Interview mit dem Fotografen Boris Becker„In Köln fehlt der Mut zum großen Wurf“

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Boris Becker

Der Kölner Fotograf Boris Becker

  • Das Unfertige an Köln mag der Fotograf Boris Becker schon, aber zu viel Unvermögen in der Stadt ödet ihn an.
  • In Düsseldorf hat Becker Kunst studiert, aber das Fotoinstitut sollte nach Köln kommen, findet er.
  • Die Flut manipulierter digitaler Bilder im Internet bereitet gerade ihm als Fotokünstler Sorgen.

Herr Becker, Sie wurden 1961 in Köln geboren. Wie sah die Stadt in Ihrer Kindheit aus?

Ich habe die Stadt noch als Trümmerlandschaft kennengelernt, gerade im Rechtsrheinischen. Es gab viele Baulücken, es gab die Hochbunker, die ich später als Motiv entdeckte, und es war alles noch sehr heruntergekommen und verfallen. Ich kann mich auch noch sehr gut an die U-Bahn-Bauten rund um den Dom erinnern. Wie der Dom, der damals noch auf dem Domhügel stand, freigelegt wurde und man ins Innere blicken konnte, das fand ich spannend als Kind.

Hat Sie das in ihrer späteren künstlerischen Arbeit geprägt?

Alles zum Thema Gerhard Richter

Ja, dieses Unfertige und Improvisierte, das Immer-wieder-irgendwie-hinkriegen, das Köln auszeichnet und sympathisch macht, das hat mich schon geprägt – auch wenn es nicht immer funktioniert. Ich habe in Köln gelernt, dass auch das Provisorische ein Motiv sein kann. Das Strahlende und Glitzernde ist nicht so mein Ding.

Das Motiv ist das eine. Aber gefällt Ihnen das Kaputte an Köln auch im Alltag?

Eigentlich schon. Gerade als Künstler finde ich es wichtig, dass eine Stadt solche Räume bietet, beispielsweise für Ateliers. Denken Sie an die Clouth-Werke, das war mal eine Künstlergegend, die einer langweiligen Wohnbebauung gewichen ist. Für Leute, die einfach vor sich hin basteln, ist dort kein Platz mehr. Auf der anderen Seite gefällt es mir natürlich nicht, wenn Sachen brachliegen, die eigentlich schon längst hätten fertig sein müssen. Stichwort: Oper. Dieses Ausmaß an Unvermögen ödet mich mittlerweile nur noch an.

Haben Sie dafür eine Erklärung: Ist es die berühmte kölsche Schlendrian-Mentalität?

Ich will das nicht auf die Mentalität schieben. Die Stadt wird ja nicht von Jecken regiert, obwohl man manchmal den Eindruck haben könnte. Für mich ist die Opernsanierung, für die ich mich damals stark gemacht habe, leider gescheitert. Mit diesem Kostenberg von 800 Millionen Euro wird daraus nichts Gutes mehr, denn anders als bei der Hamburger Elbphilharmonie werden wir für eine ähnliche Bausumme kein neues Wahrzeichen bekommen. Eine Summe, die übrigens höher ist, als der gesamte Kultur-Jahresetat des Landes Nordrhein-Westfalen.

Schauen Sie da manchmal neidvoll nach Düsseldorf?

Eine gewisse Zeit habe ich neidvoll nach Berlin geschaut, wo ich in den ersten Jahren studiert habe, und wo ich gerne wieder hingegangen wäre. Aber das habe ich zu den Akten gelegt. In Düsseldorf scheint alles etwas geschmeidiger zu gehen als in Köln. Wobei auch Düsseldorf nicht immer schick war, die Stadt hat sich ja auch im 19 Jhd. gewandelt von einer Residenz- zur Verwaltungsstadt. Es ist ja nicht so, dass da etwas am Reißbrett entworfen wurde und auf einmal stand das schöne Düsseldorf da.

In Düsseldorf gibt es auch die berühmte Fotoschule, deren Absolvent Sie sind. Wie war der Kontakt zu „Mitschülern“ wie Andreas Gursky?

Diese Fotoschule ist, neben der eigentlichen Lehre von Bernd Becher, auch eine Erfindung des Kunstmarkts. Während des Studiums gab es nicht viel Kontakt zu den anderen Studierenden, das liegt in der Natur der Sache. Wir arbeiten draußen oder im Labor, man sieht sich einfach nicht so oft. Und es gab auch nicht viele Sitzungen, an denen man sich hätte sehen können.

Wie sehen Sie die Diskussion um das Fotoinstitut, das möglicherweise in Düsseldorf errichtet werden soll?

Ich wundere mich, dass in Köln noch niemand die Stimme erhoben hat, um das Fotoinstitut in die eigene Stadt zu holen. Warum sollte so eine Institution nicht nach Köln kommen? Schließlich haben wir hier die Photographische Sammlung, bedeutende Sammlungen wie die Sammlung Bartenbach oder Gruber im Museum Ludwig, einen Fotostudiengang an der Kunsthochschule für Medien.

Gibt es zu wenig Lobbyarbeit für die Kulturstadt Köln?

Ja, aber vielleicht liegt es auch daran, dass sich Köln von einer Kunst und Kultur- zu einer Medienstadt entwickelt hat. Es gibt die Fernsehsender, die Kunsthochschule für Medien, den Mediapark, das sind politisch gewollte Orte, die Kölner Kunsthalle wurde dagegen ohne viel Aufhebens abgerissen. Außerdem ist Köln eine Eventstadt geworden: Karneval ohne Ende, winters wie sommers, Marathon, Public Viewing - hier läuft alles vor dem Hintergrund einer Medien- und Eventstadt, da braucht man sich nicht wundern, wenn Kunst und Kultur zu kurz kommen.

Das klingt jetzt aber hart.

Manchmal kommen so Schnellschüsse, und jemand schlägt vor, ein Gerhard-Richter-Museum bauen. Aber das ist völlig unkoordiniert abgelaufen und schon gar nicht mit Gerhard Richter abgesprochen gewesen. Ein anderes Beispiel ist das ehemalige elektronische Studio von Karlheinz Stockhausen im WDR, mit dem die Institutionen gerade Pingpong spielen.

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Sollten wir zurück in die 60er Jahre, zurück zum legendären Kulturdezernenten Kurt Hackenberg?

Ich glaube nicht, dass man an solche Traditionen einfach wieder anknüpfen kann, oder dass früher alles besser war. Zu viel Nostalgie ist auch schädlich, man muss schließlich mit dem arbeiten, was man heute hat. Aber ich befürchte, dass mittlerweile in Köln die alten Freiräume fehlen, in denen kulturelles Leben gedeihen kann.

Wie ließe sich das ändern?

In Köln fehlt der Mut zum großen Wurf. Man müsste mal wieder was riskieren und zum Beispiel am Breslauer Platz, wo jetzt das blaue Zelt steht, eine kulturelle Institution mit einer hochklassigen internationalen Architektur errichten. Ob das jetzt ein Opernhaus, eine Kunsthalle oder, aber das geht jetzt leider nicht mehr, das Historische Archiv der Stadt Köln ist. Gemeinsam mit Museum Ludwig und Philharmonie ergäbe das ein Portal, das sofort zeigt: das hier ist eine Kulturstadt.

Gibt es eine Entfremdung zwischen der Stadt Köln und ihren engagierten Bürgern?

Ja, das Vertrauen ist gestört. Wer sich einbringen will, denkt sich, ich bleibe sowieso auf der Strecke. Warum soll ein Mäzen hier überhaupt etwas anfangen, wenn alles zerredet, verwässert oder erst in 25 Jahren fertig wird? Das zieht sich bis ins Kleine durch. Nehmen Sie den Ebertplatz. Man sieht eine Problemzone und kommt mit der Antwort: zumauern. Das war für mich typisches Versagen einer Stadtverwaltung. Man kann alles Mögliche mit dem Ebertplatz machen, aber nicht das.

Kommen wir zur Fotografie. Wie finden Sie die Motive Ihrer Serien?

Das ist von Serie zu Serie verschieden. Bei den Hochbunkern habe ich einfach angefangen, bis ich merkte, daraus entwickelt sich etwas. Und dann habe ich begonnen, Adressen von Hochbunkern in ganz Deutschland zu sammeln. Wenn ich Landschaften fotografiere, fahre ich dorthin, wo ich mir etwas erwarte, bestimmte Formationen, Strukturen, Farben. Das ist dann mehr intuitiv. Bei der Serie über Drogenverstecke, den „Fakes“, habe ich mit dem Zoll zusammengearbeitet. Sobald die einen neuen „Fake“ aus dem Verkehr gezogen haben, wurde ich informiert.

Woran machen Sie fest, wie ihr Foto aussehen soll?

Manchmal habe ich das fertige Bild schon vorher im Kopf. Meine Aufnahme der Kölner Opernbaustelle entstand, nachdem ich die Situation schon von der Krebsgasse aus gesehen hatte. Ich fand es spannend, dass man vom Bühnenraum bis zu den Logen sehen kann, ein Blick, der sonst unmöglich ist. Die Umsetzung ging dann sehr schnell. Meistens mache ich nur eine oder zwei Belichtungen. Andere Motive finde ich einfach. Mein Bild einer Toskana-Landschaft, die alle Klischees erfüllt und gleichzeitig total künstlich aussieht, lag genauso vor mir. Das kann man nicht konzipieren.

Beschäftigen Sie die Möglichkeiten, Fotografien zu fälschen?

Bei meiner „Fakes“-Reihe habe ich Gemälde fotografiert, die aus in Farbe gelöstem Kokain bestehen. Das Besondere ist: Ein Foto, so groß oder klar es auch sein mag, schafft es nicht, die falsche Natur des Gemäldes zu entlarven. Das gilt generell. Wenn sie jemanden fotografieren, wissen sie trotzdem nicht, wie sich diese Person im Moment der Aufnahme fühlt. Die Versuchung, fotografische Bilder zu manipulieren, ist so alt wie die Fotografie selbst.

Bereitet Ihnen die Flut an manipulierten digitalen Bilden im Internet Sorgen?

Ja, denn im Grunde wiederholen sich derzeit die 1920er und 1930er Jahre. Damals machten sich die Nazis die neuen Massenmedien Kino und Radio zu eigen. Das funktionierte so gut, weil niemand Erfahrungen mit diesen Medien hatte. Das ist vielleicht die Parallelität zu heute: Die Menschen haben noch nicht gelernt, mit den manipulativen Möglichkeiten der sozialen Medien umzugehen.

Werden Bilder durch die Digitalisierung entwertet?

Ja und Nein. Das Digitale ist eine Einladung zum Manipulieren. Sie machen ein Foto, und die digitale Datei wartet nur darauf, dass sie auf ihrem Rechner Veränderungen vornehmen. Aber auch analoge Bilder wurden schon immer bearbeitet. Habe ich ja auch gemacht: einen bestimmten Ausschnitt gewählt, die Farben verändert, mit der Hand retuschiert.

Das Gespräch führten Lutz Feierabend, Carsten Fiedler, Michael Kohler und Frank Olbert

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