Kölner Podiumsgespräch mit Wolfgang StreeckDer Nationalstaat als Zuflucht?

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Streeck

Köln – Am Schluss geriet Wolfgang Streeck dann noch ins Metier seines Namensvetters, des Virologen Hendrik Streeck: „Ihre Masken werden Sie auf solchen Veranstaltungen bis ans Ende Ihres Lebens tragen müssen.“ Mit dieser freudigen Botschaft – unironisch gesagt: mit diesem Hinweis auf die katastrophalen Folgen der gesellschaftlichen Globalisierung – entließ der Soziologe seine Zuhörer in der Kölner Zentralbibliothek nach gut anderthalb Stunden in den nasskalten Novemberabend.

„Zwischen Globalismus und Demokratie“ war das Thema des anregenden, von Zentralbibliothek und Buchhandlung Bittner anberaumten Podiumsgespächs gewesen. Der Publizist und Philosoph Gert Scobel befragte den früheren Direktor des Kölner Max Planck-Instituts für Gesellschaftsforschung und Deutschlands derzeit vielleicht bekanntesten Soziologen (genauer: Wirtschaftssoziologen) zu seinem bei Suhrkamp erschienenen neuen Buch mit gleichlautendem Titel.

Streeck muss man nicht zum Jagen tragen: Der Mann sprudelt los, wenn man nur ein bisschen piekst. Da kaskadieren dann die Gedankengänge zur Wirtschafts- und Politikentwickung, zu Kapitalismus und Demokratie, zu Nationalstaat und Imperium auf eine Weise, dass dem Zuhörer fast schwindlig wird. Mit der Folge, dass viele Themen der neuen Arbeit nur angeschnitten werden konnten oder vollends unausgeleuchtet blieben. Dabei verbindet Streeck seine Ausführungen mit einem irgendwie rheinisch anmutenden Plauderton, der jegliche rechthaberische Aggressivität vermissen lässt – was ihn als Diskutanten zweifellos sympathisch macht.

Wie nun also? Im Diskurs mit Scobel entfaltete Streeck noch einmal beredt die zentrale Denkpointe, die bereits seinen Frankfurter Adorno-Lectures „Gekaufte Zeit. Die vertagte Krise des demokratischen Kapitalismus“ zugrunde liegt und in „Zwischen Globalismus und Demokratie“ breit entfaltet wird: Demokratie im Kapitalismus kann allenfalls dann funktionieren, wenn gegen die supranationalen Regime der Nationalstaat als die kleinere Einheit rehabilitiert wird.

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Es mag auf Anhieb überraschen, dass ausgerechnet ein linker, von der Kritischen Theorie herkommender Soziologe das Lob des Nationalstaats singt. Aber genau dies ist das Design von Streecks Argumentation: Nur der demokratisch verfasste Nationalstaat kann seine Bürger noch wirkungsvoll vor den Anpassungszwängen und -zumutungen eines globalisierten Kapitalismus schützen.

In diesem Kontext erfolgte dann Streecks mittlerweile bekannte „Hassrede“ auf die EU, der er die Eigenschaft eines neuen kapitalistischen „Imperiums“ bescheinigt. Die von ihr betriebene Vereinheitlichung und Homogenisierung völlig unterschiedlicher Wirtschafts- und Sozialsysteme sowie gesellschaftlicher Kulturen bediene lediglich die Verwertungsinteressen des Kapitals.

Der Redner zeigte die verheerenden Auswirkungen dieser Politik am Beispiel Italiens (und anderer Südländer) auf: Das Gefangensein im Euro-Käfig mache es dem Land unmöglich, seine Währung abzuwerten und dadurch international wettbewerbsfähig zu sein oder zu werden. Streeck: „Wir sehen ja auch am wachsenden Widerstand der Bevölkerungen gegen diesen Homogenisierungsdruck, an der Bockigkeit gegenüber der kapitalistischen Modernisierung, dass das Modell nicht funktioniert.“

Hauptgegner Jürgen Habermas

In diesem Zusammenhang musste dann auch der Name von Streecks intellektuellem Hauptgegner fallen: Jürgen Habermas. Habermas, der diesem immerhin eine analytische Brillanz vom Schlage der Marx-Schrift „Der 18. Brumaire des Louis Bonaparte“ bescheinigt hatte, vertritt tatsächlich das entgegengesetzte Konzept: Gerade weil sich der Nationalstaat ohnmächtig gegenüber den Imperativen des globalisierten Kapitals zeigt, muss die Politik der Wirtschaft in Richtung supranationaler Regime „nachwachsen“.

Der Streit, der auch in hohem Maße signifikant ist für die aktuellen Konfliktlinien bei der politischen Linken, konnte selbstredend in der Zentralbibliothek nicht geschlichtet werden – einfach deshalb, weil Streeck selbst hochengagierte Partei ist. So oder so bleiben Zweifel ob seiner Lobrede auf die kleinen staatlichen Einheiten, deren „genossenschaftliche Vergesellschaftung“ Streeck anstelle ihrer Vereinigung in einem Imperium vorschwebt.

Nostalgische Rückkehr?

Kann der Nationalstaat wirklich seine Bürger vor den Stürmen der Globalisierung schützen? Würde diese nostalgisch anmutende Rückkehr die Wirtschaft nicht erst recht ermuntern, Investitionsstandorte gegeneinander auszuspielen, mit Kapitalflucht zu drohen und so ob der Kleinstaaterei als der laut lachende Dritte dazustehen?

Selbst für die Experten dürfte es da mehr Fragen als Antworten geben. Sie, die Fragen, nachdrücklich aufgeworfen zu haben, war nicht das geringste Verdienst des Kölner Gesprächs.

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