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Jan Böhmermann wird 40Die „Krawallschachtel“, die Lukas Podolski beleidigte

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Jan Böhmermann

Jan Böhmermann

Köln – Jan Böhmermann ist 26, als er das erste Mal in der „Harald Schmidt Show“ auftritt. Er sieht aus wie 16. Die Kleidung ist ungewohnt leger, das Haar noch braun. Nur die Geheimratsecken kündigen sich schon an. So bleibt mehr Platz für das Lausbubengesicht des Polizistensohns aus Bremen.

Der Mann, der Lukas Podolski beleidigte

Schmidt kündigt ihn als den Mann an, der Lukas Podolski beleidigt hat und von diesem verklagt wurde. Das ist 2007 sein claim to fame: In „Lukas’ Tagebuch“, seiner Kolumne im Jugendradiosender 1Live, parodiert Böhmermann den Fußballer weniger, als dass er ihn mit grobem Pinsel als Vollspacken karikiert. Fair ist das nicht.

Das Klischee ist viel älter als der Humorist. Oder macht sich das „Tagebuch“ über diese Stereotype lustig? Den Ausspruch des Radio-Lukas „Fußball ist wie Schach – nur ohne Würfel!“ übernehmen viele Medien als echtes Podolski-Zitat.

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Die Kunst des Humors in Anführungszeichen

Die Kunst des Humors in Anführungszeichen hat Böhmermann bei Harald Schmidt gelernt, lange bevor er 2009 ins Team von dessen Show wechselt. Das Talent zum Skandal ist jedoch sein ganz eigenes. Wenn Schmidt und Böhmermann sich heute zum jeweils anderen öffentlich äußern, klingt das nicht besonders freundlich.

Harald Schmidt nennt ihn "Krawallschachtel"

Er hätte früh gewusst, dass es Böhmermann nicht als Moderator schaffen werde, nur als Krawallschachtel, ätzt Schmidt. Er möchte auf keinen Fall als Videokolumnist bei „Spiegel Online“ enden, gibt Böhmermann zurück.

Tatsächlich trennen die beiden  Welten: Schmidt würde niemals seine ironische Haltung zu allem und jedem aufgeben. Das macht ihn nicht zum Zyniker: Es geht Schmidt darum, sich als Humorist mit keinem Anliegen gemein zu machen. Harald habe immer gesagt, nach der Ironie komme das Pathos, erklärt Böhmermann: „Das stimmt nicht. Nach der Ironie kommt die Wirklichkeit.“

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In Böhmermanns Verständnis ist Ironie eine postmoderne Bequemlichkeitsfalle. In etwa so, wie es der US-Autor David Foster Wallace formuliert hat: „Ich denke, die heutige Ironie sagt nicht mehr, als: »Wie total banal von dir zu fragen, was ich wirklich meine.«“

Auch Böhmermann ist ein Virtuose im Spiegelkabinett des Uneigentlichen. Nur dass es bei ihm stets einen Ausgang gibt und gerade seine größten Skandale sich am Ende als hochmoralische Lehrstücke entpuppten.

So wie der „Erste Türkische Karnevalsverein Deutschlands“, den er 2009 für eine RTL-Comedyshow erfand und zu dessen Pressekonferenz Journalisten aus ganz Deutschland nach Köln anreisten. Als Vereinsvertreter forderte Böhmermann eine Türken-Quote und weniger Freizügigkeit im Fastelovend.

Virtuose Streiche

Die Reaktionen fielen heftig aus – und offen rassistisch.  Ob er damals selbst überrascht war, wie zielgenau seine Aktion die fehlende Integrationswilligkeit der deutschen Mehrheitsgesellschaft offen gelegt hatte?

Seine nachfolgenden Streiche zeugen jedenfalls von immer größerer Virtuosität in der Kunst, den jeweils passgenauen Finger für die gerade blutende Wunde zu finden.

Sein Meisterstück wird wohl für immer #Varoufake bleiben. Zur Erinnerung: Im März 2015 konfrontiert Günther Jauch in seiner Talkshow den griechischen Finanzminister Yanis Varoufakis mit einem Video, in dem dieser den Stinkefinger zeigt. Ein Fälschung, behauptet Varoufakis.

Günther Jauch und der griechische Stinkefinger

Drei Tage später veröffentlicht Böhmermann ein Video, in dem er zeigt, wie er den Stinkefinger in den betreffenden Ausschnitt hineinkopiert hat. Jauch sei einer Fälschung aufgesessen. Erneut ist die  Aufregung riesig. Einem Finanzminister kann man plötzlich ebenso wenig trauen  wie einem Talkmaster.

Die Empörungszyklen der sozialen Medien tragen genauso wenig zur Aufklärung bei, wie es die Beschwichtigungspolitik der großen Sender tut. Am Ende war die Fälschung gefälscht, und Böhmermann hatte der Öffentlichkeit das Rüstzeug für Trumps postfaktische Präsidentschaft mitgegeben.

Erdogan-Witz als Staatsaffäre

An das berüchtigte Schmähgedicht an den türkischen Präsidenten Erdoğan muss man dagegen wohl kaum erinnern, ein Zitat des Dichters genügt: „Wenn ein Witz eine Staatsaffäre auslöst, ist das nicht das Problem des Witzes, sondern des Staates.“

Und wenn Böhmermann auf etwas stolz sein kann, dann darauf, dass er für die Streichung des Majestätsbeleidigungs-Paragrafen aus dem Strafgesetzbuch verantwortlich war.

Leider ist ihm die Kunst des versteckten Selbstlobs auch nicht fremd. Seine Ausflüge in Ausstellungs- („Deutschland“) und Verlagswesen (das Twitter-Tagebuch „Gefolgt von niemanden, dem du folgst“) dienten eher der Selbst-Bespiegelung als derjenigen der Verhältnisse.

Sehnsucht nach großen Fernsehformaten

Andererseits: Er hat es auch nicht leicht. Beherrscht das Spiel der sozialen Medien wie kein anderer Aufklärer in Deutschland, aber sehnt sich nach den großen Fernsehformaten seiner Kindheit. Mit seinem 40. Geburtstag an diesem Dienstag muss er sich nun endgültig vom Jugendbonus verabschieden, und doch lässt ihn sein Heimatsender, das ZDF, nicht vor 23 Uhr auf den Bildschirm. Dabei gehört der Mann mit dem Lausbubengesicht in jedes Schulbuch.

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