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Kölner Festival Poetica„Gedichte sind unbeliebt bei autokratischen Herrschern“

Lesezeit 5 Minuten
Jan Wagner

Jan Wagner, Kurator des Kölner Lyrik-Festivals Poetica

  • Jan Wagner ist der Kurator des Kölner Festivals Poetica.
  • Das Festival für Weltliteratur setzt sich dieses Mal mit dem Widerständigen von Gedichten auseinander.
  • Im Interview verrät Wagner, was für Gäste und eingeladene Dichter und Autoren, das ganz Besondere des Kölner Festivals ist.

Herr Wagner, in diesem Jahr sind Sie der Kurator des Kölner Festivals Poetica. Sie sind der Veranstaltung aber länger verbunden?

Ich war vor zwei Jahren selbst zu Gast bei der Poetica, als Yoko Tawada die Kuratorin war, zudem kenne ich Günter Blamberger über die Akademie für Deutsche Sprache und Dichtung in Darmstadt.

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Wie haben Sie das Festival als Teilnehmer erlebt, was ist die Besonderheit?

In der Regel ist es ja so, dass man zu einer Lesung kommt, liest, und wieder abreist. Es ist eine Seltenheit, dass man wie im Fall der Poetica versucht, die Gäste über eine ganze Woche hinweg an einem Ort zu versammeln und miteinander ins Gespräch zu bringen – zumal sie ein Festival der Weltpoesie sein will, also explizit die verschiedenen Regionen, verschiedenen Kulturen und Sprachräume der Welt zusammenbringt. Insofern ist sie Goethes Idee der Weltpoesie verpflichtet.

Das Thema, das sie als Kurator vorgeben, lautet „Widerstand“, oder sogar im Plural „Widerstände“. Das hat schon Brecht beschäftigt, zum Beispiel.

Es ist ein altes Thema, das aber heute überaus angemessen erscheint. Was kann Poesie erreichen, was kann sie tun? Soll sie kommentieren, soll sie auf ihre Zeit Bezug nehmen oder soll sie über der Zeit stehen? Wie lautet Ihre Position? Einmischen, oder lieber Distanz halten? Meine persönliche Position – die sich im Laufe der Poetica vielleicht ändern wird – ist nahezu deckungsgleich mit der von W.H. Auden, dem englischen Dichter, der selbst Gedichte geschrieben hat, etwa zum Spanischen Bürgerkrieg, und als sehr politischer Autor galt – der aber irgendwann zu dem Schluss kam, dass ein Gedicht nichts verändert. Aber: Es zeige immerhin den „Managern“, wie er sie nennt, dass in jedem homo laborans, dem Arbeitenden, ein homo ludens steckt, ein Spielender. Allein das stelle einen Widerstand dar, einen politischen Akt, sagt Auden. Ich glaube, das Widerständige eines Gedichts steckt auch darin, dass es den Leser auffordert anzuhalten, neu nachzudenken, neu sehen zu lernen. Und damit auch neu denken zu lernen. Das macht Gedichte im Übrigen so unbeliebt bei autokratischen Herrschern. Gedichte nehmen sich diese Freiheit, und sie bieten sie an.

Auf die man sich als Leser einlassen muss …

Natürlich, man muss selbst aktiv werden, es wird einem nichts serviert, so dass man sich nicht gedanklich zu betätigen bräuchte.

Ist das die Herausforderung von Lyrik?

Ich denke schon, wobei es oft wenig sinnvoll ist, zwischen Prosa und Lyrik zu unterscheiden. Wer ein Buch von James Joyce zur Hand nimmt, wird unter Umständen schwierigere Stunden, voller Vergnügen natürlich, verbringen als mit manchem Gedicht. Die Grenzen sind fließend, und doch ist es bei Gedichten die Regel, dass man sich als Leser als Handelnder einbringen muss. Aber darin liegt auch ein großer Gewinn, denn wenn man sich derart auf ein Gedicht einlässt, kommt es zu dem erstaunlichen Effekt, dass man von seiner Sprachmacht und Sprachmusik berauscht ist und gleichzeitig etwas ganz klar sieht, was man zuvor auf diese Weise nicht gesehen hat.

Sie zitieren in der Einleitung zum Programm der Poetica Peter Rühmkorf mit der Gedichtzeile „Bleib erschütterbar und widerstehe“ …

… ein fabelhaftes Gedicht …

… und Sie fragen sich, auf welcher Fahne es wohl geschrieben stehen könnte – auf der knatternden auf den Barrikaden oder der trotzig gehissten auf der einsamen Insel.

Die Poetica, das Kölner Festival für Weltliteratur, findet vom 20. bis zum 25. Januar statt. Die Auftaktveranstaltung am Montag um 19 Uhr in der Aula II der Universität steht wie das ganze Festival unter dem Motto „Widerstände“.

Die Poetica wurde vom Kölner Kolleg Morphomata und der Akademie für Deutsche Sprache und Dichtung gegründet. Kurator in diesem Jahr ist Jan Wagner, zu den Gästen zählt Herta Müller.

Es geht um verschiedene Formen des Widerstands, auch um den Widerstand des Gedichts gegen Zeit und Vergänglichkeit. Wie kommt es, dass man ein Gedicht auch Jahrzehnte oder Jahrhunderte nach seiner Entstehung mit Gewinn lesen kann? Die grundsätzliche Frage lautet: Wenn ein Gedicht sich auf Tagespolitik einlässt, bindet es sich dann so an dieses Geschehen, dass es selbst mit dem Tag vergeht? Und kann nicht umgekehrt ein Gedicht, das sich nicht darauf einlässt, trotzdem politisch wirken? Kann man auch auf der einsamen Insel etwas schreiben, was viele betrifft; und kann man mit einem Gedicht auf die Barrikaden gehen und damit dennoch den Moment überdauern?

Wie haben Sie die Autoren der Poetica ausgewählt? Danach, dass sie das Spektrum dieser Fragen abdecken?

Jeder hat dazu eine Position, und viele haben kluge Essays dazu geschrieben. Es handelt sich also um Autoren, die sich eingehend mit diesen Fragen beschäftigt haben und die sich zum Teil durchaus sehr konkret mit ihrer Zeit und den Geschehnissen in ihrem Land auseinandersetzen, ob das Agi Mishol aus Israel ist, oder ob es Serhij Zhadan ist, der sich intensiv mit dem Krieg in der Ostukraine befasst. Es sind Dichter wie Sergio Raimondi aus Argentinien, der ganz erstaunliche Gedichte schreibt, welche die großen Fragen der Globalisierung in sich aufnehmen. Vor allem handelt es sich bei allen eingeladenen Dichtern um großartige Autoren und Menschen, um Dichter, deren Werke ich bewundere, und ich bin begeistert, sie alle an einem Fleck zusammenzubekommen.

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