Impulse Theater FestivalSexclubs, Ossi-Konzerte und Mini Playback Shows

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Annedore Antrie, Joana Tischkau und Clara Reiner in „Playblack“

Annedore Antrie, Joana Tischkau und Clara Reiner in „Playblack“

Köln – Sie knutschen durch Klarsichtfolien, züngeln am PVC entlang. Das „Queens“, ein temporäres Hamburger Sex-Etablissement für „Heteras und ihre queeren Freundinnen“, hätte auf dem diesjährigen Impulse-Festival gastieren sollen, der Leistungsschau für Freies Theater im deutschsprachigen Raum. Aber weil das halt gerade (noch) nicht geht, muss man sich mit feuchten Video-Grüßen aus dem Trainingscamp begnügen.

Warum gibt es eigentlich keine Sexclubs für Frauen?, will Sibylle Peters’ Produktion wissen – und stellt dem Mangel ein semifiktives Lustversprechen entgegen. „Im nächsten Jahr stehe ich dann vielleicht im Bademantel in deinem Hotelzimmer“, verspricht ein schnuckeliger Typ mit mühsam aufgesetztem Schlafzimmerblick im Stream. Wir kommen darauf zurück.

Indes gibt es schon einige wenige Produktionen vor Ort in der Kölner TanzFaktur zu sehen: Für „Mit Echten Reden“ ist die Performerin Tanja Krone 30 Jahre nach der Wende in ihre sächsische Heimat – Frankenberg, nahe Chemnitz – zurückgekehrt, hat Eltern, Geschwister, Mitschülerinnen und ehemalige Lehrer nach ihren Erfahrungen mit dem Ende des Ostens und dem „Ellenbogen-Prinzip“ des Westens gefragt. Am Ende, erzählt Krone, hätten die Antworten 300 Seiten gefüllt.

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Sachsen am Mikrofon

Die trägt sie allerdings nicht einfach vor, sondern formt sie singsprechend, mit Friedrich Greiling an Laptop und Drummachine, zu Songs; mit so unwuchtigen und doch erstaunlich eingängigen Refrains wie „Dass man aus dem Leben was macht eben halt“ oder „Wir waren halt rechts“.

Ihre Stimme jagt sie dabei durch Effektgeräte wie durch den Hallraum der Geschichte. So entsteht eine ostdeutsche Polyphonie, mit viel Frust und Gleichgültigkeit, mit Sehnsüchten und nie verheilten Wunden. „Sollte die nächste Revolution kommen, ich bin dabei“, sagt einer ihrer Zeugen, und die Mutter konstatiert: „Für mich war das immer der Feind, der Westen.“ Am Ende dieses Quasi-Konzertes kann man das Ressentiment sogar verstehen.

Ein bisschen Spaß muss sein

Fremde Stimmen hat sich auch Joana Tischkau für ihre Lipsynch-Performance „Playblack“ ausgeliehen, es sind die Stimmen schwarzer Sängerinnen und Sänger, die von den 1960er Jahren bis heute dem deutschen Unterhaltungskosmos einverleibt wurden, angefangen mit Roberto Blancos „Ein bisschen Spaß muss sein“.

Zusammen mit Annedore Antrie und Clara Reiner führt Tischkau – als Tochter einer weißen Deutschen und eines Ghanaers selbst Person of Color – diese Toncollage im Rahmen eines Re-Enactments der fragwürdigen „Mini Playback Show“ auf, die in den 90er Jahre auf RTL zu sehen war. Es ist ein Abend ohne eigene Texte, ohne Kommentar – und doch erzählt er mehr als 20Seminararbeiten zum Thema. 

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Tischkau lässt mit Nina Hagens „African Reggae“ und „Dem Gone“ vom auf Patois singenden Kölner Reggae-Star Gentleman zwei völlig unterschiedliche Arten deutscher Aneignung jamaikanischen Kulturguts aufeinanderprallen. Gefolgt von einem nachgespielten Interview, in dem sich David Letterman bei Nina Hagen ausschließlich nach ihrer Frisur erkundigt, kulminierend in der impertinenten Frage, die auch Schwarze immer wieder zu hören bekommen: Kann ich mal dein Haar anfassen?

Es geht durchweg um die Stimmlosigkeit großer Stimmen, um „Wetten, dass..?“-Gaststar Michael Jackson, den kreischende Fans und ein Thomas Gottschalk im Lehrermodus nicht zu Wort kommen lassen; um Mariah Carey, die die immer gleiche Frage nach ihrer Herkunft – ist sie schwarz? ist sie weiß? – beantworten muss; um den afrokubanischen Mambo, den sich Herbert Grönemeyer für eine Blödelnummer über Parkplatzsuche borgt.

Grönemeyer mit Dschungellauten

Während die Hagen Auskunft über ihre Haare geben muss, soll der Mann aus Bochum zur Lage des Menschen im 21. Jahrhundert Stellung nehmen. Tischkau ersetzt seine Antworten – es muss ja nicht immer subtil zugehen – mit Dschungellauten und afrikanischen Chören. „Sie sprechen die Flüchtlingskrise an“, schlussfolgert die Interviewerin.

Am Ende dieser lippensynchronen Performance steht fast zwangsläufig das berühmteste und berüchtigtste Playback der Popgeschichte: Milli Vanilli, das schwarze Duo, das nur die Lippen zum Gesang seines deutschen Produzenten Frank Farian (und einiger Studiokräfte) bewegte. Dieses Voodoo-Verfahren, sich einen schwarzen Körper zu leihen, hatte Farian bereits erfolgreich bei Boney M. angewandt.

Eine Vaterfigur sei der im Musikbusiness erfahrene Produzent gewesen, sagt Fabrice Morvan, der Überlebende des Duos, im Interview. Er hätten ihnen nur 1500 D-Mark gezahlt. Sie seien in eine Falle gelaufen. Zu Morvans Worten bewegen in der TanzFaktur wiederum die als Milli Vanilli verkleideten Joana Tischkau und Annedore Antrie die Lippen – womit der Abend einen perfekten Kreis um sein Thema zieht.

Impulse findet noch bis 13. Juni statt. Weitere Programmpunkte unter www.impulsefestival.de

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