Interview mit Yello-Sänger Dieter Meier„Wenn du eins nicht kannst, ist es Musik”

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Dieter Meier bei einem Yello-Konzert in der Lanxess-Arena

Köln – Dieter Meier führt gerne Interviews in Taxis. Angesichts seines Lebens ist das eine vernünftige Wahl. Der 73-jährige Yello-Sänger, Künstler und Unternehmer pendelt zwischen Wohnsitzen in New York, Berlin, Zürich und Buenos Aires hin und her, wo er Rinder und Schafe züchtet, Wein und Nüsse anbaut, Geschäfte betreibt. Das neueste Projekt des Schweizers: eine Schokoladenfabrik, in der er seine Patente zur aromafördernden Kaltextraktion der Kakaobohne in perfekte Schokolade umwandeln will.

Er erzählt genauso leidenschaftlich von der Bewässerung seiner Haselnussfelder in Patagonien wie von seinen Zweifeln an der Urknall-Theorie, der lebenslangen Suche nach perfekten Hotelzimmern („Ich bin ein verwöhntes Dieterchen“) oder den Henkersfahrten Berliner Taxis. Inklusive der Pointe, dass ein Fahrer ihn hochkant aus dem Wagen schmiss, als er darum bat, den Fuß doch etwas vom Gaspedal zu nehmen.

Am Ende der Taxifahrt vom Hotel der Kölner Südstadt zum Flughafen hat Meier wegen weltumspannender Antworten erst zwei Fragen abgearbeitet. Weiter geht das Gespräch an einer Flughafen-Bar. Dieter Meier bestellt – ausgerechnet – stilles Wasser.

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Dieter Meier in Köln

Herr Meier, haben Sie je darüber nachgedacht, sich einen aufregenderen Namen zuzulegen? 

Nein. Ich bin sehr zufrieden mit Meier. Aber mir fallen gleich zwei Geschichten dazu ein. Von meiner allerersten Platte, von der nur 150 Stück gepresst wurden, hatte sich ein Exemplar in eine Hamburger Kneipe verirrt. Ich war zufällig da, während mein Song in der Jukebox lief, was mich sehr gefreut hat. Als ich den Laden verließ, rannte mir ein Punk hinterher und fragte, ob ich nicht derjenige sei, dessen Lied eben gespielt wurde. Ich bejahte. Er sagte, er fände meine Musik scheiße, aber dass ich mich Meier nennen würde, sei genial. Er dachte, das sei mein Künstlername.

Und die zweite Geschichte?

Jahre später war ich beim Bayerischen Rundfunk in einer Live-Sendung, als mich der Journalist, der mich das ganze Interview lang beharrlich „Herr Müller“ genannt hatte, fragte: Herr Müller, gibt es noch etwas, das Sie unseren Zuhörern sagen möchten? „Ja“, antwortete ich, „es gibt doch tatsächlich immer wieder Leute, die mich Meier nennen. Sagt der Journalist: „Unglaublich, was gibt es bloß für Idioten auf dieser Welt.“

Jüngst haben Sie im Kölner Schauspielhaus an einer Diskussion zum Thema Risiko teilgenommen. Sind Sie schon als risikofreudiger Mensch auf diese Welt gekommen?

Ja, das war ich immer schon. Obwohl Risiko ein zu großes Wort ist: Ich lasse mich gerne auf unbekannte Dinge ein, ob es Reisen sind, bei denen ich keine Ahnung habe, wo ich lande, oder Entscheidungen, deren Konsequenzen ich nicht wirklich absehen kann.

Nach dem Abitur haben Sie aber erst einige Zeit Jura studiert, dann bei einer Bank gearbeitet. Klingt solide.

Im Gegenteil. Jura habe ich lediglich als soziale Tarnung turniert. Ich war ganz selten an der Uni und habe das nie als echte Option gesehen. An der Bank war ich auch nur für ein paar Wochen. Als Börsenläufer, diesen Job gibt es schon lange nicht mehr. Das einzige, was ich damals seriös gemacht habe, war professionell Poker spielen.

Können Sie gut mit Geld umgehen?

Überhaupt nicht. Ich bin sehr salopp im Umgang damit und schau mir auch nie meinen Kontostand an. Ich habe immer wieder Beteiligungen an Unternehmen, die teils gut gehen, teils aber auch nicht. Ich war zum Beispiel beteiligt an einer Uhrenfirma mit meinem Bruder und einem Freund. Wir haben die übernommen, als sie mehr oder weniger pleite war. Der Freund, ein sehr begabter Kaufmann, hat den Umsatz von 1,5 Millionen auf 280 Millionen hochgebracht. Ich war da nur glücklicher Trittbrettfahrer, der ein paar schöne Werbesprüche für die Uhren erfunden hat.

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Wenn man Ihnen glaubt, war auch der Erfolg mit Yello nur Glück. Oder Zufall. 

Das ist so, ja. Bis auf den heutigen Tag weiß ich nicht, wie der Erfolg uns gefunden hat. Der Boris (Blank, die andere Hälfte von Yello, Anm. der Red.) wollte ja erst gar nicht mit mir zusammenarbeiten, weil ich nicht singen konnte. Das hat sich dann aber als Glück herausgestellt. Weil ich die Töne nicht gut traf, habe ich unser Lied „Bostiche“ nur auf einer einzigen Note gesungen. Dieses Lied von uns hat sich dann auf Platte mit einem damals legendären Radio-DJ nach New York verirrt – und über Nacht waren wir berühmt in der schwarzen Community. Alle waren überzeugt davon, dass wir schwarze Avantgarde-Rapper von der amerikanischen Westküste sind mit diesem komischen Gesang. Wir bekamen lukrative Plattenverträge angeboten. Mein Vater hat die Welt nicht mehr verstanden. Dieter, sagte er, wenn du eines nicht kannst, ist es Musik.

Wie sind Sie aufgeflogen als schwarze Avantgarde-Künstler?

Die amerikanische Plattenfirma wollte, dass wir einmal auftreten. Boris wollte das ja nie. Er hat dann nach diesem einen Gig in New York ja auch erst einmal 35 Jahre lang pausiert. (lacht) Wir traten jedenfalls im legendären Roxy auf, 1983 war das. Das war so ein halb illegaler Schuppen, wo man zunächst abgetastet wurde. Daneben stand ein Tisch, auf dem ungefähr 50 Pistolen lagen. Durchaus beängstigend. Als wir dann auf die Bühne gingen, starrten uns alle irritiert an: Mit zwei Weißköpfen aus der Schweiz hatte niemand gerechnet. Nach sieben Minuten unseres Auftritts ging der Strom aus, weil der in dem Club illegal abgezapft wurde. Blank hechtete sofort unter sein Pult und dachte, gleich ist er fällig. Nach ein paar Minuten ging der Strom dann wieder an.

Und Sie haben weitergemacht?

Klar. Nach dem Konzert sind uns dann schwarze Kids nachgerannt und haben die ganze Zeit „Pizzaparty“ gerufen. Irgendwann dämmerte uns, dass sie den „Bostiche“-Refrain „Everybody need somebody“ falsch verstanden haben. Wahrscheinlich wäre das Lied ohne das „Pizzaparty“-Missverständnis nie ein Hit geworden.

„Richtig schämen tue ich mich für kein Lied”

Welches Lied von Yello mögen Sie am liebsten. Und für welches schämen Sie sich?

Richtig schämen tue ich mich für keins, aber „Desire“, das ist schon Kitsch. Mein liebstes Yello-Lied, weil es das wichtigste war, ist „Oh Yeah“. Bis heute ist es in der Werbung sehr gefragt. Von McDonalds bis Nissan wollen alle dieses tiefe „Oh Yeah“ haben.

Das „Oh Yeah“ ist zu Ihrem Markenzeichen geworden, das Halstuch aber auch. Was hat es damit auf sich?

Das ist eine Neurose von mir. Ich mag keine Hemden, an denen der oberste Knopf zu weit oben sitzt und ich mich stranguliert fühle. Aber ich mag auch meinen Hals nackt nicht. Darum trage ich Halstücher und lasse meine Hemden maßschneidern. Der perfekte Abstand zwischen dem ersten und dem zweiten Knopf beträgt acht Zentimeter.

Und Ihre blau getönte Brille?

Ich filtere gerne die Rottöne aus der Welt. Die gefällt mir so besser (reicht die Brille rüber zum Test). Ich habe auch Brillen mit grünen Gläsern. Ich brauche aber auch tatsächlich eine Brille.

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Dieter Meier bei einem seiner Konzerte

Dieter Meier kommt jetzt auf die Dandys zu sprechen, in deren Tradition er sich sieht. Nicht die bekannten Paradiesvögel wie Oscar Wilde, sondern Vorbilder wie George Bryan Brummell, den englischen Dandy-Urvater. „Leise“ habe der sich angezogen, aber perfekt. Perfekt auch im Komfort. Der wahre Luxus im Leben? Gute Socken. Er selbst sei ohne Socken aus 100 Prozent Wolle „echt schlecht drauf“.

Bleiben wir beim Luxus: Können Sie ohne Wein leben?

Nein. In den letzten 50 Jahren meines Lebens gab es vielleicht 30 Tage, an denen ich nicht zum Abendessen Wein getrunken habe. Ein Wein ist wie ein Opernsänger, der für mich singt. Meine Frau Gemahlin und ich trinken abends immer eine Flasche Wein, sie drei Dezi, ich vier. Ist mir egal, ob das ungesund ist. Obwohl ich ja regelmäßig, neurotisch fast, zu meinem Hausarzt gehe, der mich untersucht und sagt: „Dieter, du hast immer noch die Leberwerte einer 20-jährigen Nonne.“

„Seit 30 Jahren bin ich Ruderknecht”

Beruhigend.

Nicht wahr? Obwohl ich auch einiges dafür tue. Jeden Tag versuche ich, meinen Körper eine Stunde auf Höchstleistung zu bringen. Seit 30 Jahren bin ich Ruderknecht.

Auf dem See?

Nein, das ist mir zu kompliziert und langwierig. Auf der Rudermaschine. Der Concept2. Das ist die einzige Maschine, die funktioniert. Und dann bin ich bekannt dafür, dass ich die einzige zen-buddhistische Sportart, die der Westen erfunden hat, praktiziere: Golf. Ich war sogar mal Nationalspieler junior. Ich bin süchtig nach diesem Schwung, diesem perfekt getroffenen Ball. 

2014 haben Sie mit „Out of Chaos“ Ihr erstes musikalisches Soloprojekt herausgebracht. War Boris Blank eifersüchtig?

Nein. Erst nachdem er mich live gesehen hat, war er überhaupt dazu bereit, auch einmal mit Yello auf Tour zu gehen. Davor hatte er unter anderem immer Angst davor, dass ich auf der Bühne die Töne nicht treffe.

2016 haben Sie dann zum ersten Mal große Hallen mit Yello gefüllt. Wie hat sich das angefühlt?

Im Unterschied zu meiner akustischen Band-Tour war es anspruchsvoller und bedeutend weniger lustig. Die Rhythmusgebilde vom Blank sind sehr komplex und du musst die Einsätze treffen. Sonst läuft die Maschine weiter und du hast den Song verloren. Es war aber lustig genug, und sogar Boris ist auf den Geschmack gekommen. Darum sind wir jetzt dabei, eine etwas abenteuerlichere Live-Show zu entwickeln, improvisierter, mit mehr Risiko. 2020 wollen wir dann noch einmal auf Tour.

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Dieter Meier bei einem Konzert mit Kraftwerk

Sie sind 73 Jahre alt, wechseln zwischen mehreren Wohnsitzen auf der ganzen Welt, eröffnen Geschäfte, Ausstellungen und Konzerte. Haben Sie nie das Gefühl, dass es zu viel wird?

Doch. Mit dieser Schokoladenfabrik habe ich Geister gerufen, die ich mir so nicht vorgestellt habe. Das hat aber nichts mit meinem Alter zu tun, sondern das ist einfach eine sehr große Nummer. Ich bin seit drei Jahren dabei, diese Fabrik für viele Millionen zu bauen und Investoren zu finden. Ich reise viel rum dafür, der Druck ist hoch. Das hält mich auch von der Kunst ab. Meine Ateliers sehen so aus, als hätte vor drei Jahren jemand flüchten müssen.

Flüchten möchten Sie auch nach dem Ende Ihres Besuchs auf dem Planeten Erde – und zwar in die Tiefen des Universums. Das schreiben Sie jedenfalls in Ihrem autobiografischen Buch „Out of Chaos“. Glauben Sie an ein Leben nach dem Tod?

Ich glaube vor allem an die Unendlichkeit des Universums. Wir wissen allerdings erst sehr wenig darüber. Ich habe viele Bücher über das Weltall und immer, wenn ich mir Bilder vom Universum angucke, gibt mir das eine unglaubliche Fröhlichkeit angesichts der lächerlichen Unbedeutung meiner Person und dieses Irrsinns, den wir auf der Welt betreiben. Was könnten wir für einen wunderbaren Planeten haben? Stattdessen verseuchen wir ihn mit lauter unsinnigem Zeug. In diesem Universum, schreiben Sie, wartet seit dem Urknall ein perfekt gekühltes Bier auf Sie. Denn leider kann kein Gott einen guten Dry Martini Martin im All garantieren.

Richtig. Das Problem des Dry Martini ist ja, dass er so denkbar einfach ist und deshalb oft so schlampig gemacht wird. Es ist vielleicht versnobt, das eine Katastrophe zu Ich fonennen, aber wenn ein Barkeeper den Wodka aus dem Eisfach nimmt, geht das gar nicht. Ein Dry Martini muss die genau richtige Portion Wässrigkeit haben. Das wird schwierig im All. Aber einen Planeten, wo ein Bier drei bis vier Grad hat, wie sich das gehört, wenn es zischen soll: Der sollte doch zu finden sein.

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