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Klerus für die Partnerschaft verlassen„Nirgends so vielen Homosexuellen begegnet“

Lesezeit 6 Minuten
Ex-Diakon Stefan Klöckner richtet einen Brief an den Essener Bischof Franz-Josef Overbeck.

Ex-Diakon Stefan Klöckner richtet einen Brief an den Essener Bischof Franz-Josef Overbeck.

  • Als Diakon gehörte Kirchenmusik-Professor Stefan Klöckner zum katholischen Klerus - bis er sich für seinen Partner entschied.
  • Klöckner findet: Die Kirche sollte Priestern und Diakonen eine Partnerwahl ermöglichen und dann homosexuelle Partnerschaften nicht anders behandeln als heterosexuelle.
  • Ein Gespräch über heimliche Beziehungen, Hetero- und Homosexualität und die Missbrauchskrise der Kirche.

Herr Professor Klöckner, Sie sind 1997 im Bistum Rottenburg-Stuttgart zum Ständigen Diakon geweiht worden, mit Zölibatsversprechen. Auch im Wissen um Ihre Homosexualität? Stefan Klöckner: Ja. Ich habe den Zölibat damals für mich als bewussten Verzicht auf die Partnerschaft mit einem Mann verstanden. Ich habe darüber auch mit meinem geistlichen Begleiter gesprochen. In der Bistumsleitung wusste niemand davon. Es hat mich aber auch kein Verantwortlicher explizit danach gefragt.

2015 haben Sie sich dann anders entschieden.

Ich hatte zwei Jahre zuvor meinen heutigen Mann kennengelernt. Eine Weile haben wir heimlich zusammengelebt, bis dieser Zustand für uns beide so unhaltbar wurde, dass ich mich für den ehrlichen Weg entschieden und den Bischof von Essen, wo ich seit 1999 neben meiner Professur an der Folkwang Universität der Künste als Diakon am Dom tätig war, um Entpflichtung gebeten habe. Nicht wenige, auch ranghohe Geistliche, hatten mir nahegelegt, doch einfach in eine Pfarrei zu wechseln. Dort würde kein Hahn danach krähen, wenn ich mit meinem Freund zusammenlebte. In der exponierten, repräsentativen Stellung am Dom dagegen sei das dann doch zu heikel. Aber auf dieses doppelte Spiel wollte ich mich nicht einlassen.

Zur Person

Stefan Klöckner, geboren 1958, ist Professor für Musikwissenschaft mit dem Schwerpunkt „Gregorianik/Geschichte der Kirchenmusik“ an der Folkwang Universität der Künste Essen.

Nach der Ankündigung des Essener Bischofs Franz-Josef Overbeck, das Thema Homosexualität auf die kirchliche Reformagenda zu setzen, hat Klöckner ihm einen persönlichen Brief geschrieben. Wir dokumentieren die Korrespondenz unter:

www.ksta.de/brief-an-

overbeck

War die Amtsniederlegung eine Befreiung?

Ich empfinde die Situation als doppelt widersprüchlich. Erstens hat es nach meiner Erfahrung in der Seelsorge keine Rolle gespielt, ob ich mit jemandem zusammenlebe und ob das eine Frau oder ein Mann ist. Hingegen spielte es eine große Rolle, als ich deswegen aus dem Amt entfernt wurde. Die Gläubigen reagierten darauf mit Unverständnis: Warum das denn? Das interessiert doch keinen! Und zweitens spüre ich innerlich nach wie vor die Berufung zum geistlichen Amt. Ich habe meinen Dienst als Diakon wahnsinnig gern ausgeübt und würde das auch wieder tun. Das einzige, was mich daran hindert, ist ein Kirchengesetz, eine disziplinarische Vorschrift. Diese Gewichtung erscheint mir völlig falsch.

Wie wäre sie richtig?

Die Kirche sollte Priestern und Diakonen eine Partnerwahl ermöglichen und dann homosexuelle Partnerschaften nicht anders behandeln als heterosexuelle. Die Abwertung der Homosexualität als widernatürlich, weil nicht auf Fortpflanzung ausgerichtet, ist weder humanwissenschaftlich noch theologisch zu halten. Die Kirche muss hier endlich in der Realität ankommen, ein falsches Menschenbild hinter sich lassen und die homosexuelle Veranlagung als gleichwertig zur heterosexuellen anerkennen.

In der Missbrauchskrise wird aufgrund der vielen männlichen Opfer gesagt, wenn man Homosexuelle aus dem Klerus entfernte, wäre das Problem behoben.

Die Idee, sich von „faulen Gliedern“ zu trennen, damit der Leib „gesundet“, ist abwegig, ja geradezu niederträchtig. Man muss homosexuelle Orientierung und Missbrauch voneinander trennen. Die Gefahr von Missbrauch ist dann besonders hoch, wenn unausgereifte Persönlichkeiten ihre Sexualität zu unterdrücken versuchen. Das heißt: Die Kirche hat das Problem in einem hohen Maße über lange Zeit hinweg selbst produziert. Es jetzt den Homosexuellen in die Schuhe schieben zu wollen – das ist Missbrauch des Missbrauchs: Die kirchliche Dämonisierung und Tabuisierung der Homosexualität, die eine Ursache des Problems sind, nun als Lösung anzubieten, macht im Gegenteil alles nur noch schlimmer. Meine Erfahrung aus der Zeit im Priesterseminar ist: Je unerbittlicher man sich auf die Jagd nach homosexuellen Priesteranwärtern machte, desto sorgsamer und zugleich ängstlicher wurde das Versteckspiel betrieben. Aber irgendwann muss heraus, was unter der Decke ist – und sei es die Bettdecke.

Wie sieht es denn nun unter der Decke aus?

Ich bin Künstler und in der Kunstszene tätig, in der sich erfahrungsgemäß viele Homosexuelle bewegen. Aber ich bin nirgends so vielen von ihnen begegnet, wie im Klerus – auch im hohen Klerus – und bei den Laienangestellten.

Was sollte die Kirche denn nun konkret tun?

Auf jeden Fall sollte sie sich nicht in ihrer Vergangenheit einmauern, so wie das Kardinal Woelki gerade wieder getan hat. Berechtigte Anliegen von Liebenden in der Kirche – egal, ob geschieden, wiederverheiratet oder homosexuell – als Auswüchse der „Spaßgesellschaft“ abzutun und die antiquierten Moralvorstellungen der Kirche als Hort der „einen großen Liebe“ dagegen zu stellen, kommt mir geradezu zynisch vor, besonders wenn man die kirchliche Realität sieht. Es wird wieder einmal deutlich: Wer auf übergreifende, gar weltkirchliche Lösungen wartet, kann ewig warten, weil es immer irgendwo auf der Welt Bischöfe geben wird, die sich widersetzen.

Und das heißt?

Jeder Bischof muss selber überlegen, was er als Verantwortlicher in seinem Bistum schon jetzt tun kann. Möglichkeiten hat er. Zum Beispiel kann er im kirchlichen Arbeitsrecht eine Schutzklausel für homosexuelle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter einführen, die ihre Partnerin, ihren Partner heiraten wollen. Heute heißt es, man muss ihnen nicht mehr automatisch kündigen. Das ist schon mal ein Fortschritt. Es sollte aber heißen: Man darf ihnen nicht kündigen. Ein anderer Punkt sind Segnungsfeiern für homosexuelle Paare. Auch da ist viel mehr möglich, als manche meinen. Wir segnen in der Kirche Fahnen, Motorräder, Tiere – homosexuelle Menschen aber, die miteinander leben möchten, sollten wir nicht segnen dürfen? Eine solche Ausgrenzung ist zutiefst unchristlich, zumal für Menschen, die ihren Glauben leben und in der Kirche bleiben wollen.

Wieso bleiben Sie eigentlich in einer Institution, in der Homosexuelle offiziell , wenn überhaupt, nur am Katzentisch sitzen dürfen?

Weil ich – wie viele andere auch – den Glauben, die christliche Botschaft, das karitative Handeln der Kirche für wichtiger erachte als das, was die Kirche zur Sexualität sagt. Ich nehme das einfach nicht so wichtig. Wer sich in der Kirche beheimatet fühlt, der wird eine Nebenbühne doch nicht zum Hauptschauplatz machen.

Aber Partnerschaft und Sexualität sind für Sie doch keine Nebensächlichkeiten.

Richtig. Ich sollte es vielleicht so herum sagen: nebensächlich, weil selbstverständlich. Zur Hauptsache wird meine Sexualität doch erst dadurch, dass ich mich – angeblich oder vermeintlich – der Kirche gegenüber für etwas rechtfertigen muss, was ich weder ändern kann noch will. Und deshalb muss die Kirche genau dahin kommen, zu sagen: Wir erkennen die homosexuelle Veranlagung als eine gleichberechtigte an. Wir verwenden theologische Expertise endlich darauf, vorhandene Hürden wegzuschaffen. Und wir hören auf damit, die alten, morschen Barrikaden hin und her zu schieben, mit denen die Tradition glaubte, die Homosexualität aus der Kirche draußen halten zu können. Zumal es sich die Kirche im Grunde gar nicht leisten kann, auf den Beitrag der Homosexuellen zu verzichten. Der Appell müsste lauten: Bleibt bei uns! Kommt zu uns – oder kommt zurück zu uns! Wir brauchen euch!

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