Kölner JazzszeneSo erfinden sich Musiker und Festivals in der Krise neu

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Mareike Wiening (Schlagzeug), Calvin Lennig (Kontrabass) und Johannes Ludwig (Altsaxofon) im Zollstocker Schrebergarten

Mareike Wiening (Schlagzeug), Calvin Lennig (Kontrabass) und Johannes Ludwig (Altsaxofon) im Zollstocker Schrebergarten

  • Die Kölner Jazzszene sucht nach Wegen aus der Coronakrise. Etwa mit Konzerten im Schrebergarten.
  • Unser Jazzkritiker hat sich im Angebot umgesehen. Außer ins Netz weichen jetzt viele Musiker für Liveauftritte unter den freien Himmel aus.
  • Außerdem bekommt Köln 2021 ein eigenes internationales Jazzfestival.

Köln – Nicht nur die Musikerin und die beiden Musiker strahlten, auch auf den Gesichtern der 30 handverlesenen Gäste wollte das Lächeln kein Ende finden. Endlich wieder ein Live-Jazz-Ereignis, wobei am vergangenen Sonntagabend der Ort das eigentlich Besondere war: In gebotenem Abstand und unter strenger Einhaltung aller Hygienevorschriften saß das Publikum entspannt, allein oder zu zweit auf nummerierten Klappstühlen zwischen Salatköpfen und rosafarbenem Mohn inmitten eines Schrebergartens in Zollstock.

Erstmals seit vielen Wochen konnten Mareike Wiening (Schlagzeug), Calvin Lennig (Kontrabass) und Johannes Ludwig (Altsaxofon) wieder auftreten. Unter Walnussbaum und Gartenzeltdach spielten sie nun ein elegantes, fein nuanciertes Trio-Konzert mit Jazz-Standards. Mal hörte man aus der Ferne Kirchenglocken, mal mischte sich ein Güterzug ein, dessen grelles Hupsignal Johannes Ludwig verschmitzt in die tänzerische Melodiösität seines Spiels einbezog.

Schrebergarten-Konzerte

Auf die Idee dieses rundum geglückten Schrebergarten-Konzerts kam Patrik Becker, der seit Jahren die Reihe „Real Live Jazz“ im Sülz-Klettenberger ABS organisiert. Dort müssen in Corona-Zeiten die Konzerte ebenso ausfallen wie an allen anderen Veranstaltungsorten, was besonders die vielen hervorragenden, in Köln ansässigen Musikerinnen und Musiker trifft, denen Konzerte, Projekte und teilweise auch Lehrtätigkeiten wegbrechen. Ab sofort will Becker den Sommer über regelmäßig Schrebergarten-Konzerte anbieten, und zwar als rein private Veranstaltungen, für die es einer schriftlichen Einladung bedarf. Informieren und anmelden kann man sich über die Website von Real Live Jazz. Am 7. Juni steht das nächste Konzert an: Sängerin Eva Buchmann, Saxofonist Malte Dürrschnabel und Gitarrist Johannes Behr gründeten dafür exklusiv das Trio Buchschnabel & Behr.

Alles zum Thema Konzerte in Köln

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Zeitgleich zum ersten Schrebergarten-Konzert fand im Stadtgarten ebenfalls Live-Jazz statt: Im dortigen „Green Room“ spielte das Quartett Trillmann mit Janning Trumann (Posaune), Fabian Willmann (Tenorsaxofon), Florian Herzog (Kontrabass) und Eva Klesse (Schlagzeug), und auch hier war die Begeisterung groß, ebenso die Erleichterung darüber, dass es überhaupt wieder Live-Konzerte gab. Schon am 17. Mai hatte der Stadtgarten als erster Veranstalter die Open-Air-Saison in Corona-Zeiten eröffnet. Seitdem lässt sich donnerstags im „Green Room“, einem intimen Konzertraum im hinteren Teil der Außengastronomie, wunderbar konzentriert Jazz in kleinen Besetzungen genießen.

Zugleich sind die Konzerte über den Cologne Culture Stream zu verfolgen, wobei die Posaunistin Shannon Barnett auf dem Weg zu einer neuen Karriere ist: Ebenso versiert wie inspirierend moderiert sie die Konzerte vom heimischen Wohnzimmer aus.

Streaming im Netz

Überhaupt hat das Jazz-Streaming inzwischen eine besondere Qualität erreicht. Neben „Nica streams“ im Stadtgarten haben besonders die Web-Konzerte im Loft eine spezifische, optisch wie klanglich markante Identität entwickelt. So sehr man zunächst mit dem leeren Konzertraum hadert, so schnell verfällt man der Intensität der Auftritte, bei denen Philip Zoubek mit seiner dreiteiligen Reihe „Natürlich Piano!“ Streaming-Maßstäbe setzte. Am 29. Mai wird das Julian Bossert Trio für eine CD mitgeschnitten, im Juni gibt es weitere Streaming-Konzerte, unter anderem „Jazz Made in Indiana“ mit Ursula Martin-Ellis, André Nendza und Peter Baumgärtner, das Quartett Close Up um die Violinistin Zuzana Leharová, das Duo Laia Genc & Roger Hanschel sowie das Nils Tegen Quintett.

Auch das King Georg präsentiert auf der runderneuerten Website seinen „Jazz-Club Stream“ mit Straight-Ahead-Jazz. Hier haben aktuell neben dem grandiosen Duo Jerry Lu (Piano) und Stefan Rey (Kontrabass) die Sängerin Filippa Gojo und die Pianistin Laia Genc zu einem brandneuen Duo zusammengefunden (2. bis 11. Juni).

In der Summe sind all dies keine Corona-Notlösungen, vielmehr entwickelten sich die Streams zu einem eigenständigen, innovativen Format. Gerade im Zusammenwirken mit den neuen Konzertideen gibt damit der Jazz-Sommer eine selbstbewusste Antwort auf die Krise. Die leidenschaftlich erarbeiteten Perspektiven retten zwar noch längst keine Existenzen, sind aber ein vitales Signal der Hoffnung. Dazu gehören ab Pfingsten auch „freiluftige“ Konzerte hinter dem Subway, wo ein angrenzender Hinterhof an Wochenenden mit etwa 40 bis 60 Stühlen in 1,5 Meter Sicherheitsabstand belegt wird. Am 31. Mai eröffnen der Club Subway und das Subway Jazz Orchestra die Reihe „Jazz hinterm Haus“, die kaum hochkarätiger beginnen könnte als mit zwei Quartett-Auftritten der Trompeterin Heidi Bayer sowie der Sängerin Tamara Lukasheva.

„Jazz in der Kantine“

Schließlich bahnt sich Sensationelles auch im Kölner Norden an: Die „Kantine“, bislang traditionsreiche Größe der Kölner Club- und Partyszene, öffnet ab Juni seinen weitläufigen Open-Air-Bereich für Jazz-Konzerte. Bis zu 100 Gäste können ab dem 17. Juni jeden Mittwoch bis Ende des Sommers unter Einhaltung der Hygieneauflagen die Konzertreihe „Jazz in der Kantine“ erleben, zu der sich derzeit unter Federführung von Patrik Becker fünf kleinere Jazz-Veranstalter zusammenfinden: Real Live Jazz, Heimathirsch, Jazz O Rama im Arttheater, Salon de Jazz und Greesberger steuern im Wechsel Konzerte bei und erobern gemeinsam den vielversprechenden, neuen Spielort.

Internationales Festival

Ganz plötzlich ist er also wieder da: Quasi über Nacht kehrte der Jazz mit behutsamen, aber selbstbewussten Schritten auf die Konzertbühnen zurück und erschließt sich sogar neues Terrain. Endlich gibt es Licht im langen Tunnel der Entbehrungen, und auch wenn er noch längst nicht durchschritten ist, steht am Ende dann sogar ein ganz besonderes Glanzlicht an: 2021 bekommt Köln sein eigenes internationales Jazzfestival. Dann wird die „Cologne Jazzweek“ die Stadt eine Woche lang in den „jazzmusikalischen Ausnahmezustand“ versetzen.

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