Jamaika-Diskussion bei „Maybrit Illner“„So unendlich scheiß viele Aufgaben zu lösen“

Lesezeit 4 Minuten
habeck

Robert Habeck (Grüne) beschwerte sich über die mediale Aufmerksameit rund um die Sondierungsgespräche.

Berlin – Tagsüber hatten sie sich noch gezofft und waren danach mit sehr allgemeinen Aussagen vor die Presse getreten. Abends saßen dann einige schon wieder zusammen, bei Maybrit Illner. Die sich offenbar als Protokollantin des Fortschritts bei den Gesprächen über eine Jamaika-Koalition zu verstehen scheint, so konsequent widmet sie ihre Talkshow den Sondierungen. Und musste von Robert Habeck, grüner Umweltminister aus Schleswig-Holstein, hören, dass die Verhandlungen auch deshalb so schwierig seien, weil die Teilnehmer verstärkt unter medialer Beobachtung stünden. Eben.

Und vor der ZDF-Kamera agierten die drei Vertreter von CDU, FDP und Grünen dann auch hektisch; kaum einmal konnte einer ausreden, besonders aber konnte Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverbandes, kaum einmal einen Satz zuende bringen, ohne dass nicht Jens Spahn (CDU) oder Wolfgang Kubicki (FDP) dazwischenfunkten. Umso bedauerlicher, als Schneider ja quasi als Gegenpol zu den potenziellen Koalitionären eingeladen war und kompetente Antworten nicht nur auf die Titelfrage des Abends geben hätte können: Jamaikas Griff in die Kasse – wer guckt am Ende in die Röhre?“

Spahn und der Fetisch der „Schwarzen Null

Die Antwort gab Jens Spahn, bis vor kurzem Parlamentarischer Staatssekretär im Finanzministerium, recht unverblümt. Von Schneider angesprochen auf die Hartz IV-Empfänger verwies er auf diejenigen, die „ihre Steuern zahlen“ und so zum Sozialsystem beitrügen. Zudem gingen bereits mehr als 50 Prozent des Bundeshaushalts ins soziale Netz. Das klingt allemal gut, kann aber auch dazu dienen, ein „weiter so“ zu legitimieren, und in der Tat hörten sich die meisten Argumente von Spahn so an, als habe der Grüne Robert Habeck wenig Chancen mit seiner Absicht, „die Leute im unteren Lohnsteuerbereich als erste abzuholen“.

iller123

Die Diskussionsrunde am Donnerstagabend bei Maybrit Illner.

Und in seiner Dauerfehde mit Schneider (den er meinte als Mitglied der Linkspartei „entlarven“ zu müssen), polemisierte Spahn, man könne Probleme nicht „mit immer nur mehr Geld“ lösen, während der Verbandschef auf konkrete Mängel hinwies wie die maroden Schulen, bei denen ein Investitionsbedarf von 36 Milliarden Euro bestehe.

Aber wie seinehemaliger Chef Wolfgang Schäuble besteht Spahn auf dem Fetisch der „Schwarzen Null“. Grund: Deutschland habe „so eine Glückssituation“ mit den aktuellen Überschüssen. Schneider dagegen findet es „unsinnig, keine Schulden zu machen“ zu einem Zeitpunkt,  da das Geld so billig sei. Immerhin lasse die Verfassung, so ein Hinweis von Habeck, einen Spielraum von 0,35 Prozent des Bruttoinlandsprodukts zu.

Jamaika verlangt den Grünen viel ab

Als ein Weg, mehr ausgeben zu können, gilt die Abschaffung des Solidaritätsbeitrags, heftig gefordert von der FDP, andernfalls, so Kubicki in einem Anfall von Leidenschaft, würden „viele Menschen verzweifeln“. Dabei hätten die unteren Einkommen gar nichts vom Wegfallen des „Soli“, die Besserverdienenden hingegen schon. Eine andere Geldquelle wäre die Vermögenssteuer, aber da sind die Konservativen vor.

Robert Habeck, der durch seine klugen, abwägenden Beiträge einen angenehm-ruhigen neuen Ton in Illners Talkrunde brachte, gestand da die erste Niederlage seiner Partei: Das sei nicht mehr Teil der Sondierungen. Diese Entscheidung deutet an, wie schwer es für die Grünen sein wird, in einer Jamaika-Koalition noch ein einigermaßen klares Profil zu behalten.

Tranparenz – immer gewollt, kaum geschaffen

Habeck tröstet sich einstweilen mit der Hoffnung, Steuerschlupflöcher schließen zu können, etwa mit größerer Transparenz und dem Zwang, Steuern da zu zahlen, wo das Einkommen erzielt wird– was natürlich auf die US-Großkonzerne wie Amazon, Google und Apple zielt. Das brächte nach Kubickis Schätzungen 50 bis 60 Milliarden Euro. Schneider goss da aber Wasser in den Wein. „Transparenz“ sei eine „Nebelkerze“, denn die EU beschäftige sich schon seit 2013 mit dem Thema  – ergebnislos.

Gabor Steingart, konservativ gesinnter Herausgeber des „Handelsblatts“, gestand Schneider zu, dass er einen Teil der Wirklichkeit korrekt beschreibe, hob aber darauf ab, dass es nicht um Umverteilung gehe, sondern um „Ertüchtigung“ und das Erreichen von „sozialer Mobilität“. So müsse man die Berufsschulen ausbauen, weil dort viele der in jüngerer Zeit ins Land Gekommenen lernen würden. Im übrigen beklagte der Journalist, dass das Armutsthema die Aufgabe der Digitalisierung in der öffentlichen Debatte verdränge.

Kubicki umgarnt Habeck

Maybrit Illner, die bisweilen Mühe hatte, für Verständlichkeit zu sorgen beim Durcheinanderreden der Herrenrunde, fragte schließlich, ob die Politik nicht überfordert sei mit von den „Jahrhundertaufgaben“, die sich in jüngerer Zeit gestellt hätten, angefangen von der Wende über die Zuwanderung, das Klima bis hin zur Mobilität; dazu wäre noch die Digitalisierung zu zählen.

Und sie erhielt von Habeck, in Schleswig-Holstein auch für Digitalisierung zuständig, als Antwort den Stoßseufzer: „Es gibt so unendlich scheiß viele Aufgaben zu lösen“. Christdemokrat Spahn dagegen will erstens „Vertrauen zutrückgewinnen“ und zweitens „Lust auf Zukunft machen“.

Auf Illners Schlussfrage, was die Herren zuerst streichen würden, wurde mehrheitlich der Etat für die Bundeswehr genannt. Gabor Steingart drehte am großen Rad und wollte dem Föderalismus ans Leder. Auch hält er eine Jamaika-Koalition nicht für alternativlos; da sei die Messe noch nicht gesungen. Doch Wolfgang Kubicki hielt mit einem überraschenden Kompliment dagegen;: „Wenn die Grünen Habeck nach Berlin holen, dann hält Jamaika.“

„Maybrit Illner“, ZDF, von Donnerstag,  26. Oktober, 22.15 Uhr. Im Netz: ZDF Mediathek.

KStA abonnieren