Köln-WiddersdorfWDR-Dokumentation über das größte private deutsche Neubaugebiet

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In Widdersdorf ist das größte private Neubaugebiet Deutschlands entstanden.

In Widdersdorf ist das größte private Neubaugebiet Deutschlands entstanden.

Köln – Früher blickte das Ehepaar Jenniges von seinem Hof in Köln-Widdersdorf über Wiesen und Felder. Heute schauen sie auf die Ausläufer des größten deutschen privaten Neubaugebiets. Am Rande der Stadt, hinter der A1, ist in den vergangenen Jahren ein neuer Stadtteil entstanden. Mehr als 7000 Menschen sind in den vorher ländlichen Teil Kölns gezogen. Ist Widdersdorf nun ihre Heimat? Und was ist mit Menschen wie den Jenniges, die seit fast 30 Jahren auf ihrem idyllischen Hof leben? Wie gehen sie damit um, dass der Ort, der ihnen so vertraut ist, sich so sehr verändert hat? „Das ist nicht mehr meine Heimat“, sagt das Ehepaar. Der Charakter des Dorfes sei verloren gegangen.

Mit der Frage, wer dazugehört und wer nicht, beschäftigt sich „Heimatland“, der zweite große Film des WDR-Netzprojekts Docupy. Das Erste strahlt ihn am Montagabend zur besten Sendezeit um 20.15 Uhr aus. Bereits der erste Film unter dem Schlagwort „Ungleichland“ sorgte für viel Aufmerksamkeit, wurde mit dem Otto-Brenner-Preis ausgezeichnet und ist aktuell für den Grimme-Preis nominiert.

Folgen der Globalisierung

Am Beispiel von Widdersdorf wirft das junge Filmteam Fragen auf, die das ganze Land beschäftigen. Wer darf Deutschland Heimatland nennen? Was bedeutet es, deutsch zu sein, und wer bestimmt darüber? In dem von der Ehrenfelder bildundtonfabrik produzierten Film kommen Experten wie der Politikwissenschaftler Herfried Münkler, der New Yorker Soziologe Richard Sennett und der Kölner Psychologe Stephan Grünewald zu Wort. Er sagt, in Zeiten der Globalisierung wachse bei den Menschen die Sehnsucht nach einem Zustand, „wo man sich noch am Kirchturm orientieren kann“. Dazu passt, dass der Begriff Heimat immer in Zeiten der Neuordnung Konjunktur hat. „Globalisierung ist gesichtslos“, so die frühere amerikanische Außenministerin Madeleine Albright. „Menschen wissen nicht, wohin sie gehören.“ Kann ein Heimatministerium helfen, diese Fragen zu beantworten? Ja, sagt Minister Horst Seehofer. „Quatsch“ nennt hingegen Außenminister Heiko Maas vom Koalitionspartner SPD in dem Film diese Abteilung des Innenministeriums. Fest steht: Sie hat fast ein Jahr nach ihrer Einsetzung noch keinen Gesetzesentwurf in den Bundestag eingebracht.

Alles zum Thema Deutscher Bundestag

Ein sensibles Thema, ein spannender Film. Das Projekt Docupy ist auch deshalb so interessant, weil das Team das Internet nicht nur nutzt, um den Film nach der Ausstrahlung ins Netz zu stellen. Bereits im Vorfeld zu dieser Doku haben sich die Filmemacher im Netz unter dem Hashtag #Heimatland mit dem Thema beschäftigt: Seit September 2018 wurden zahlreiche Clips und Interviewpassagen veröffentlich, die bereits vielfach diskutiert und kommentiert wurden.

So haben die Rückmeldungen aus dem Netz auch den Film beeinflusst, sagt Filmemacherin und Autorin Eva Müller, die das Projekt leitet. „Man sieht, wo man blinde Flecken hat. Wir haben etwa erkannt, wie sensibel das Thema Deutschsein ist.“ Man recherchiere oft jahrelang an einem Film, und am Ende gebe es dann einen einzigen Film. Docupy eröffne ganz neue Möglichkeiten. Im Fall von „Ungleichland“ habe es schon bei der Ausstrahlung durch die Aktivitäten im Netz eine Community gegeben. Das war auch das Ziel für „Heimatland“. Der Plan scheint aufzugehen. So klickten etwa eine halbe Million Zuschauer ein Online-Video an, in dem eine Nonne und eine Muslima über Religion sprechen. „Wir erreichen im Netz im Monat im Schnitt eine Million Leute“, sagt Eva Müller. Und 80 Prozent dieser Nutzer seien jünger als 35 Jahre. Wichtig sei jedoch auch, den Fernsehfilm so zu erzählen, dass ihn jeder auch ohne Vorwissen verstehen könne.

In Widdersdorf erzählt eine der Zugezogenen in der Doku, dass sie sich zu Beginn bei allen Nachbarn im Neubaugebiet vorgestellt hätten. Nur zu den Jenniges, die ebenfalls gleich nebenan wohnen, seien sie nicht gegangen. Warum? Das kann sie selbst nicht so genau sagen.

Neues Doku-Portal

Der WDR hat in seiner Mediathek einen eigenen Doku-Kanal gestartet. Ab sofort finden Interessierte dort alle Dokumentationen des WDR, die der Sender unter Berücksichtigung von Verweildauern und Vertragsrechten digital zeigen darf. „Wir sind da, wo die Leute uns suchen“, sagt WDR-Fernsehdirektor Jörg Schönenborn.

Mit einem eigenen Kanal bei Youtube habe man schon sehr gute Erfahrungen gemacht. Besonders für junge Zuschauer seien Dokus attraktiv. Langfristig wünscht sich Jörg Schönenborn eine große öffentlich-rechtliche Mediathek mit allen Inhalten von ARD und ZDF.

www.wdr.de/mediathek

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