerung besetzte die Japanische Armee Chinas Hauptstadt im Dezember 1937 und verübte dort unsägliche Kriegsgräuel. Wenige Wochen zuvor hatten die japanischen Soldaten in unerwartet langen, äußerst blutigen Kämpfen Shanghai erobert. Als die Truppen den Marschbefehl gen Nanking erhalten hatten, war also die Truppenmoral bereits auf dem Nullpunkt. Hinzu kam das rassistische Überlegenheitsgefühl gegenüber den als minderwertig betrachteten Chinesen. Dieses explosive Gemisch an Emotionen schlug sich nach der Einnahme Nankings in einem enormen Gewaltexzess nieder: Über anderthalb Monate hinweg plünderten japanische Soldaten die Stadt, es kam zu willkürlichen gewaltsamen Übergriffen auf die Bevölkerung Nankings. In Massenexekutionen wurden chinesische Soldaten und Zivilisten mit Bajonetten zu Tode verstümmelt und erschossen, chinesische Frauen und Mädchen wurden massenweise vergewaltigt. Bis heute sind die genauen Hintergründe des Massakers aber nicht ganz geklärt.

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