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Klassikereignis in KölnBetörende Farbklanglichkeit

Lesezeit 3 Minuten
Berliner Philharmoniker

Die Berliner Philharmoniker unter Kirill Petrenko in Köln

  • Der Chefdirigent beeindruckte durch erschöpfungsträchtige Pultleistung, Hüftschwung inklusive
  • Schwüle Melancholie fand zu einem ekstatischen Wohlklang, die Holzbläser spielten suggestiv
  • Das Sinfonieorchester mutierte zwischenzeitlich mit großer Selbstverständlichkeit zur Bigband

Köln – Am Schluss hielt es das Publikum in der Philharmonie nicht mehr auf den Sitzen – und das hing nicht mit dem beginnenden Straßenkarneval zusammen. Auch übrigens nicht mit Dankbarkeit dafür, dass die Berliner Philharmoniker unter anderem mit einem Werk des Kölner Lokalheiligen Bernd Alois Zimmermann an den Rhein gekommen waren – das gehört halt zum Programm der ersten Deutschland-Tournee, die das Eliteorchester derzeit mit seinem neuen Chefdirigenten Kirill Petrenko unternimmt. Nein, der Jubel galt erkennbar der erschöpfungsträchtigen, dabei übrigens durchaus showfreien Pultleistung des Russen, der zuvor Rachmaninows Sinfonische Tänze – seine letzte Komposition – zu einer in der Tat superben Darstellung geführt hatte.

Wer Rachmaninow mit zuckrig-spätromantischer Überwältigung identifiziert, wird in diesem Opus 45 ja nachhaltig eines Besseren belehrt. Sicher gibt es auch in diesem Spätwerk die große melodische Emphase – etwa im Mittelteil des ersten Satzes, wo Petrenko den großartigen Holzbläsern des Orchesters eine betörend sinnlich-suggestive Farbklanglichkeit abgewann. Oder, im Walzer des zweiten, die schwüle Melancholie, die zu einem ekstatisch fließenden Wohllaut fand. Aber diese Aspekte treten nicht wie gewohnt in den Vordergrund, bezeichnen einzelne Charaktere unter mehreren.

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Auf der anderen Seite steht zumal die elementare Gewalt des Rhythmischen, die Petrenko mit eckigen Bewegungen, mit einer fast schon uhrwerkhaften Präzision im Dirigierstil exekutierte – gesteuert nicht durch den Impuls, große Massen zu bewegen, sondern mit der Neigung zu nervöser Beweglichkeit und kammermusikalischer Individualisierung. Zwischen Aggression und Erschöpfung, Auflehnung und Ergebung wurden jedenfalls bis zum letzten Takt enorme Intensitäten freigesetzt.

In der ersten Hälfte des (leider zugabenfreien) Auftritts war der Funke noch nicht in demselben Maße übergesprungen. Woran lag es? Zweifellos waren die Gäste mit einem überaus „gebauten“ Programm angereist: „Tanz“ und „Rhythmus“ sind die Leitkategorien, unter denen sich die Agenda zusammenfassen lässt. Zudem ist Strawinskys „Symphony in three movements“, Zimmermanns Ballett-Suite „Alagoana. Caprichos Brasilieros“ und Rachmaninows Opus 45 gemeinsam, dass sie allesamt im Rahmen eines guten Jahrzehnts, zwischen 1942 und 1955, komponiert wurden.

Im amerikanischen Exil

Strawinsky und Rachmaninow schrieben sie – eine weitere Gemeinsamkeit – im amerikanischen Exil, und irgendwie im Exil konnte sich auch der junge Zimmermann wähnen, als er nach der Nazizeit im kriegszerstörten Westdeutschland seinen eigenen Weg zur verschollenen musikalischen Moderne suchte.

Beide von den Berlinern aufgeführten Werke lassen sich im weitesten Sinne dem Neoklassizismus zuordnen. Diese Ähnlichkeit aber, die sich wiederum vor allem im Rhythmischen zeigt, etwa der Motorik des grundierenden Achtel-Pulses – sie wirkt in der Abfolge eines einzigen Konzertabends leider etwas ermüdend. An der Performance lag das nicht – oder doch nicht wesentlich. Petrenko schaffte auch hier eine bemerkenswerte Synthese zwischen der brutalen Macht der Vertikalen – die Brillanz von Strawinskys Synkopen zwang unweigerlich die Erinnerung an „Le sacre du printemps“ herbei – und der individuellen Ausformulierung der einzelnen instrumentalen Gesten. Und gewinnend kam bei Zimmermann jener laszive Casino-Ton zum Zug, zu dem Petrenko auch schon mal genüsslich die Hüften kreisen ließ. Da mutierte das Sinfonieorchester zwischenzeitig mit großer Selbstverständlichkeit zur Bigband.

Der Klangreiz der unterschiedlichen Instrumentenkombinationen schließlich sorgte immer wieder, etwa in dem Zimmermann-Satz „Saudade“, für herrliche Augenblicke, für ein magisches Schweben. Trotzdem: Ein definitives Kontraststück – ein Brahms zum Beispiel – wäre womöglich die wirkungsvollere Alternative gewesen.

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