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Kölner Domlesung„Gott ist kein Lückenbüßer“

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Großer Andrang bei der Domlesung 2018

Großer Andrang bei der Domlesung 2018

  • Theologe Karl-Josef Kuschel zu Brecht und Bonhoeffer

Köln – Herr Professor Kuschel, was hätte Bertolt Brecht dazu gesagt, dass seine Texte im Kölner Dom gelesen werden?

Karl-Josef Kuschel: Brecht war Pragmatiker. Deshalb glaube ich, er hätte gesagt: „Wenn die meine Texte in der Kirche hören wollen, soll mir das recht sein. Ich schreibe für Menschen, die noch nicht fertig sind, die sich verändern wollen. Und die Einladung in den Dom ist ein Zeichen für Veränderungsbereitschaft.“

Wie war Brechts Verhältnis zum Christentum?

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Am Gymnasium in Augsburg besuchte Brecht den evangelischen Religionsunterricht. Das hat bei ihm ein kreatives Verhältnis zur biblischen Überlieferung grundgelegt. Schon als Schüler verfasste er ein kleines Theaterstück mit dem Titel „Die Bibel“, das die verschiedenen Funktionen der Bibel für ihre Leser aufzeigt. Diese aufgeschlossene Haltung behielt er sein Leben lang bei. Denken Sie an seine Antwort auf die Frage, welches Buch er auf die berühmte einsame Insel mitnehmen würde: „Sie werden lachen, die Bibel!“ – ein typisches Brecht-Bonmot, das mit dem gezielten Bruch von Erwartungen spielt.

Weniger aufgeschlossen war er für die Institution Kirche?

Die hatten bei ihm mit dem Ersten Weltkrieg jeden Kredit verspielt. An der Front erlebte er den Missbrauch der Religion durch die Feldgeistlichen mit ihren Durchhalteparolen. Und das mörderische Schlachten verdarb ihm zeitlebens jeden konstruktiven Bezug zu einer göttlichen Instanz. In der „Hauspostille“ von 1927 schreibt er: „Lasst Euch nicht verführen! / Es gibt keine Wiederkehr. / Der Tag steht in den Türen, / ihr könnt schon Nachtwind spüren: / Es kommt kein Morgen mehr.“ Das ist die klare Absage an Jenseitsvertröstungen, und alle Auseinandersetzung des Materialisten und späteren Marxisten Brecht mit der Religion gilt diesem Missbrauch, dieser Funktionalisierung von Religion.

Für die Domlesung haben Sie gleichwohl empfohlen, die „Kalendergeschichten“ in den Mittelpunkt zu stellen. Warum?

Diese vom Autor selbst zusammengestellte Sammlung zeigt einen anderen, den „weisheitlichen“ Brecht. Der Reiz der listigen, kleinen Prosastücke liegt in ihren dialektischen Pointen zu den großen Themen des Lebens. Wunderbar etwa der Zweizeiler mit Herrn Keuners Antwort auf die Frage, woran er arbeite: „Ich habe viel Mühe. Ich bereite meinen nächsten Irrtum vor.“ Mit solchen Texten wollte Brecht zum Nachdenken anregen und vor ideologischen Festlegungen warnen – aus dem Wissen, dass die Prozesshaftigkeit des Lebens, der Fluss der Dinge, aller Ideologie zuwiderläuft. Das machte ihn übrigens auch unbequem für das SED-Regime in Ostberlin, dem er sich ab 1948 ausgeliefert hatte.

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Der Atheist Brecht im literarischen Dialog mit dem evangelischen Pastor Dietrich Bonhoeffer – tut die Domlesung einem von ihnen oder gar beiden damit Gewalt an?

Die Paarung macht zunächst einmal neugierig. Gerade der späte Bonhoeffer mit seinen Texten aus dem Wehrmachtsgefängnis Berlin-Tegel war ja alles andere als ein angepasster Theologe. Die Domlesung zeigt ihn in seiner ganzen existenziellen Ungesichertheit. Alles ist ihm genommen: seine Familie, sein Amt, seine Freiheit, auch die noch frische Beziehung zu seiner sehr jungen Verlobten Maria von Wedemeyer. Ob er jemals lebend aus der Haft herauskommen wird, ist unklar und – wie er ahnt – im Grunde unwahrscheinlich. In dieser Situation versucht Bonhoeffer einerseits, in den Briefen an Maria ein Leben festzuhalten, das ihm zwischen den Fingern wegrinnt. Andererseits beginnt er, theologisch ganz neue Horizonte zu erschließen – und kommt dabei zu dem Ergebnis: Gott ist kein Lückenbüßer. Er lässt sich nicht in Beschlag nehmen als Vehikel zur Bewältigung von Lebenskrisen.

Aber für gläubige Menschen ist Gott doch eine Zuflucht. Wollen Sie ihnen das nehmen?

Nein! Das wäre intellektuelle Arroganz und höchst inhuman. Es geht nicht darum, Menschen in ihrem Glauben abzuqualifizieren oder ihnen etwas wegzunehmen. Das würde übrigens auch Brecht nicht getan haben. In den „Geschichten von Herrn Keuner“ sagt er zur Frage nach der Existenz Gottes sinngemäß: Wenn du glaubst, dass es Gott gibt, dann heißt das zumindest, dass du ihn nötig hast. Und das gilt es unbedingt zu respektieren. Die Warnung vor frommer Funktionalisierung Gottes kann also höchstens die Eröffnung eines Gesprächs darüber sein, wie Gott auch noch – und anders – zu verstehen wäre.

Nämlich wie?

So, dass er ganz Gott bleibt und nicht zum Götzen der eigenen Bedürfnisse wird. „Vor Gott und mit Gott leben wir ohne Gott“, sagt Bonhoeffer. Leben, als gäbe es Gott nicht. Diese Formel Bonhoeffers ist mir in die Glieder gefahren, seit ich sie zum ersten Mal gehört habe. Das ist keine Konzession an den Atheismus, sondern die Rettung des Gottesglaubens vor falscher Instrumentalisierung.

Bonhoeffers radikale Absage an das religiöse Gefühl hat auch etwas sehr Schroffes. Was, glauben Sie, wäre ihm widerfahren, wenn er die NS-Herrschaft überlebt hätte und danach vor die Aufgabe gestellt gewesen wäre, seine theologischen Einsichten in Praxis seiner evangelischen Kirche zu überführen?

Unter den Bedingungen einer Kirche, die sich buchstäblich aus den Trümmern neu erheben musste, wäre das sicher schwierig geworden. Gegen Bonhoeffers kritische Einwände haben die Kirchen, die evangelische ebenso wie die katholische, auf Restauration gesetzt und die Frage nach ihrem eigenen Versagen in der NS-Zeit weitgehend verdrängt. Umso wichtiger wäre Bonhoeffers prophetische Stimme gewesen. Als Überlebender hätte er mit seinen programmatischen, wegweisenden Ideen zudem ein entscheidender Gewährsmann für den Dialog des Christentums mit einer zunehmend religionslosen, säkularen Kultur werden können. Er plädiert in „Widerstand und Ergebung“ ja für ein „religionsloses Christentum“.

In den „Briefen und Aufzeichnungen aus der Haft“, so der Untertitel dieser nach Dietrich Bonhoeffers Tod erschienenen Textsammlung „Widerstand und Ergebung“, greift auch er hin und wieder zu lyrischen Formen. Wie bewerten Sie das?

Sein Gedicht „Von guten Mächten wunderbar geborgen“ gehört ja sogar zum Kanon der zeitgenössischen geistlichen Literatur und des neuen kirchlichen Liedguts. Ich tue mich genau deshalb mit diesem Text schwer. Ohne Zweifel ist er ergreifend, wenn man ihn im Kontext seiner Entstehung liest: Zu Weihnachten 1944, im Gefängnis, den Tod vor Augen verfasst Bonhoeffer ein authentisches Glaubenszeugnis in höchster Gefahr. Ohne diesen Kontext, als affirmativer Ausdruck eines scheinbar ungebrochenen, unproblematisierten Gottesglaubens, wird das Gedicht zum falschen Trost, zur kitschigen Hohlformel. Gerade für diesen Text Bonhoeffers gilt exemplarisch, was für alle Literatur gilt: Warnung vor dem Missbrauch!

Zu Person und Domlesung

Karl-Josef Kuschel, geboren 1948, war bis zu seiner Emeritierung 2013 Professor für katholische Theologie in Tübingen und dort Akademischer Direktor für Theologie der Kultur und des interreligiösen Dialogs der katholisch-theologischen Fakultät. Die Auswahl der Texte Bertolt Brechts für die Domlesung der lit.Cologne 2020 geht wesentlich auf seine Anregungen zurück.

In einem Einführungsabend des „Kölner Stadt-Anzeiger“, der die Domlesung mitveranstaltet, geht Chefkorrespondent Joachim Frank mit dem Frankfurter Theologieprofessor und Literaturkenner Knut Wenzel dem Zueinander von Brecht und Bonhoeffer nach. Einige wenige Restkarten werden unter den Teilnehmern verlost.

frank&frei: Das Schicksal des Menschen ist der Mensch. Dienstag, 3. März, 19 Uhr, Karl Rahner Akademie, Jabachstraße 4-8, 50676 Köln Anmeldung: Telefon: 0221/801078-0 info@karl-rahner-akademie.de Eintritt: 8 Euro (ermäßigt/KStA-Abocard 4 Euro)

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