KlassikUnerhörte Tiefe

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  • Mikhail Pletnevs Kölner Klavierabend

Rachmaninows erste Klaviersonate steht bei den Pianisten nicht gerade in hoher Gunst. Kein Wunder: In diesem fast dreiviertelstündigen Kolossalwerk gibt es nicht ein einziges plastisch geformtes Thema. Seite um Seite mäandert die Musik durch ein komplex gesponnenes Mittelstimmennetz, aus dem hin und wieder statisch kreisende Melodien wie altslawischer Kirchengesang aufsteigen. Zugegeben geht von dieser völlig in sich gefangenen und verkapselten Musik aber auch eine ganz eigene Faszination aus, die je stärker wird, je länger sie sich hinzieht.

Und genau da setzte auch Mikhail Pletnev an, der mit dem bizarren Monstrum in der Philharmonie einen beeindruckenden Erfolg erzielte. Dem russischen Meisterpianisten gelang eine gerade im Leisen und Leisesten extrem weit gefächerte Darstellung, die den Klang zu unerhörter Tiefe aufzog. Diese virtuelle Räumlichkeit ließ Haupt- und Nebenstimmen zuweilen wie die Schichten eines alten 3D-Films auseinandertreten.

Dazu bremste Pletnev den musikalischen Fluss immer wieder aus, verzerrte Rhythmus und Syntax, sorgte mit ausgefeilter Pedaltechnik für verwischte Konturen. Eine ganz eigene Qualität brachte auch der leicht verhangene Ton des Shigeru-Kawai-Flügels ein, der dem Diskant die Spitzen brach und das Mittelregister mit matt glänzendem Firnis überzog. Mit einer Auswahl früher Rachmaninow-Piècen war Pletnev vor der Pause eher noch eigenwilliger verfahren.

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Gerade in den beiden populärsten Nummern, den Préludes in cis- und g-Moll, war überhaupt kein Tempo mehr auszumachen. Pletnevs rhetorische Hakenschläge zwangen unbestreitbar zum Hinhören, wirkten aber zugleich auch unangenehm demonstrativ, wenn nicht manipulativ.

Keine Frage: Dies war ein absolut singulärer Abend, der noch in seinen zweifelhaftesten Momenten jeder pflichtschuldig präparierten und maßvoll temperierten Werkabwicklung vorzuziehen ist. Dafür gab es (neben diversen Störmanövern) am Ende viel Jubel, dem wiederum eine ungewöhnliche Zugabentrias folgte: von Beethovens keuschem C-Dur-Rondo op. 51/1 über Liszts "Gnomenreigen" bis zu einer mit reichlich Lametta behangenen Bravourparaphrase über den Donauwalzer. (rü)

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