Kölner Musiknacht„Unser Weltniveau ist nicht unterfüttert“

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Der IFM-Sprecherrat (hier Maria Spering, Tobias Kassung (verdeckt), Jan Krauthäuser, Georg Dietzler, Benedikt Müller und Daniel Mennicken (v.l.n.r.) ) im Gespräch mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“

Der IFM-Sprecherrat (hier Maria Spering, Tobias Kassung (verdeckt), Jan Krauthäuser, Georg Dietzler, Benedikt Müller und Daniel Mennicken (v.l.n.r.) ) im Gespräch mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“

Köln – Anzeichen einer Zeitenwende, gar einer Krise? Wie ist es zu verstehen, dass die Kölner Musiknacht, das traditionsreiche, 14 Jahre alte Schaufenster der freien Musikszene in diesem Jahr ausgefallen ist – und wohl auch 2019 ausfällt? „Musiknacht ja oder nein“, sagt Daniel Mennicken vom Vorstand des IFM (Initiative Freie Musik Köln), „hat für uns 2018 einfach keine Rolle gespielt, andere Dinge waren wichtiger“.

Welche? Nun, der früher locker-informelle IFM hat sich zur Jahreswende 2017/18 eine feste vereinsrechtliche Struktur (mit Vorstand, Satzung, Mitgliederversammlung) gegeben, die jetzt ausgebaut wird: „Nur so ist es möglich, ein Mandat der freien Musiker in dieser Stadt dafür zu bekommen, ihre Belange gegenüber Politik und Institutionen zu vertreten – und dies dann auch wirkungsvoll zu tun.“ Angesichts solch kräftezehrender Aufgabe gab es für die Organisation der Musiknacht keine Kapazitäten mehr.

Vergangene Zeiten der freien Kölner Musikszene: E-Installation im Bismarck-Saal des WDR-Funkhauses während der Musiknacht am 30. September 2017

Vergangene Zeiten der freien Kölner Musikszene: E-Installation im Bismarck-Saal des WDR-Funkhauses während der Musiknacht am 30. September 2017

Das ist allerdings nicht der einzige Grund: Vorstandsmitglied Birgit Ellinghaus macht geltend, dass das Format Musiknacht in der überkommenen Form nicht mehr zeitgemäß ist: Angesichts der „unglaublich vielen Veranstaltungen, die es heute in allen Sparten gibt“, habe sich die Funktion des IFM als eines Musikveranstalters erledigt: „Das machen die einzelnen Sparten heute selbst.“ Aufgabe des IFM, der mehr als 500 Akteure der freien Szene vertritt, sei es vielmehr, sich an Debatten zu beteiligen und dort Gehör zu verschaffen – um Kulturentwicklung und Musikförderung, aber auch in Initiativen etwa gegen Rechtsextremismus.

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Die sechs Sparten, in die sich die reiche freie Szene von der IFM-Gründung in den frühen 90er Jahren bis zum heutigen Tag ausdifferenziert hat, sind Alte und neue Musik, Klassik, E-Musik, Jazz und Global Music. Diese Aufteilung bildet sich unter dem Dach des IFM in einem Sprecherrat ab, in den die einzelnen Sparten ihre Vertreter schicken. Ein Teil von ihnen hat sich auf Bitte des „Kölner Stadt-Anzeiger“ in der Alten Feuerwache versammelt, um über die aktuelle Situation der Kölner freien Musikszene zu sprechen.

Gründung des IFM aus Protest

Vieles hat sich, so die übereinstimmende Einschätzung jenseits spartenspezifischer Sichtweisen, seit den frühen IFM-Tagen geändert, anderes nicht. Während, so ist zu hören, das prozentuale Verhältnis von institutionell gebundenen und freien Musikern in den 90ern noch bei 70 zu 30 Prozent lag, beläuft sich das Verhältnis derzeit, wie Ellinghaus ausführt, auf 15 zu 85 Prozent. Das dieses starke Übergewicht nach einer schlagkräftigen Interessenvertretung ruft, liegt auf der Hand.

Zumal sich anderes eben nicht geändert und auch kaum verbessert hat. So erinnert man in der Alten Feuerwache noch einmal daran, dass die Gründung des IFM aus dem Geist des Protests erfolgte: Damals, so Mennicken, entsprach der Ansatz im Kölner Musikreferat für die freie Szene dem Gehalt eines Gürzenich-Musikers, und an diesem „Missverhältnis“ habe sich prinzipiell nichts geändert.

Der städtische Förderanteil liege, führt Benedikt Müller aus (er vertritt im Sprecherrat den Jazz) bei 2,9 Prozent des Kulturetats: „Man muss den Institutionen erklären, dass man an einem Punkt angelangt ist, wo man teilen muss.“ Die Schere gehe immer weiter auseinander: „Wir leisten den Großteil der Arbeit, kriegen aber nur einen minimalen Teil vom Kuchen.“ Entsprechend versteht sich der IFM in erster Linie als politische Lobbyorganisation, die die Situation der freien Musiker verbessern will.

Hoffen auf den Kulturentwicklungsplan

Große Hoffnungen verbinden sich in der Szene mit dem Kulturentwicklungsplan – er soll Anfang kommenden Jahres das Licht der Welt erblicken –, zumal man im Lenkungskreis der Beteiligten endlich einmal als jene gleichberechtigte „zweite Säule“ der Kölner Musikszene neben den Institutionen (Oper, Gürzenich-Orchester) anerkannt worden sei, als welche man in Feiertagsreden immer wieder apostrophiert werde.

Während die Sprecher dem städtischen Kulturamt bescheinigen, im Rahmen seiner Möglichkeiten das Beste zu geben, erntet der WDR harsche Kritik. Früher seien Kooperationsanfragen auf offene Ohren gestoßen, heute fehlten die Ansprechpartner. Einschlägige E-Mails würden „allenfalls noch von Praktikanten gelesen“.

Angesichts der spartenunabhängigen Ausdörrung der Förderung für die freie Szene spricht Jan Krauthäuser (Global Music) von einer „Burgmentalität, erzeugt von der Einschüchterung durch den Medienmarkt“. Und wenn der Sender Geld übrig habe, mache er die Projekte ärgerlicherweise unter seinem eigenen Label. Fazit: Der WDR verspielt in diesen Tagen sein historisches Renommee – vor allem als Förderer der neuen Musik. Maria Spering (Alte Musik) spricht von einem „Weltniveau der hiesigen Szene, das nicht angemessen unterfüttert ist“.

Drift nach Berlin ist vorbei

Trotz dieser Misshelligkeiten ist Köln nach wie vor attraktiv für freie Musiker. Warum? Ellinghaus verweist auf die optimale geografische Lage, die Nähe zu den westlichen Kulturmetropolen Paris, Brüssel und Amsterdam, die Nähe vieler Flughäfen, die leichte Erreichbarkeit für ausländische Musiker. Man kann auch nicht die Gefahr erkennen, dass das reichhaltige Angebot kein ausreichendes Publikum findet – wenngleich die einzelnen Sparten schon dafür sorgen müssten (etwa durch sorgfältige Kalenderplanung), dass „man einander nicht die Zuhörer wegschnappt“.

Die Drift nach Berlin, die längere Zeit tatsächlich bestand, ist, wie man hören kann, inzwischen abgeebbt. Im Gegenteil, mittlerweile hat sogar ein Rückfluss eingesetzt. Vorstandsmitglied Tobias Kassung, im Sprecherrat zuständig für Klassik, ist dafür ein Beispiel: „Berlin wird unglaublich teuer, die Mieten auf dem Prenzlauer Berg kann man nicht mehr bezahlen, die kreativen Räume sind alle weg.“ Das ist in Köln offensichtlich (noch) nicht so.

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