Interview über deutsche Filmszene„Autoren sitzen zu oft am Katzentisch“

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Die Drehbuchautoren Arne Nolting,  Orkun Ertener und Jan-Martin Scharf  (v.l.) veröffentlichen mit mehr als 70 weiteren Drehbuchautoren "Kontrakt 18". "Kontrakt 18" soll bestimmte Vertragsstandards festlegen und sichern.

Herr Ertener, Herr Nolting, Herr Scharf, Sie haben mit anderen Drehbuchautoren den „Kontrakt 18“ verfasst, den mittlerweile mehr als 90 Kollegen unterschrieben haben und der festlegt, unter welchen Bedingungen Sie künftig in Vertragsverhandlungen treten werden. Die zentrale Forderung ist, dass ohne Ihre Zustimmung nichts an Ihren Büchern geändert werden darf.

Orkun Ertener: Ja, das ist der wichtigste Punkt, weil er zusammenfassend formuliert, was wir erwarten: Die Kontrolle über unser eigenes Werk. In Deutschland wird Autoren die kreative Kontrolle regelmäßig entzogen, unter anderem weil wir hier eine Tradition des Primats der Regie haben. Fernsehen ist eigentlich Autorenland, aber bei uns nicht. Es geschehen zu oft keine begründeten Änderungen, sondern sie werden unabgesprochen und aus geschmäcklerischen Gründen vorgenommen. Obwohl unser Name drunter steht. Zu häufig sitzen Autoren am Katzentisch. Aber da haben sie nichts verloren.

Aber Änderungen müssen sein, oder?

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Jan Martin Scharf: Jeder Drehbuchautor hat volles Verständnis dafür, dass Dinge geändert werden müssen. Immer. Aber sie werden teilweise nicht vom Autor selbst geändert, und man wird auch nicht darüber informiert. Und dabei passieren dann oft Fehler, die nicht sein müssten. Und dafür wird dann wiederum der Autor verantwortlich gemacht, weil es Buchfehler sind.

Arne Nolting: Im besten Fall arbeitet man vertrauensvoll mit Regie und allen beteiligten Kräften daran, das bestmögliche Resultat zu erzielen. Aber uns geht es darum, dass es momentan keine Verpflichtung dazu gibt. Bei Verträgen reden wir ja immer über den worst case, und wir wollen einfach verhindern, dass man sein eigenes Buch nicht mehr wiedererkennt.

Sie sprachen eben vom Primat der Regie. Ist es Ihnen deshalb so wichtig, über die Auswahl des Regisseurs mitzubestimmen?

Scharf: Der Autor denkt ja darüber nach, wer der Beste wäre, um aus seinem Buch einen Film zu machen. Der, der die Geschichte erfunden hat, hat eben eine klare Vision davon, mit wem er gerne zusammenarbeiten würde und er weiß auch, mit wem es schon mal nicht so gut geklappt hat. 

Nolting: Im besten Fall wird ja auch darüber gesprochen. Es ist nur keine Selbstverständlichkeit. Man kann es nicht einfordern, sondern ist auf das Wohlwollen von Sender und Produzent angewiesen. Wir wollen, dass das vollkommen selbstverständlich wird.

Ertener: Es geht auch um junge Autoren und die Frage, mit welchem Selbst- und Berufsbild sie in die Branche wachsen. Kontrakt 18 soll die Rahmenbedingungen ändern, nicht nur für die, die sich das leisten können und das Renommee haben. Sondern für alle. Wir haben einfach grundsätzlich Probleme in der Branche.

Sie sind etablierte Autoren, die sich einen Namen gemacht haben. Stellt es nicht für Berufseinsteiger vielleicht auch ein Risiko dar, den Kontrakt 18 zu unterschreiben?

Scharf: Wir haben mit niemandem gesprochen, der gesagt hat: „Das wäre nicht mein Wunsch, exakt so behandelt zu werden.“ Aber es gibt Unterschiede in der Bereitschaft zu sagen, ich mache das so oder gar nicht. Natürlich ist die Angst vor Repressionen vorhanden.

Ertener: Es gibt Kollegen, die das sehr ernsthaft für sich abgewogen haben und gesagt haben: „Ich kann mir im Moment nicht leisten, das zu unterschreiben. Ich wünsche mir aber dieses Klima.“ Es gibt tatsächlich unter uns eine große Aufbruchsstimmung und Kampfbereitschaft. Was die anderen Gewerke dazu sagen, wird sich zeigen.

Was glauben Sie denn, wie Ihr Kontrakt in der Branche aufgenommen werden wird?

Ertener: Ich habe zum Beispiel mit einer Produzentin gesprochen, die uns unterstützt und sagt, oft sei es so, dass ihr die Hände gebunden seien. Der natürliche Verbündete des Produzenten ist eigentlich der Autor, gerade bei Serien. Wenn es strukturelle Änderungen gäbe, würde das auch unseren Partnern helfen, die Filme zu verbessern.

Nolting: Bisher ist das Feedback sehr positiv. Es herrscht ja eine große Einigkeit, mehr Rechte für Autoren einzufordern und ihnen einen höheren Stellenwert zu geben. Man läuft da gegen Gummiwände. Aber wie das dann konkret aussieht und dass man dafür auch eine vertragliche Teilhabe schaffen muss, ist eine andere Frage.

Wenn sich alle einig sind, warum muss man dann überhaupt solche Forderungen aufstellen?

Nolting: Es sind vielfach Lippenbekenntnisse. Es ist leicht zu fordern, den Autoren mehr Macht zu geben. Aber man muss dann auch Macht abgeben. Da ist das Problem. Die Bereitschaft, Macht und Kontrolle abzugeben, ist deutlich geringer ausgeprägt.

Ertener: Wir haben in Deutschland eine Situation, wo alle kreativ sein wollen. Spätestens in den 90er Jahren hat eine Schlacht um Kreativität begonnen. Und das nicht nur zwischen den Menschen, die dafür von Berufs wegen zuständig sind. Es ist die Sicht entstanden, dass alle mitreden können. Und dann sitzt man zu acht an einem Tisch und alle wollen an dem Bild mitmalen.

Nolting: Es ist wirklich schön, wenn Ideen von anderen Gewerken kommen, aber der Umgang damit muss stimmen. Wenn man gezwungen ist, Ideen der anderen anzunehmen, weil man nicht den Hut auf hat, läuft etwas falsch. Dann gibt es zu viele Köche, zu viel Brei, und das ufert einfach aus.

Ertener: Es geht um die Frage des kulturellen Übergangs vom Dienstleister, der mit seinem Drehbuch scheinbar nur „Vorschläge“ macht, zum Verantwortlichen. Wir sind keine Dienstleister.

Wie Sie ja selbst sagen, bedeutet mehr Einfluss der Autoren weniger Macht für andere. Könnte das für Konflikte sorgen?

Ertener: Das ist uns ganz wichtig: Es geht nicht um eine Machtübernahme. Aber darüber wird bestimmt diskutiert werden. Wir wollen keine Machtfragen stellen, wir wollen Augenhöhe. Es gibt das Viereck Sender, Produzent, Regisseur und Autor. Und die, die am längsten daran arbeiten, sind Autor und Produzent.  Doch der Autor, der am kompetentesten ist, was sein Werk angeht, hat am wenigsten zu entscheiden. Wir wollen das Viereck wiederherstellen.

Mehr Einfluss im kreativen Prozess bedeutet auch mehr Arbeitszeit, die Sie investieren müssen. Forderungen nach besserer Vergütung stellen Sie aber nicht. War das eine bewusste Entscheidung?

Nolting: ja, das war eine sehr bewusste Entscheidung. Wir wollten über die Rahmenbedingungen und kreative Kontrolle reden und darüber, wie wir behandelt werden. Eine gerechtere Entlohnung soll dem folgen, aber das ist nicht der Kern von Kontrakt 18. Dabei geht es um unsere Stellung in der Branche.

Ertener: Das Charmante am Kontrakt 18 ist, dass er helfen wird, die Qualität zu verbessern, ohne dass es einen Cent kostet.

Warum hat es eigentlich so lange gedauert, sich zusammenzuschließen? Waren die Diskussionen über die Behandlung der Autoren beim Fernsehpreis der Auslöser?

Ertener: Die Proteste rund um den Fernsehpreis waren ja nur ein Symbol. Ein starkes, tolles Bild, aber deshalb hat sich ja in der alltäglichen Arbeit nicht sofort etwas geändert. Die Geschehnisse um den Fernsehpreis waren vielleicht der letzte Schubs, den es gebraucht hat.

Scharf: Drehbuchautoren sind oft sehr bescheiden und das führt dazu, dass die Bedeutung ihrer Urheberschaft viel zu wenig respektiert wird. Entsprechend werden sie auch deutlich zu wenig in der Branche und in der Öffentlichkeit  repräsentiert. Aber wir wollen dem ein Ende setzen. Autoren sind Individualisten, und es war eine Herausforderung, sich zusammenzutun. Aber jetzt, wo es gelungen ist, herrscht Aufbruchsstimmung.

Das Interview führte Anne Burgmer

Inhalt des Kontrakt 18

Punkt 1: Die Autorin/der Autor verantwortet das Buch bis zur endgültigen Drehfassung. Sämtliche Bearbeitungen des Buchs müssen von der Autorin/vom Autor autorisiert werden.

Punkt 2: Die Autorin/der Autor hat Mitspracherecht bei der Auswahl der Regisseurin oder des Regisseurs. Die Entscheidung über die Besetzung der Regie wird einvernehmlich getroffen.

Punkt 3: Die Autorin/der Autor wird zu den Leseproben eingeladen.

Punkt 4: Der Autorin/dem Autor wird das Recht eingeräumt, die Muster und den Rohschnitt zum frühestmöglichen Zeitpunkt sehen und kommentieren zu können. Sie/Er wird zur Rohschnitt-abnahme eingeladen.

Punkt 5: Die Autorin/der Autor wird bei allen Veröffentlichungen in Zusammenhang mit dem Filmprojekt namentlich genannt und zu allen projektbezogenen öffentlichen Terminen eingeladen.

Punkt 6: Die Unterzeichnerinnen und Unterzeichner verpflichten sich dazu, Aufträge zu Buchüberarbeitungen  nur anzunehmen, wenn sie sich zuvor mit den aus dem Projekt ausscheidenden Kolleginnen und Kollegen verständigt haben.

Die Autoren

Orkun Ertener, Jahrgang 1966, arbeitet als Drehbuchautor und Schriftsteller. Die von ihm entwickelte Serie „KDD – Kriminaldauerdienst“ gewann unter anderem den Grimme-Preis. Ertener schreibt auch „Tatort“-Folgen.

Jan Martin Scharf, Jahrgang 1974, ist Regisseur und Drehbuchautor. Besonders die beiden Serien „Weinberg“ und „Club der roten Bänder“, für die er gemeinsam mit Arne Nolting (Jahrgang 1972) die Drehbücher schrieb, wurden vielfach ausgezeichnet.

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