Klage gegen WDRJournalist wirft dem Sender „faktisches Arbeitsverbot” vor

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  • Trotz eines Jahresgehalts von rund 100.000 Euro arbeitet der WDR-Redakteur Jürgen Döschner nur noch höchstens fünf Stunden im Monat.
  • Der mutmaßliche Grund: Er hat sich in den Augen des WDR in seinen Beiträgen zu stark gegen die Kohleindustrie im WDR-Sendegebiet positioniert.
  • Jetzt verklagt Döschner seinen Arbeitgeber auf 75.000 Euro Schadensersatz.

Köln – Als der Ukrainekrieg ausbrach, hätte der WDR-Redakteur Jürgen Döschner eigentlich eine Überstunde nach der anderen schieben können: Anfang der 2000er Jahre war der Journalist Studioleiter im ARD-Hörfunkstudio Moskau, er spricht fließend Russisch und reiste 2014 aus Anlass der russischen Militärinvasion in der Ostukraine für Reportagen zum Atomkraftwerk Saporischschija – genau zu dem AKW also, dessen Besetzung nun die Welt in Atem hält.

Zudem war Döschner von 2011 bis 2017 offiziell ARD-„Energie-Experte“, arbeitete in der Investigativredaktion des WDR „Story und Recherche" als Reporter mit dem Schwerpunkt Energie, Umwelt und Klima. Eine journalistische Biographie wie geschaffen für die aktuellen politischen Ereignisse.

WDR-Newsroom reagierte nicht auf Klima-Themenvorschläge von Jürgen Döschner

Döschner bot auch tatsächlich eine Fülle von Beiträgen an – nur: Der dafür zuständige Newsroom des WDR reagierte meist nicht einmal auf die Vorschläge. Ein einziges, direkt vom WDR-5-Morgenecho gebuchtes Interview zum Thema „Atomkraft-Risiko in der Ukraine“ wurde Ende Februar wieder abgesagt. In den vergangenen drei Jahren ist Döschner nur noch ein Zehntel der früheren Zeit auf Sendung, und dann auch meistens in einer der kleinsten WDR-Wellen, „Cosmo”.

Während andere Sender wie DLF, SWR, NDR, HR und Phoenix ihn teils mehrmals in diesem Jahr buchten und ihn dafür extra honorieren mussten, beschäftigt ihn sein eigentlicher Arbeitgeber WDR kaum noch: Trotz eines Jahresgehalts von rund 100.000 Euro arbeitet er nur noch höchstens fünf Stunden im Monat. Der mutmaßliche Grund: Er hat sich in den Augen des WDR in seinen Beiträgen zu stark gegen die Kohleindustrie im WDR-Sendegebiet positioniert.

Jürgen Döschner hat Klage gegen den WDR eingereicht

Am Donnerstag, 27. Oktober, hat Döschner eine Klage gegen seinen Arbeitgeber beim Arbeitsgericht Köln eingereicht: Die Forderung lautet „Geldentschädigung wegen Nichtbeschäftigung”, der Streitwert liegt bei 75.000 Euro. „Wir sind überzeugt, dass wir die Nichtbeschäftigung nachweisen können”, sagt Döschners Anwalt Jasper Prigge auf Anfrage. Es handele sich um ein faktisches Arbeitsverbot.

Die Tatsache, dass sein Mandant ab September 2019 so gut wie keine Berichte, Kommentare oder andere journalistischen Produkte in sämtlichen Ausspielwegen des WDR mehr habe absetzen können, spreche für eine Nichtbeschäftigung. Dies stelle eine schwerwiegende Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts seines Mandanten dar.

Gewerkschaft hatte Beschäftigung beim WDR bereits im April angemahnt

Dabei sei der WDR vorgewarnt gewesen: Auch die Gewerkschaft Verdi hatte im April dieses Jahres schriftlich angemahnt, die faktische Nichtbeschäftigung zu beenden. „Die Entscheidung, ob Beitragsangebote einzelner Redakteur:innen berücksichtigt werden oder nicht, liegt allein im Ermessen der jeweils abnehmenden Programmbereiche”, teilt der WDR dazu auf Anfrage mit.

Auf die Frage, warum – im Gegensatz zu früher – keines der Angebote angenommen wurde, antwortet er nicht.

Besetzung Garzweilers in Kommentar „nicht legal, aber legitim” genannt

Jürgen Döschner möchte sich zu seiner Arbeitssituation nicht äußern. Schon seit einem Kommentar im Jahr 2015 stand er im WDR in der Kritik. Damals hatte er die Besetzung des rheinischen Tagebaus Garzweiler als „nicht legal, aber legitim” bezeichnet und den Vorwurf des Hausfriedensbruch der Klimaaktivisten „absurd” genannt – schließlich störe der Braunkohlekonzern RWE seit Jahren den Frieden ganzer Dörfer und Regionen.

Die Reaktionen des Konzerns waren heftig, es gründete sich eine Facebook-Gruppe namens „RWE-Mitarbeiter gegen den WDR“. Der Sender erließ daraufhin offenbar eine Regel, dass Döschner nicht mehr auf den Sender dürfe, ohne zugleich auch die „Gegenposition“ in demselben Beitrag zu Wort kommen zu lassen.

WDR löschte Beitrag über Laschets Äußerung zum Hambacher Forst

Im September 2019 schließlich löschte der WDR einen Beitrag von Döschner aus der Mediathek, in dem der damalige Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) in einem heimlich aufgenommenen Video einräumte, einen Vorwand für die Räumung des Hambacher Forst gesucht zu haben. Dies soll, einer Mail an einen tagesschau.de-Redakteur nach zu urteilen, nach „Rücksprache mit Jörg Schönenborn”, dem Programmdirektor Information, Fiktion und Unterhaltung, erfolgt sein. Der WDR sagt dazu heute, in diesem Fall seien die internen Abläufe nicht eingehalten worden, „was ein Grund dafür war, den Beitrag zur Prüfung aus dem Programm zu nehmen”.

Zudem habe die angebliche Kernaussage des Videos schon damals keinen Newswert mehr gehabt. „Der WDR und andere hatten längst berichtet, dass die Landesregierung einen Vorwand für die Räumung des Forstes gesucht hatte.” Allerdings: Spekulationen über den Vorwurf gab es schon lange – in dem besagten Video hingegen räumte Laschet dies erstmals selbst wörtlich ein. Auch der Schlichtungsausschuss kam zu der Einschätzung, dass der Beitrag einen Newswert besaß und hätte gesendet werden müssen.

Schlichtungsausschuss des WDR eingeschaltet

Nach der Löschung des Beitrags über das Laschet-Video kamen auch die Redakteursvertretung und der eingeschaltete Schlichtungsausschuss des WDR – ein paritätisch besetztes Gremium mit Vertretern der Redakteure und der Geschäftsleitung – einstimmig zu der Einschätzung, Döschners Beitrag sei „journalistisch einwandfrei” gewesen. Es handele sich um einen Programmkonflikt.

Mehrere Gremien befassten sich in den vergangenen drei Jahren im WDR mit dem Fall Döschner. Der Personalrat stellte sich noch im März dieses Jahres hinter den Reporter. Die Beschwerdestelle, die nach der Untersuchung von Monika Wulf-Mathies zu den MeToo-Fällen im Haus eingerichtet worden war, schaltete Döschner ein, nachdem die damalige Hörfunk-Direktorin Valerie Weber und der Personalchef des WDR ihm vorgeworfen haben sollen, er schade dem Ansehen des Senders. Das Gremium kam im Mai 2019 zu dem Ergebnis, Döschners Beschwerde sei berechtigt, es handele sich beim Umgang des Hauses mit ihm um Machtmissbrauch seitens des WDR.

WDR löste 2019 Redaktion „Story und Recherche” auf

Döschners Redaktion „Story und Recherche” war bereits im April 2019 aufgelöst worden, wenige Wochen nachdem er sich an die Beschwerdestelle gewandt hatte. „Mit der Neuordnung der Programmdirektionen wurden die Stellen dieses Bereichs – wie die zahlreicher anderer Bereiche auch – in den neu gegründeten Newsroom überführt”, so der WDR. Einer Versetzung in den Newsroom habe er widersprochen. Die Empfehlung des Schlichtungsausschusses, Döschner auf einer Position einzusetzen, auf der er seine jahrzehntelange Erfahrung bestmöglich einbringen könnte, fand keine Beachtung.

Eine Beschäftigung im Politmagazin „Monitor” kam nicht zustande. Redaktionsleiter Georg Restle bestätigte auf Anfrage, dass er gerne mit Döschner zusammengearbeitet hätte: „Ich persönlich habe Jürgen Döschner stets als einen hoch professionellen und mutigen Kollegen kennengelernt, der sich traute, sich mit den Mächtigen im Lande anzulegen. Klar, dass das bei Bayer, RWE oder der Landesregierung nicht immer gern gesehen wurde.” Auch ein Wechsel Döschners in den Rechercheverbund von WDR, NDR und „Süddeutscher Zeitung” scheiterte.

Aber wieso setzt sich die Spitze des WDR über sämtliche Beschlüsse hausinterner Gremien hinweg?

Wer sich im WDR umhört, und zwar auf unterschiedlichen Hierarchie-Ebenen, erhält eindeutige Antworten. Von „mafia-ähnlichen Strukturen” ist da mitunter die Rede, von einem „totalen Klimawandel” in einem einst streitlustigen Sender. Wer in Führungspositionen wolle, müsse immer loyal alles abnicken, wer auch mal widerspreche, gelte schnell als Querulant und werde ins Aus befördert. Vergleiche man den Sender mit einem Staat, sei die Gewaltenteilung nicht gegeben.

Schwacher Rundfunkrat

Es gebe zwar überall Gremien, jeder dürfe mitreden, aber im Ergebnis könnten Buhrow, der Programmdirektor Jörg Schönenborn und Co. schalten und walten, wie sie wollen. Das liege auch an einem schwachen Rundfunkrat, der eigentlich alles abnickt, was die Geschäftsleitung will. Buhrow könne sich da auf seinen „Liftboy-Charme” verlassen, wie es einer nennt, der ihn lange kennt. Nach außen sei er stets freundlich und lächele alles weg, im Inneren sei das mitunter ganz anders.

Für die Bundesgeschäftsführerin der Deutschen Journalistinnen- und Journalisten-Union (dju) in ver.di, Monique Hofmann, geht der „Fall Döschner” weit über den individuellen Konflikt hinaus. „Er wirft erneut die Frage auf, wie es im WDR inzwischen eigentlich um den Umgang mit Machtmissbrauch bestellt ist. In einem Sender, der es sich auf die Fahne geschrieben hat, mit besonderem Vorbild in Sachen Machtmissbrauch voranzugehen, stößt der unangemessene Umgang mit einem renommierten Journalisten doppelt auf”, so Hofmann.

Mitarbeiter des WDR betrachten Kontrollgremien mit Skepsis

Buhrow hat nach dem Skandal beim rbb eine einfache Taktik verfolgt. Die Probleme bei den anderen ARD-Anstalten seien bedauerlich und müssten aufgearbeitet werden, beim WDR hingegen seien die Kontrollmechanismen ausreichend. Das sagte er auch im Rundfunkrat. Viele Mitarbeiter sind da weitaus skeptischer. Das gilt auch mit Blick auf die Frage, wie groß die Nähe der WDR-Führung zur Politik und zu großen Unternehmen ist.

„RWE und die Energiekonzerne generell sind ein Wahnsinnsfaktor. Man will es sich mit denen nicht verscherzen”, sagt einer, der lange in Führungspositionen im Haus arbeitete. Dasselbe gilt auch für die Nähe zur Politik. 

Podcast „Klimazone“ abgesetzt

Hofmann sieht beim WDR „eindeutige Hinweise” darauf, dass Döschners Nichtbeschäftigung in Zusammenhang steht mit den Inhalten seiner Beiträge. „Der Fall ist mit Blick auf Vorfälle in anderen Landesrundfunkanstalten aber auch deshalb von höchster Aktualität und Brisanz, weil er ein Schlaglicht wirft auf die Frage, wie (gut) Journalistinnen und Journalisten in den öffentlich-rechtlichen Sendern eigentlich in ihrer Berichterstattungsfreiheit geschützt sind”, so Hofmann.

Besonders in der Schusslinie scheinen Journalistinnen und Journalisten zu sein, die sich mit der Klimakrise beschäftigen. Der WDR hatte zuletzt, wie die meisten öffentlich-rechtlichen Sender, vermehrt über die Klimakrise berichtet, häufig auch sehr kritisch über den Tagebau Hambach. Der Instagram-Kanal Klima.neutral des WDR wurde kürzlich mit einem Preis ausgezeichnet. Aber viele Mitarbeitende hätten die Sorge, wie Döschner in Ungnade zu fallen, sollten sie sich zu stark positionieren, etwa gegen den Braunkohle-Abbau im Rheinland, berichten verschiedene Mitarbeiter. Auch der Podcast „Klimazone“, den Döschner gemeinsam mit dem SWR entwickelt und bereits produziert hatte, wurde vom WDR 2019 ohne Begründung abgesetzt – der SWR brachte eine Ausgabe. Eine dauerhafte Beteiligung des WDR sei „nicht zwingend” vorgesehen, schreibt die Pressestelle heute.

Jörg Schönenborn wirbt für „Multiperspektivität”

Jörg Schönenborn warne häufig davor, „Aktivismus” zu betreiben – etwa, wenn sie Experten zitieren, die sich für eine rasche Energiewende aussprechen. Schönenborn selbst hatte einmal in einer Programmpost an alle Mitarbeitenden für mehr „Multiperspektivität” geworben und gefragt: „Wo ist der Kommentar, der es als volkswirtschaftlich sinnvoll erachtet, dass das Kraftwerk in Datteln nicht zur Investitionsruine wird und der die Position einnimmt, dass besser ein modernes Kohlekraftwerk wenig CO2 ausstößt als viele ältere Kraftwerke Viel?”

Welcher Kommentar erkenne an, dass die Bundesregierung ihren Klimazielen »viel näher gekommen ist als erwartet«? Eine Position, gegen die sich sicherlich die Mehrheit der Forschenden stellt: Die Einsparziele müssen laut dem Pariser Klimavertrag 2015 eingehalten werden, eine temporäre „Annäherung” ist keine positive Nachricht für den Planeten.

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Der WDR hatte eigentlich für diesen Freitag, 28. Oktober, zu einer Betriebsversammlung eingeladen. Die Stimmung im Haus ist zurzeit ohnehin angespannt, Döschners Klage gegen den WDR dürfte dort für neuen Gesprächsbedarf sorgen. Aus Termingründen, wie es heißt, wurde die Sitzung verlegt. Neues Datum ist voraussichtlich der 11. November, also der Auftakt in die neue Karnevalssession, in Köln traditionell ein schwieriges Datum, wenn man möglichst viele Menschen versammeln will. Ein Jeck, wer Böses dabei denkt.

Dieser Artikel entstand in Kooperation von Correctiv und „Kölner Stadt-Anzeiger”.

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