Interview„Wir waren nicht die Sex Pistols des Malens“

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Walter Dahn dreht eine Runde in der Galerie von Rosen

Walter Dahn dreht eine Runde in der Galerie von Rosen

Herr Dahn, letztes Jahr gab es in Frankfurt eine große Ausstellung über die Kunst der 80er Jahre. Sind Sie hingefahren?

Ich war nicht da. Ich kenne meine Bilder doch.

Hat es Sie nicht gereizt, die alten „Jungen Wilden“ wiederzusehen?

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Nein. Ich habe da keine Kontakte mehr. Nur zu Peter Bömmels, den ich sehr schätze. Den wenigsten Leuten ist ja klar, wie kurzlebig die Mülheimer Freiheit war. Das fing im Oktober 1980 an, und ich bin schon Ende 1982 wieder raus. Innerhalb meiner Biografie ist diese gestische Malerei, die bis heute unter der Marke „Junge Wilde“ firmiert, nur eine Episode.

Walter Dahn wurde 1954 in St. Tönis bei Krefeld geboren und begann 1971 im Alter von 18 Jahren bei Joseph Beuys an der Düsseldorfer Kunstakademie zu studieren. 1979 ging er nach Köln und wurde Anfang der 80er Jahre als Vertreter der „Jungen Wilden“, einer auf alle Konventionen pfeifenden Malerschule, bekannt.

Gemeinsam mit Hans Peter Adamski, Peter Bömmels, Jiri Georg Dokoupil, Gerard Kever und Gerhard Naschberger gehörte Walter Dahn ab 1979 zur Künstlergruppe Mülheimer Freiheit. Sie war nach dem gemeinsamen Kölner Atelier in der Straße Mülheimer Freiheit 110 benannt. 1984 löste sich die Gruppe wieder auf.

Am Samstag, den 13. Februar, stellt Walter Dahn ab 14 Uhr in der Galerie von Rosen (Aachener Straße 65, Köln) ein neues Buch über seine zwischen 1972 und 2015 entstandene Malerei auf Papier vor. Es erscheint im Verlag der Buchhandlung Walther König, die Ausstellung bei von Rosen läuft noch bis 20. Februar. (KoM)

Wie kam es denn damals zur Mülheimer Freiheit?

Zunächst gab es diese sechs sehr unterschiedlichen Leute, die sich ein Atelier teilten. Auf die Idee, uns diesen Namen zu geben, kam der Galerist Paul Maenz. Vielleicht sogar in Ermangelung einer besseren Idee: Dann nehmen wir halt die Straße, in der das Atelier liegt. Unsere erste Ausstellung bei Maenz hieß „Mülheimer Freiheit und interessante Bilder aus Deutschland“. Es nahm ein knappes Dutzend Künstler teil, darunter auf unsere Bitte hin auch Albert Oehlen, Werner Büttner und Georg Herold. Die Galerie war vom Boden bis zur Decke vollgepflastert mit Bildern.

Wobei das schon gut klingt: Mülheimer Freiheit.

Ja schon, aber Freiheit ist ein wirklich großer Begriff, der immer wieder ausgelotet werden muss.

Wie sah denn der Alltag in der Mülheimer Freiheit aus?

Wir haben jeden Tag gearbeitet. In unterschiedlicher Besetzung, aber auch oft zu sechst auf zwei sehr geräumigen Etagen. Die Decken waren niedrig, deswegen haben wir die Räume wohl so billig gekriegt. Es gab nie ein Manifest, wir haben uns nie als echte Gruppe verstanden, wir waren nicht die Sex Pistols der Malerei. Obwohl wir dauernd Musik gehört haben. Wir waren einfach Leute, wo der eine diesen kannte, und der andere kannte jenen. Und jeder suchte ein Atelier und einen neuen Ansatz für sich. Peter Bömmels war Autodidakt, Jiri Georg Dokoupil kam vom Studium aus New York zurück, hatte von allem die Nase voll und wollte eigentlich nur noch Schach spielen oder diskutieren. Und ich hatte sechs Jahre mit Beuys hinter mir.

Wie lief das mit der Arbeitsteilung?

Das war eine Mischung aus Kunstakademie und Kindergarten, wo jeder bei jedem so reinmalen durfte. So war das auch gewollt. Man bekam immer eine Rückmeldung, das war sehr schön.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, wieso es Walter Dahn zu viel geworden ist...

Aber irgendwann scheint es Ihnen zu viel geworden zu sein?

Wenn man so lange zusammenarbeitet, ist das ja ein Intensivprogramm. Dann will man auch mal alleine sein, alleine was machen. Für mich war die Mülheimer Freiheit wie ein Nadelöhr, durch das ich durchmusste. Es war auch viel Attitüde im Spiel, aber ich konnte mich auf eigenen Boden stellen, für kurze Zeit auch gegen das Beuys-Erbe. So wie man seinen Vater in der Pubertät ablehnen muss, um dann zuzugeben, der ist ja doch unheimlich toll. Ich habe damals vieles von dem, was ich bei ihm gelernt hatte, einfach weggewischt.

Wie war es damals, mit dem Etikett „Junger Wilder“ herumzulaufen?

Beuys selber hatte mir auf der Documenta 1982 in meiner Koje, als ein Fernsehteam ein Interview wollte, zugeflüstert: „Wenn die jetzt wieder kommen von wegen neue wilde Malerei, sagst du: Neue gute Malerei.“

Und wie hat ihr Galerist reagiert, als sie kein „Junger Wilder“ mehr sein wollten?

Paul Maenz wusste das intelligent zu drehen. Der hat einfach gesagt: Beim Walter weiß man halt nie, was kommt.

Er hat nicht versucht, Sie zu überreden, beim Alten zu bleiben?

Ich habe immer gemacht, was ich wollte, und ich fand solche Schnelletikettierungen für Künstler schwierig. Ob dann noch etwas anderes passiert, darauf guckt keiner mehr. Ständig müssen Variatiönchen des schon Bekannten kommen, damit das System gefüttert wird. Das war der Punkt, an dem ich etwas zur Seite ging und den Überambitionierten dieses Feld überlassen habe. Da bin ich einerseits zu alten Techniken wie der Wasserfarbenmalerei zurückgegangen. Die mache ich ja, seitdem ich denken kann. Oder vorwärts gerade in die Lücke zwischen Fotografie und Malerei.

Als Musiker sind Sie beinahe so bekannt wie als Maler.

Ich habe schon in Krefeld mit Bands rumgehangen. Ernster wurde es dann mit Tom Dokoupil, der in Köln ein großes Tonstudio betreibt. Damals hatte er einen Raum bei seinen Eltern, in der Nähe von Limburg, dort haben wir die ersten Sachen aufgenommen. Das lief immer parallel, die Musik war kein Hobby. Es war einfach schön, sich voll auf etwas ganz anderes zu konzentrieren und dann damit zur Kunst zurückzukehren.

War das von Anfang an Elektro-Pop?

Ja, eigentlich schon. Wobei bei den „Hornissen“ dann auch andere Instrumente, Gitarre oder Klavier, dazugekommen sind. Rein elektronisch war das nicht, das fände ich auch langweilig.

Malen Sie eigentlich zur Musik?

Also wenn Sie dieses Klischee – laute Musik, sich in der Farbe wälzen und dann in die Leinwand werfen – meinen: Sicher nicht! Mein Begriff von Musik war von Anfang an viel weiter gefasst. Wenn wir jetzt die Autos da draußen auf der Straße vorbeifahren hören, ist das ja auch Musik – Geräuschmusik. Malerei und Musik gehen wunderbar im Begriff des Farbklangs zusammen: Also, was passiert, wenn man nur zwei Farben nebeneinandersetzt? Die Idee vom Klang ist viel mehr als Stimulanz. Wenn man das will, geht man besser in die Disco.

Sie haben 20 Jahre lang in Braunschweig Kunst unterrichtet. Haben Ihnen dabei die Erfahrungen mit Beuys genutzt?

Wenn zu meiner Zeit, in den 70er Jahren, jemand zu Beuys kam und sagte, er wolle Künstler werden, dann haben wir eigentlich nur gelacht. Das war eine ganz andere Zeit. Beuys war eher daran interessiert, Lehrer auszubilden. Er sagte: Geht in die Schulen. Das war ja Rudi Dutschkes Idee vom Gang durch die Institutionen.

Sie sind ein sehr vielseitiger Künstler. Wollten Sie damit mit Macht weg vom „Wilden“-Image?

Also, mit Macht geht erst mal gar nichts. Wenn ich verschiedene Medien nutze, mache ich das ja nicht, um zu zeigen, was ich alles kann, nach dem Motto: Video kann ich auch noch und Fotografie sowieso. Es ist eher umgekehrt. Die Frage bleibt: Welche Idee will sich wie verkörpern. Es gibt bestimmte Sachen, die filmt man vielleicht besser, andere brauchen eine andere Intimität. Es kann nicht nur über den Kopf gehen. Oft frage ich mich bei der Arbeit auf Papier: Wer hat sich denn da gemeldet? Das sind dann zum Beispiel Einflüsse, die ich aus der Beuys-Klasse mitgenommen habe. Sowohl von meinem Lehrer als auch von Studenten, die sich damals sehr freundlich um mich, das Nesthäkchen der Klasse, gekümmert haben, zum Beispiel Jörg Immendorff.

In Kürze erscheint ein Buch mit Ihren Wasserfarbenmalereien und dazu Gedichten Ihrer Mutter.

Irgendwann im letzten Jahr habe ich mal alles fallen lassen, und das Malen mit Wasserfarben war das Einzige, was ich da noch machen wollte. Ein Farbkasten wie zu Schulzeiten, einfaches Papier, das reicht mir schon. Der große Filmemacher Robert Bresson wünschte sich „Religion ohne Kirche“. Da sag ich: ja. So gehe ich an meinen Arbeitsplatz. Da muss ich dann erst mal mit diesem „Fast nichts“ klarkommen. Eine Art Demut üben und warten, was sich da zeigen will. Im letzten Jahr starb auch meine Mutter, die Schlüsselfigur auf meinem Weg zur Kunst. Für eine Arbeiterfamilie aus einem Vorort von Krefeld hatten wir einen relativ großen Bücherschrank. Ich habe mir da immer Bände rausgezogen mit klassischer Kunst. Und nie wurde gesagt: Jetzt mach mal was Ordentliches, geh doch zur Stadtsparkasse. Meine Mutter verstand immer: Ohne Kunst verreckt der uns hier.

Ist es ein Erinnerungsbuch?

Meine Mutter war sehr belesen, hat jedoch erst angefangen zu schreiben, als sie schon weit über 60 Jahre alt war. Aber sie war viel zu bescheiden, um damit an die Öffentlichkeit zu gehen. Im Nachlass fand sich Überraschendes, Gedichte mit wunderbaren, auch wunderbar spröden Naturbeschreibungen zum Beispiel. Da wusste ich, dass ich mein Buch mit Texten von ihr machen musste.

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