KlassikAtemberaubender Ritt auf der Klinge

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Derart staatstragend wie bei der Eröffnung des jüngsten Meisterkonzerts geht es in Konzertprogrammen sonst nicht zu - majestätenhofierender Pomp steht halt schon lange unter massiven Ideologieverdacht und ist deshalb gründlich außer Kurs gekommen. Spielt etwa irgendein Orchester noch Richard Wagners "Kaisermarsch" von 1871?

Die Russische Staatskapelle, die unter ihrem Chef Valery Polyansky jetzt in der Kölner Philharmonie gastierte, hat mit solchen Bedenken nichts am Hut - sie präsentierte zum Auftakt ihres Tschaikowsky-Abends den "Festlichen Krönungsmarsch", den der Komponist 1883 zur Inthronisation von Zar Alexander III. und seiner aus Dänemark stammenden Gattin Maria Fjodorowna beisteuerte. Die Kombination von dänischer Königshymne und Zarenhymne ist denn auch der Clou des kurzen Stücks, das affirmativ-lärmend, aber nicht ohne Grandezza einherkommt. Und vor allem geeignet war, die guten Spielqualitäten der Formation ins rechte Licht zu setzen.

Ganz und gar nicht staatstragend war dann der spektakuläre Auftritt des serbischen Geigers Nemanja Radulovic im Violinkonzert. Der stellte seine atemberaubende Virtuosität mit jener zirzensischen Schamlosigkeit zur Schau, wie sie heutzutage unter seriösen Interpreten eher verpönt ist. Der Preis dafür war ein sehr subjektivistischer Umgang mit den Partiturvorgaben und eine exzentrische Nonchalance, der es dann auf Subtilität und Genauigkeit nicht mehr so recht ankam. Und während Radulovic in den leisen Stellen durchaus der zerbrechlichen Kostbarkeit von Tschaikowskys Cantabile zu huldigen vermochte, wurde der Ton im hochlagig-schnellen Spiel oft spitz und dünn. Das Finale freilich geriet dann zu einem atemberaubenden Ritt auf der Klinge - klar, dass diese Performance ohne Fallnetz den Saal zu Begeisterungsstürmen hinreißen musste. Absehbar auch, dass der Gast in der Zugabe nicht mit einem introvertierten Bach dankte, sondern mit Paganinis 24. Caprice - die schwarze Mähne des Serben mochte eh schon Assoziationen an den romantischen Teufelsgeiger geweckt haben.

Das Orchester begleitete sehr selbstbewusst, stellenweise zu laut. Überhaupt konnte, aller spieltechnischen Güte zum Trotz, mitunter ein eigenartig offener, überpräsenter, fast grober Ton befremden, der etwa die Eröffnung des langsamen Satzes um Aura und Geheimnis brachte. Der zwiespältige Eindruck setzte sich dann im Schlussstück, der sechsten Sinfonie, fort: Der am Schluss des ersten Satzes platzierte Ausbruch in dreifachem fortissimo etwa kam höchst eindrucksvoll in geradezu apokalyptischen Dimensionen, aber die folgende Erschöpfungsstrecke in den Geigen verfiel einer befremdlichen Flachheit und Aussagearmut. Gut geriet hingegen der Katastrophen-Marsch des dritten Satzes - weil es Polyansky gelang, sein Pulver trocken, sprich: die Dynamik lange unter dem Deckel zu halten und sich nicht zu früh zu verausgaben. Auch die Grabesvision des Finales konnte im Wesentlichen überzeugen - einige plakative Effekte waren als Interpretationslinie halt hinzunehmen. Für lebhaften Beifall dankten die Gäste auf Russisch: mit Rachmaninows Vokalise und Tschaikowskys Dornröschen-Walzer.

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