Je höher, desto wenigerNeue Studie zum Frauenanteil in deutschen Berufsorchestern

Lesezeit 4 Minuten
GettyImages-465388739

In deutschen Orchestern spielen viele Frauen - wenigstens in den Violinen.

Bonn – Wer das Konzert eines deutschen Sinfonieorchesters besucht, könnte – der erste Eindruck jedenfalls legt sie nahe – zu der Ansicht gelangen, dass die Gleichberechtigung in diesem Bereich auf einem sehr guten Weg ist. Musste man etwa vor 30 Jahren noch bei den Berliner oder Wiener Philharmonikern nach Kleidern inmitten all der Fräcke suchen, so sieht man heute Frauen, wohin man auch schaut.

Eine Studie des Deutschen Musikinformationszentrums (miz), der Info-Abteilung des Deutschen Musikrats, die am Dienstag (passend zum bevorstehenden Weltfrauentag) in einer Online-Pressekonferenz vorgestellt wurde, gießt allerdings Wasser in den Wein der durch den Augenschein geweckten Zuversicht. Gerade „die Spitzenorchester haben“, fasste miz-Leiter Stephan Schulmeistrat die Ergebnisse der Untersuchung zusammen, „Nachholbedarf“. Die Studie wertet eine 2020 vorgenommene Umfrage unter den 129 öffentlich finanzierten Orchestern in Deutschland aus und schlüsselt die Daten nach verschiedenen Parametern auf.

Die „Glasdecke“ gibt es auch hier

Durchschnittlich lag der Frauenanteil auf Voll- und Teilzeitstellen demzufolge bei 39,6 Prozent. Ein ordentlicher Befund, mag man sagen, in den Vorständen von deutschen Dax-Unternehmen sieht es anders aus. Aber eine Orchesterkommunität ist eben auch kein Vorstand. Tatsächlich trübt sich das Bild, schaut man einmal genauer hin – die „gläserne Decke“ für Frauen gibt es auch hier. Kurz gefasst: Je besser die Orchesterqualität und je höher die Position in der jeweiligen Stimmgruppe, desto weniger Frauen sind anzutreffen. Kommen beide Kriterien – Qualität (der 21 höchstdotierten Orchester) und Position (Konzertmeister-, Stimmführer- und Solopositionen) – zusammen, schrumpft der weibliche Anteil auf 21,9 Prozent. In niedrigeren Dienststellungen und zumal im Tutti liegen Frauen hingegen nahezu gleichauf mit den männlichen Kollegen.

Bei den über 45-jährigen dominieren die Männer

Ein interessantes Resultat ergibt die Aufschlüsselung der Geschlechteranteile nach Altersgruppen: Unterhalb der Kennmarke 45 Jahre besteht Parität, oberhalb dominieren die Männer mit 66 Prozent. Die Zukunft auch der Orchester scheint also weiblich zu sein. „Es verändert sich vieles“, war dann auch der zuversichtliche Kommentar von Gerald Mertens (Deutsche Orchester-Vereinigung) in der anschließenden Diskussion: „Schauen Sie sich die Nachwuchsorchester an, da liegt der Frauenanteil bei über 50 Prozent.“

Kann man also getrost zuwarten? Wohl nicht, wie die Auskünfte von Orchestermusikerinnen zeigten, die aus der eigenen Lebenserfahrung heraus nach den Ursachen für die Befunde fahndeten. Der männliche Standpunkt „Wir spielen nicht mit Frauen“ mag sich allmählich verflüchtigen, und auch der resignierten Auskunft, dass überwiegend männlich besetzte Auswahlkommissionen beim Vorspiel halt Männer bevorzugen, wurde widersprochen – etwa von der im Staatsorchester Oldenburg spielenden Tubistin (!) Ruth Ellendorff, der nach eigener Auskunft in ihrem Umfeld keine Geschlechterdiskriminierung untergekommen ist und die sich in ihrem männerdominierten Stimmgruppenumfeld wohlfühlt.

Es geht auch um gute Chancen für Kinderbetreuung

Zuvörderst steht der Frauenkarriere im Orchester immer noch das hier verschärft auftretende Problem der Vereinbarkeit von Familie und Beruf im Weg. Da geht es zumal um Kinderbetreuungsmöglichkeiten, die zum Berufsalltag von Orchestermusikern mit abendlichen Auftritten, Tourneen etc. besser passen müssten. Durch die Orchesterhierarchien begünstigte sexuelle Belästigung ist ein anderes Thema, das allerdings seit der MeToo-Debatte aus der Schattenzone der Nichtbeachtung herausgezogen wird.

Zu relativieren dank auch entsprechender Vorbilder bereits im Kindesalter scheint sich hingegen das alte musikalische Geschlechterrollen-Klischee, wonach grundsätzlich Männer an der Trompete und Frauen an der Harfe anzutreffen sind. Sicher, die einschlägige Verteilung ist immer noch signifikant: Der miz-Studie zufolge gibt es die höchsten Frauenanteile bei Harfen, Flöten, zweiten und ersten Violinen. Und die höchsten Männerquoten betreffen Tuba, Posaune, Pauke/Schlagwerk und Trompete.

Das könnte Sie auch interessieren:

Die Berufswelt der Orchester aber hält inzwischen immer mehr gegenläufige Beispiele bereit. Eines ist das der Britin Sarah Willis (Jahrgang 1968), der ein Lehrer einst mitteilte: „Horn ist nur was für Jungs.“ Willis sagte sich daraufhin: Von wegen, dem zeig ich’s – heute ist sie Hornistin bei den Berliner Philharmonikern.

Das Deutsche Musikinformationszentrum (miz), das in Kooperation mit der Deutschen Orchestervereinigung und dem Deutschen Bühnenverein die Studie zur Geschlechterverteilung in den Berufsorchestern des Landes („Am Pult der Zeit!?“) erstellte, ist „nationales Kompetenzzentrum und Anlaufstelle für alle, die Informationen und Daten zum Musikleben suchen“.

KStA abonnieren