Hundert Jahre Kölner MusikbibliothekVon Leihnoten zum Makerspace

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Köln – Ein denkwürdiges Foto ziert das Cover der Jubiläumsbroschüre: Da ist – im September 1979 – Heinrich Böll zu sehen, im Gespräch mit Horst-Johannes Tümmers, dem damaligen Direktor der Kölner Stadtbibliothek. Kopfhörer hat der Kölner Nobelpreisträger auf, vor ihm drehen sich auf mehreren Abspielgeräten Langspielplatten. Böll scheint beeindruckt vom technischen Equipment der Musikbibliothek, die seinerzeit in die neu gebaute und mit Böll als Festredner eröffnete Zentralbibliothek am Josef-Haubrich-Hof integriert wurde.

Sicher, Vinylplatten erleben bei den Liebhabern derzeit eine veritable Renaissance, der die Bibliothek auch durch eine Aufstockung ihrer einschlägigen Bestände vor allem beim Thema „Musik in Köln“ Rechnung trägt. Aber dem heutigen Betrachter dokumentiert das Foto dennoch gleichsam eine Steinzeit der Phono-Kultur. CDs, PCs, iPods, Streaming-Dienste – allesamt Schöpfungen einer freilich gar nicht mal so fernen Zukunft. Inzwischen ist die Zukunft längst „da“, und messbar wird der weite Weg, den die städtische Musikbibliothek nicht nur seit 1979, sondern überhaupt in den hundert Jahren ihres Bestehens zurückgelegt hat.

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Tümmers’ Nachfolgerin Hannelore Vogt empfindet im Gespräch mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ „Stolz und Freude“ , aber eben auch die Verpflichtung, sie „mit Blick auf das digitale Zeitalter weiter zu entwickeln“. Klar, eine Musikbibliothek kann heute nicht mehr so aussehen wie 1979 – und erst recht nicht mehr so wie 1922. Damals, vier Jahre nach dem Ersten Weltkrieg, wurde sie auf Initiative des Komponisten und „Musikfunktionärs“ Hermann Unger mit Unterstützung des Kölner Kulturdezernenten Johannes Meerfeld ins Leben gerufen. 1923 umfasste sie, wie Gabriele Ewenz in ihrem historischen Abriss mitteilt, einen Bestand von 2100 Notenbänden und 245 Musikbüchern.

Alles zum Thema Konzerte in Köln

Die Musikbibliothek wechselte, bevor sie dann in der vierten Etage der Zentralbibliothek eine dauerhafte Heimstatt fand, mehrmals und bedingt auch durch Kriegszerstörungen ihr Domizil: Wolkenburg, Sülz, St.-Apern-Straße, Hansa-Hochhaus, Johannishaus, Jakordenhaus. Das Selbst- und Aufgabenverständnis blieb jeweils das nämliche: nicht nur professionellen Musikern und Musikpädagogen, sondern auch Musikvereinen und überhaupt breiten Bevölkerungsschichten einen niederschwellig-kostenfreien, das heißt lediglich an die Voraussetzung eines Bibliothek-Mitgliedsausweises gebundenen Zugang zur Musik zu verschaffen: zu (ausleihbaren) Noten, Schallträgern und Instrumenten, heute von Hip-Hop bis Strawinsky. Kultur- als Sozialpolitik.

Die Rezeptionsgewohnheiten verändern sich

Derzeit steht, wie schon bemerkt, die Notwendigkeit im Raum, den Herausforderungen der digitalen Revolution zu begegnen – die durch Corona auch im Bibliotheksbereich noch zusätzlichen Schub bekommen hat. In der Tat verlagern sich die Rezeptionsgewohnheiten der Musikhörer mehr und mehr hin zum Streaming. Darauf antwortet die Musikbibliothek, indem sie die Etatausgaben umschichtet: „Die Streaming-Angebote machen“, so Sabine Geyer, die Lektorin der Musikbibliothek, „gegenüber den analogen Medien – Bücher, Zeitschriften, Noten, CDs, Musik-DVDs/Bluray – nun etwa ein Drittel des Gesamtetats aus.“

Wie sieht es aus mit der Notenausleihe in einer Zeit, da Notenbibliotheken im Internet – etwa das International Music Score Library Project (IMSLP) – das kostenfreie Kopieren von von Partituren ermöglichen? „Wir merken die Konkurrenz natürlich“, antwortet Vogt, „aber wir haben viele Kunden, die immer noch gern die herkömmlichen Angebote nutzen – zumal viele Online-Offerten eben doch kostenpflichtig seien.

Ausleihe ist nur noch eines der Standbeine

Die Ausleihe ist indes nur ein Standbein der Musikbibliothek. Das andere ist das eigene Profil als aktiver Player im Kulturleben der Stadt. Sie ist – teils in Kooperation mit anderen Partnern, etwa der Philharmonie – ein wichtiger Ort für Ausstellungen, Konzerte, Lesungen, Angebote für Kinder, Workshops und Veranstaltungen „mit Mitmach-Charakter“ (wie zum Beispiel dem Erlernen des Ukulele-Spiels) geworden.

„Makerspace“ ist das Schlüsselwort dieses modernen Aktivierungsprogramms. Bereits 2013 wurde im vierten Stock der Zentralbibliothek ein Raum mit neuer Technologie zur freien kreativen Nutzung eingerichtet. Tontechnik und neue Instrumente wie Launchpad und E-Gitarre wurden als musikalischer Anteil integriert. Heute gibt es ein Musikzimmer mit Flügel und anderen Instrumenten, Digitalisierungsstationen für Schallplatten und Musikkassetten und seit 2021 ein kostenfrei zugängliches Filmstudio.

Reichhaltiges Jubiläumsprogramm

Das reichhaltige Programm des Jubiläumsjahres stellt den Makerspace prononciert ins Zentrum: So wird es ein frühsommerliches „Mitsing-Konzert op Kölsch“ von „Loss mer singe“ geben, eine virtuelle Einführung zum Thema „Klassik verstehen“ mit Gabriel Yoran, ein interaktives Familienkonzert zu Tomi Ungerers „Mondmann“, musikalische Vorlesestunden sowie eine Ausstellung im Rahmen des Musikfestivals „Acht Brücken“.

Gemeinsam mit der Musikvermittlung der Philharmonie findet bereits am 28. Januar ein interaktiver Workshop mit Besuch des Weltmusikkonzerts von „Trio Joubran“ statt. Weitere Mitmach-Angebote sind ein „Vinyl-DJ-Workshop“, „Grundlagen der Tontechnik“, „Workshop experimentelle Musik“ sowie, für Kinder, „Luftorchester basteln“ und „Musikprogrammierung mit Sonic Pi“.

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