Abo

Interview mit Erdal Dogan„Ich fühle mich nicht sicher, weder in der Türkei noch hier“

Lesezeit 4 Minuten
Journalisten und Aktivisten protestieren im Juli vor einem Gericht in Istanbul gegen den Prozess gegen 17 aktuelle und ehemalige Mitarbeiter der regierungskritischen „Cumhuriyet“ Zeitung.

Journalisten und Aktivisten protestieren im Juli vor einem Gericht in Istanbul gegen den Prozess gegen 17 aktuelle und ehemalige Mitarbeiter der regierungskritischen „Cumhuriyet“ Zeitung.

Erdal Dogan gehört zu einer Gruppe von türkischen Rechtsanwälten, die sich auf politische Verfahren spezialisiert haben und ständig Drohungen der Sicherheitsbehörden ausgesetzt sind. Er hat auch die Familie des ermordeten armenisch-türkischen Journalisten Hrant Dink vertreten. Seine prominenteste Mandantin ist die Schriftstellerin Asli Erdogan. Dogan war in Köln zu Gast beim KulturForum TürkeiDeutschland.

Ein Rechtshilfefonds, initiiert von der lit.Cologne und dem KulturForum Türkei-Deutschland, hilft inhaftierten Intellektuellen in der Türkei im Hinblick auf die Verteidigungskosten. Ein unabhängiges Gremium, dem unter anderem Günter Wallraff angehört, entscheidet über die Vergabe der Gelder.

Herr Dogan, Zehntausende Menschen sind in der Türkei nach dem Putsch-Versuch im vergangenen Jahr inhaftiert worden. Sie vertreten als Anwalt mehrere Intellektuelle, Schriftsteller wie Asli Erdogan und etliche Menschenrechtsaktivisten wie die Amnesty-Vorsitzende Idil Eser. Warum sind jetzt diese Intellektuellen zur Zielscheibe von Präsident Erdogan geworden?

Schon vor dem Putschversuch im Sommer letzten Jahres wurden viele Menschen in der Türkei vom Staat verfolgt. Aber nach dem Umsturzversuch hat sich die Menschenrechtslage schlagartig verschlechtert.

Jetzt ist jeder Zielscheibe, der sich Erdogans Sicht der Dinge nicht anschließt: Kurden, Demokraten, Journalisten, Schriftsteller, kritische Wissenschaftler und jetzt eben Menschenrechtler. Erdogan will die Opposition zum Schweigen bringen. Menschen, die anders denken, schaltet man aus.

Wissen die Inhaftierten, was man Ihnen vorwirft?

Zehntausende Menschen werden beschuldigt, terroristische Organisationen unterstützt zu haben, ohne dass man ihnen konkret sagt, worum es geht oder ihnen eine Anklageschrift vorgelegt hat. Diese Ungewissheit ist schrecklich.

Dazu muss man wissen, dass Hunderte aus dieser Personengruppe nicht so bekannt sind, wie Asli Erdogan und jetzt Dogan Akhanli, für dessen vorübergehende Inhaftierung der lange Arm des Regimes sogar bis nach Spanien reichte. Um sie kümmert sich keine Öffentlichkeit.

Haben Sie auch den deutschen Politologen und Menschenrechtsaktivisten Peter Steudtner besuchen können und wie geht es ihm?

Ja, ich habe ihn nach seiner Festnahme zwei Mal sprechen können. Er ist deprimiert. Es ist für ihn ein Trost, dass sich deutsche Konsularbeamte mit ihm in Verbindung setzen können. Auch er weiß bis heute nicht, was man ihm konkret vorwirft. Man lässt ihn im Ungewissen.

Bei anderen sind die Anschuldigungen geradezu absurd. Idil Eser, der Amnesty-Vorsitzenden, die zusammen mit Steudtner inhaftiert wurde, wirft man unter anderem vor, dass sie sich für zwei hungerstreikende Lehrer eingesetzt hat. Aber das ist ihre Aufgabe als Verantwortliche von Amnesty in der Türkei. Auch macht man ihr zum Vorwurf, dass sich ein PKK-Mann um eine Mitgliedschaft bei Amnesty bemüht habe.

Da Amnesty diese verdeckte Aktion aber durchschaut hatte, ist dieser Antrag nie beantwortet worden und trotzdem wirft man ihr das vor. Auch gegen den deutschen Journalisten Deniz Yücel, der seit 190 Tagen in Haft ist, liegt nichts Justiziables vor, gegen das wir Anwälte vorgehen könnten. Alle Vorwürfe, wenn sie denn überhaupt konkretisiert werden, sind stets konstruiert.

Wie sind die Zustände in den Haftanstalten?

Die Haftanstalten sind um mehr als 10.000 Menschen überbelegt. Die Inhaftierten benutzen die Betten im Wechsel, andere müssen stehend in den Fluren schlafen. Das sind unfassbare Zustände. Jetzt versucht der Justizminister sogar, eine einheitliche Kleidung für die Häftlinge durchzusetzen.

Wir Anwälte versuchen gegen diese demütigende Maßnahme anzugehen. Vieles ist reine Willkür. Frau Eser zum Beispiel darf nicht besucht werden, weil sie keine Verwandten ersten Grades in der Türkei hat. Also darf niemand außer mir, ihrem Anwalt, zu ihr.

Wird die Schriftstellerin Asli Erdogan das Land verlassen können, ihr Ausreiseverbot wurde doch angeblich aufgehoben?

Nein, das Vorgehen gegen Frau Erdogan ist weiterhin sehr willkürlich. Das Ausreiseverbot ist zwar aufgehoben, sie erhält aber ihren Pass nicht zurück. Also kann sie auch nicht ausreisen.

Wie gefährlich sind dieses Gespräch und diese Reise nach Deutschland für Sie persönlich?

Ich fühle mich nirgendwo sicher, weder in der Türkei noch hier. Ich will aber überall das sagen können, was ich denke. Es geht mir nicht darum, all die schrecklichen Einzelheiten preiszugeben, von denen ich Kenntnis habe. Ich beschränke mich darauf, ein Gesamtbild darüber zu vermitteln, wie verfahren die Situation in der Türkei ist.

Die Türkei ist kein Rechtsstaat mehr. Das Rechtssystem besteht nicht mehr. Aber auch in der türkischen Gesellschaft ist das Gerechtigkeitsgefühl verheerend. Jetzt hat sich der Präsident über Nacht sogar den Geheimdienst unterstellt.

Was kann Deutschland tun?

Deutschland kommt aufgrund der über 200 Jahre währenden historischen Beziehungen besondere Bedeutung zu. Außerdem leben so viele türkeistämmige Menschen in diesem Land. Deutschland sollte seinen Platz auf der Seite der Demokraten in der Türkei haben und sich auf einen jahrelangen Prozess für die Unterstützung der anderen, demokratischen Türkei einstellen.

Es ist wichtig, dass hier nicht nur während des Wahlkampfes über die Türkei geredet, sondern auch nach der Wahl im September über die Verhältnisse in dem Land objektiv und umfassend berichtet wird.

KStA abonnieren