Interview zur lit.Cologne„Auch das Telefonbuch kann Lyrik sein”

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Rainer Osnowski

Rainer Osnowski

Köln – Herr Osnowski, an diesem Dienstag startet die 19. lit.Cologne. Geht es den Besuchern eigentlich in erster Linie um den konkreten Inhalt der jeweiligen Veranstaltung oder ist die Marke, der Wunsch bei diesem Event dabei zu sein, mittlerweile größer? Sie könnten doch vermutlich auch die Veranstaltung „Lieschen Müller liest das Telefonbuch vor“ anbieten und sie wäre ausverkauft.

Die Marke kann nur so groß sein, weil wir uns um jede Veranstaltung bemühen. Wenn Lieschen Müller das Telefonbuch vorlesen möchte, müsste sie uns das vorstellen und wenn dahinter ein bestimmtes, spannendes Konzept stehen würde – vielleicht könnte man daraus ja interessante Lyrik basteln –, würden wir uns das genau anschauen. Würde es uns inhaltlich überzeugen, wäre uns der fehlende große Autoren- oder Schauspielername egal. Dann würden wir sagen: Lieschen Müller liest das Telefonbuch vor. Aber in unserem Sinne. Das ist das Geheimnis. Die Menschen können zur Marke lit.Cologne gehen, weil sie uns dahingehend vertrauen, wie wir Literatur, Themen, Begegnungen für jede einzelne Veranstaltung erlebbar machen.

Aber ohne die großen Namen geht es nicht, oder?

Zu einem großen internationalen Festival gehören natürlich große literarische Namen wie in diesem Jahr Annie Ernaux, Martin Suter oder Julian Barnes. Aber unser Publikum folgt im großen Stil auch den unbekannteren Autoren, die wir im Programm haben, weil die Erfahrung über die Jahre gezeigt hat, dass bei der Programmauswahl echte Überzeugung steckt. Wir gehen eben nicht mit Automatismen an die Sache.

Fahnen über der Stadt

Fahnen über der Stadt

Wie planbar ist Erfolg? Wenn Cordula Stratmann und Bjarne Mädel über Beleidigungen sprechen, das ist ein Selbstläufer, oder?

Natürlich sind Cordula Stratmann und Bjarne Mädel als kongeniales Duo in gewisser Art und Weise ein Selbstläufer. Wegen der riesigen Nachfrage gibt es hier gleich drei Vorstellungen. Aber das haben wir uns auch über die Jahre erarbeitet. Die Abende, bei denen wir ein Thema oder eine Figur in den Mittelpunkt stellen, sind ja seit Jahren ein wichtiger und extrem erfolgreicher Bestandteil der lit.Cologne. Dabei suchen wir uns ein Thema und prüfen, ob man das literarisch fassen kann.

Wie viele große Namen als Zugpferde braucht man denn?

Es gibt da keine Prozentzahlen. Viel wichtiger ist, dass wir ein gewichtiges Programm zusammenstellen, das inhaltlich überzeugt. Dazu gehören die aktuellen deutschen und internationalen Bestseller, aber eben auch Entdeckungen oder Nachwuchsautoren und -autorinnen, deren deutscher Text von den größten deutschen Schauspielerinnen und Schauspielern wie beispielsweise Katja Riemann, Maria Schrader, Matthias Brandt oder Joachim Krol gelesen werden.

Es gibt Namen, die einem jedes Jahr begegnen. Muss man sich nicht auch konstant erneuern und mal neue Gesichter präsentieren?

Wir erneuern uns beständig, indem wir für jedes Festivaljahr mehr als 1000 mögliche interessante Veranstaltungen prüfen. Bei den dann ausgewählten etwa 200 Programmpunkten kommen neben dem Bewährten auch immer wieder neue Gesichter hinzu, diese Mischung macht es aus. Und Köln kann es ja durchaus vertragen, wenn wenigstens einmal im Jahr die wirklich großen Namen in der Stadt vorbeischauen.

Gibt es so etwas wie ein Motto für die 19. Ausgabe?

Ein klassisches Motto im wortwörtlichen Sinne gab es bei lit.Cologne nie. In jedem Fall ist es dieses Jahr wieder mit einem Ausrufezeichen politisch. Ob es das Thema künstliche Intelligenz ist, das wir mit Miriam Meckel und Frank Schätzing beleuchten, oder ob es um die Frage geht „Ist die Erde noch zu retten?“ mit Richard David Precht, Robert Habeck und dem Klimaforscher Hans Joachim Schellnhuber. Aktueller geht es kaum. Ein Abend zum Thema Grenzen wird moderiert von Carolin Emcke, da setzen wir noch mal ein Zeichen in dieser Heimat-, Grenzen- und Flüchtlingsdebatte. Dazu haben wir einen Abend als Rückblick auf den NSU-Prozess. Wir wollen Themen der Zeit abbilden, damit unsere Besucher sich dann damit inhaltlich auseinandersetzen können.

Jedes Jahr ist der Kartenverkauf ein großes Thema. Es gibt häufig Unmut, weil die Veranstaltungen so schnell ausverkauft sind.

Wie Köln Ticket uns sagt, greifen zu Beginn parallel mehr als 15 000 Menschen auf die Homepage zu. Wenn man sich diese Menge an Menschen bildlich an einer Vorverkaufsstelle vorstellt, wird einem klar, welcher Druck auf die einzelnen Veranstaltungen besteht und kann sich vorstellen, dass es schwer ist, alle Wunschkarten zu bekommen. Das Internet ist Fluch und Segen zugleich. Einerseits können die Menschen leicht zugreifen, anderseits sehen sie nicht, dass neben ihnen noch andere Karten kaufen. Aber dennoch haben ja mehr als 100 000 Menschen ihre Wünsche erfüllt bekommen!

Ist das lit.Cologne-Publikum besonders treu?

Mit dem Festival haben wir vor 19 Jahren einen Nerv getroffen, unser Publikum hat sich mit uns entwickelt. Das zeigen auch die Gästebuch-Einträge der Autoren. Ob Autoren aus den USA, aus England, Frankreich oder Deutschland, alle stimmen überein, dass sie solch ein aufmerksames und empathisches Publikum noch nie gesehen haben. Das hat nichts mit der oft gefälligen Selbstüberschätzung der Kölner zu tun, sondern mit echten Rückmeldungen von außen. Es scheint also ein besonderes Publikum in Köln zu geben, das nicht nur zu den Highlight-Veranstaltungen geht, sondern neugierig dem lit.Cologne-Programm folgt.

Muss man eigentlich jedes Jahr einen neuen Rekord vermelden?

Das tun wir gar nicht. Wir werden dieses Jahr die phantastische Marke von mehr als 100.000 Besuchern erreichen und uns damit ungefähr auf dem Niveau des Vorjahres bewegen. Die Auslastung zwischen 95 und 98 Prozent ist ohnehin kaum zu steigern.

Zur Person

Rainer Osnowski wurde 1959 in Leverkusen geboren. Gemeinsam mit Werner Köhler und Edmund Labonté gründete er 1999 das Literaturfestival lit.Cologne. Heute ist Osnowski Geschäftsführer des Kölner Festivals, das an diesem Dienstag startet.

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