KlassikKreativität und Konstruktion

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  • "Musik der Zeit" im WDR mit Uraufführungen

Bernd Alois Zimmermann (1918-1970) verortete sich in der Tradition und war zugleich entschiedener Zeitgenosse und musikalischer Visionär. Anlässlich seines hundertsten Geburtstags sind 2018 in Köln viele seiner Werke zu erleben, auch in der Konzertreihe "Musik der Zeit" (diesmal im WDR-Funkhaus). Bei den 1961/62 entstandenen "Antiphonen" sorgt die stereophone Disposition links und rechts sich entsprechender Instrumente für prismatische Auffächerung des Orchesters. Zudem sind auf allen drei Seiten je drei Schlagzeuger platziert. Die im Werktitel benannten "Wechselreden" gelten folglich nicht nur für das Verhältnis von Solobratsche und Tutti, sondern setzen sich im Kammerorchester fort. Im vierten Abschnitt geschieht dies sogar wörtlich, wenn Musiker Fragmente aus Bibel und Weltliteratur rezitieren. Die junge Bratschistin Simone Jandl spielte die virtuose Solopartie mit großer Selbstverständlichkeit geradezu luftig, hoch differenziert und gestisch sprechend. Schüler Zimmermanns war Georg Kröll. Wie der Lehrer verbindet der heute 83-Jährige freie Kreativität mit strenger Konstruktivität. Die 21 Episoden seiner uraufgeführten "Wechselbilder" basieren alle auf derselben Tonreihe. Dennoch lassen sie verschiedene Tonsysteme hören: atonal, dissonant, modal mit Bezugstönen, melancholisches Changieren von Dur und Moll sowie spieluhrartig kreisende tonale Melodien. Das kammermusikalisch behandelte Orchester reduziert Kröll zudem häufig auf Soli. Die Episoden erhalten dadurch allesamt eigene Farben und Charakteristiken: vielgestaltig, überraschend, meisterlich! Zarten Kantilenen folgten forsche Repetitionen sowie Anklänge an Swing, Bigband, Debussy, Ravel, Berg. Je eigene Situationen im halbstündigen Werk schufen grummelndes Tubasolo, feine Flageolett-Gespinste und fahle Akkorde der Streicher, ein Duo der Flöten, sehnsuchtsvoller Gesang des Englisch Horn und laszives Saxophon. Unter der technisch präzisen wie expressiv gestaltenden Leitung von Titus Engel war einmal mehr die Exzellenz des WDR Sinfonieorchesters zu erleben.

Die Besetzung der "Antiphonen" erweitert Wolfgang Mitterer in "Multiphon X" durch Elektronik und große Orgel. Die überreichen Klangmittel werden jedoch unökonomisch eingesetzt. Statt möglichen Verbindungen genauer nachzugehen, um strukturell fassbare Verläufe zu generieren, verbrennt Mitterer alles in geballter Gleichzeitigkeit. Über den Hörer ziehen so eben jene "akustischen Wolken" hinweg, von denen er im Werkkommentar spricht: diffus, dampfig, konturlos.

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