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Kölner KinderoperWalhall im Märchenland

Lesezeit 4 Minuten

Wagners "Rheingold" für Kinder - geht das? Der "Vorabend" aus der "Ring"-Tetralogie mit seinem ganzen "weltbildhaften" Überschuss aus Schopenhauer und Kapitalismuskritik - können Achtjährige damit überhaupt etwas anfangen? Oder müsste man nicht einfach hinnehmen, dass gerade dieses Werk (wie der "Ring" überhaupt) in der Kinderoper fehl am Platz ist?

Die Kölner Kinderoper widerlegt derzeit solche denkbaren Einwände auf das Glänzendste. "Das Rheingold", das soeben im Saal 3 des Staatenhauses Premiere hatte, ist eine abwechslungsreich-spannende, in jedem Augenblick verständliche, von der Ausstattung wie von den künstlerischen Leistungen her herausragende Produktion, an der - und darauf kommt es schließlich an - nicht nur die Eltern ersichtlich Spaß hatten, sondern die auch ihren Nachwuchs in Bann zog. Über rund 70 Minuten hinweg unterblieb jedenfalls das sonst zuweilen anzutreffende Herumgelaufe und Mama-wie-lange-dauert-es-noch-Gefrage durchaus.

Ein "Rheingold" in 70 Minuten? Da war selbstredend massiv das Hackebeilchen zum Einsatz gekommen, das die Handlung samt Musik auf das absolut Notwendige skelettierte. Eingefleischten Wagnerianern könnte sich bereits angesichts der rabiaten Kürzung des Vorspiels der Magen umdrehen. Das aber wäre schlicht eine unangemessene und deshalb grundfalsche Reaktion. Dieses "Rheingold für Kinder" ist eben nicht das "Rheingold", sondern eine neue Kunstform mit ihrem eigenen Timing und einer ihr eigenen Dramaturgie. Das beginnt schon damit, dass die durchkomponierte Partitur nach Singspielart durch reine Sprechdialog-Strecken aufgebrochen wird.

Und die Reduktionsfassung von Brigitta Gillessen und Rainer Mühlbach zeitigt eben nicht nur Verluste, sondern auch Mehrwerte: Deutlicher als im originalen "Rheingold" etwa treten die kinderaffinen Märchenmotive der Handlung zutage, an "Tischlein, deck dich" genauso erinnernd wie an "Die zertanzten Schuhe". Gebührend zutage tritt auch Wagners sonst oft unterschlagener Hang zum burlesken Humor - etwa rund um den ohnmächtig im Wasser nach den Rheintöchtern patschenden Alberich. Fricka und Wotan schließlich kommen in ihrer - an die Olympier Zeus und Hera gemahnenden - zänkisch-gutbürgerlichen Eintracht wunderbar realistisch herüber.

Sehr stark verdankt sich all dies Gillessens einfühlsamer Inszenierung sowie Christof Cremers Bühnenbild und Kostümen - hier wurde, was Licht, Farben, Stoffe, überhaupt bildliche Opulenz anbelangt, an nichts gespart: Vorne planschen die leichtgewandeten Rheintöchter und ein zottelig-brauner Alberich in einem Wassergraben, im Hintergrund baut sich über wiesenartiger Mitte im kubischen Bauhausstil Walhall auf - weniger eine Götterburg, wie man sie sich vorstellen mag, als das frisch erbaute Bungalow-Eigenheim einer Mittelstandsfamilie.

Wotans und Loges Gang nach Nibelheim erzwingt keinen Wechsel des Bühnenbilds, es wird lediglich dunkel, und in der Mitte der Spielfläche klappt eine goldene, den Nibelungenhort darstellende Wand nach oben. Links vor Walhall steht die Weltesche mit dem Wotan-Speer - vorderhand ein blindes Motiv und erklärlich nur als Vorgriff auf die weiteren Teile des "Ring", den die Kinderoper, wie man hören kann, im Lauf der Zeit in toto in Angriff nehmen will.

Herzliche Nachvollziehbarkeit zeichnet auch die Personenführung aus: Freia etwa zeigt sich nach anfänglichem Entsetzen vom tölpeligen Charme ihrer Entführer - der von ferne an Michelin-Männchen erinnernden Riesen Fafner und Fasolt - durchaus angetan. Identifikation mit ihren Quälgeistern? In moderner Terminologie würde man vielleicht tatsächlich von einem Stockholm-Syndrom sprechen. Und wenn Fricka, die, der Verjüngungsäpfel Freias verlustig gegangen, ihre Hände panisch nach Altersflecken absucht, dann bezeugt sich auch darin eine eindringliche lebensweltliche Treffsicherheit.

Die Sänger-Darsteller (zumeist aus dem Opernstudio) müssen all das natürlich ausfüllen, und sie tun es - jenseits ihrer rundum lobenswerten Sangeskunst - mit großer Spiel-, Darstellungs- und Charakterisierungslust, ganz gleich, ob Insik Choi einen würdig-gravitätischen Wotan gibt, Maria Isabel Segarra eine herzig-naive Freia, Hoeup Choi einen wirklich fiesen Alberich sowie Miroslav Stricevic und Lucas Singer ein tumb-täppisches Riesenpaar. Den Vogel schießt hierbei wohl Dino Lüthys Loge ab, ein überagiler Hallodri, dessen zynisch-wache Intelligenz alle anderen in den Sack steckt.

Das Gürzenich-Orchester unter Mühlbach spielt vorzüglich ein die Originalbesetzung freilich stark abspeckendes Arrangement von Stefan Behrisch. Noch einmal: In 70 Minuten bleibt viel auf der Strecke, aber wenn die Tuba die Leitmotive bläst, weiß auch der skeptische Besucher immerhin, dass er sich in einer "Rheingold"-Aufführung befindet.

Stückbrief

Musikalische Leitung: Rainer Mühlbach

Inszenierung: Brigitta Gillessen

Bühne & Kostüme: Christof Cramer

Darsteller: Insik Choi, Dino Lüthy, Hoeup Choi, Miroslav Stricevic, Lucas Singer, Judith Thielsen, Maria Isabel Segarra, Maria Kublashvili, Sara Jo Benoot, Jing Yang

Dauer: ca. 70 Minuten

Nächste Aufführungen: 8., 15., 16., 17. , 18. November

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