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Kölner PremiereWas darf man im Theater eigentlich noch sagen?

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Yvon Jansen in „Ode“ 

Köln – Kunst, behauptet eine Figur in Thomas Melles neuem Stück „Ode“, sei das Reich des Bösen. Sie sagt das nicht ohne Stolz. Es geht ihr  – und wohl auch dem Autor – um Autonomie. Um die Kunst als ein von der Moral oder dem gesellschaftlich Gewünschtem unabhängiges System.

Freilich funktioniert Kunst nur in Bezug auf die Gesellschaft und an dieser Schnittstelle kann es eigentlich nur Missverständnisse geben. Gleich in der ersten Szene wird ein Denkmal enthüllt. Monumental soll es sein und besteht doch nur aus Luft. Oder vielmehr aus dem Titel, den seine Urheberin, die Kunstprofessorin Anne Fratzer, ihm gegeben hat: „Ode an die alten Täter“.

Darf man Tätern Oden widmen?

Moment mal. Sind es nicht die Opfer, denen man Oden widmet? Die der Enthüllung Beiwohnenden – längst verdächtigen sie sich untereinander unsauberer politischer Motive – sind einhellig empört. Und die Künstlerin, die Yvon Jansen im Depot 2 des Schauspiel Köln auf der Messerscheide zwischen Arroganz und Zerbrechlichkeit spielt, erklärt sich: Die unsichtbare Skulptur sei eine Hommage an jene Nazi-Schergen, die ihren gewalttätigen Großvater ermordeten, bevor dieser ihre Großmutter umbringen konnte. Ohne Nazis also keine Großmutter, keine Mutter und auch keine Kunstprofessorentochter.  Und dass es sie gibt, fragt Jansen nach, das sei doch wohl etwas Gutes?

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Die Frage ist rhetorisch  gemeint, aber dann plaudert ein Kollege einen noch viel böseren Titelvorschlag aus, den die Künstlerin ihn bei ein paar Gläsern Bier vorgeschlagen hatte, als Beweis dafür, dass man eben nicht alles sagen kann. Noch nicht einmal als Gegenargument: Die Professorin verliert ihren Lehrstuhl, schließlich bringt sie sich, gesellschaftlich geächtet, um.

Linke Identitätspolitik

Bis dahin wirkt „Ode“ wie die radikale Fortschreibung einer Yasmina-Reza-Komödie. Dann macht die Handlung einen Sprung von fünf Jahren und wir wohnen einer Konzeptionsprobe bei, auf der ein Theatermacher namens Orlando das eben Gesehene zu einem Drama verarbeiten will, mit dem er der nun vorherrschenden linken Differenzpolitik eine Rückkehr zu den wirklich Ausgebeuteten entgegensetzt.

Es dauert keine drei Minuten, schon hat sich Orlando mächtig verrannt: Seine Franz-Xaver-Kroetz-artigen 70er-Jahre-Methoden – junge Schauspielerinnen ausziehen, soziales Elend und sexuelle Gewalt möglichst drastisch ausstellen  – halten seine Mitstreiter – Kinder von Michel Foucault und Judith Butler – für viel schlimmer, als das, was er mit ihnen anprangern will.

Abgang des alten, weißen Mannes

Benjamin Höppner ist als altlinker Wüterich voll in seinem Element, kostet die dem vielbeschworenen alten, weißen Mann innewohnende Lächerlichkeit bis zum letzten Tropfen aus – und gönnt ihm dennoch einen Rest von tragischer Würde, ob er nun mit Absperrband auf einem Stuhl gefesselt von links und rechts in die Identitätszange genommen, oder in eine Matratze eingewickelt, aus dem Diskurs gestoßen wird.

Mit dem unrühmlichen Abgang des  weißen, männlichen, heterosexuellen Großkünstlers verabschiedet sich Melles Text  von jeglicher geschlossener  Form. Was folgt, ist eine lose Abfolge von Szenen, in denen die passiv-aggressive Identitätspolitik der progressiven Linken und der offene Kulturkampf der identitären Rechten – Melle nennt sie „die Wehr“ – die schutzlose Kunst beidseitig in die Zange nimmt.

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Im Chor werfen sich die Akteure Totschlag-Argumente an die Köpfe, skandieren „Hassrede“ oder „Opferneid“, beschimpfen das Publikum als „laberverblödete Kulturvollzeitstädter“.

Das könnte schnell zur Ermüdung derselben führen, weckte das in twittergerechte Happen zerrissene Gezeter nicht gerade die – eben doch nicht so einfach zu bändigende – Spielfreude von Hausregisseur Rafael Sanchez und seinem Ensemble.

Je unmöglicher die jahrtausendealte Verabredung des „Als ob“ erscheint, desto ungezähmter singen, schreien, tanzen sie. Packen ihre Dialekte aus, spielen Gitarrensoli. Dass man Nicola Gründel, Nikolaus Benda und den bereits Genannten gerne zusieht, wusste man schon. Die just zum Ensemble gestoßenen Jungschauspieler Paul Basonga, Kei Muramoto und vor allem Rebecca Lindauer – ein zukünftiger Star –  bringen aber noch mal eine Extraportion Energie mit, schließlich geht es ja auch um einen Generationenkonflikt. 

Wer darf welche Rollen spielen?

Dass die Diskussion darüber, wer welche Rollen spielen darf und wer auf der Bühne in welcher Sache stimmberechtigt ist, nicht nur zu einer Selbstzensurkultur geführt hat, sondern auch zu äußerst fruchtbaren – und überfälligen – künstlerischen Impulsen verschweigt Thomas Melles Text.

Stattdessen hat der 1975 geborene Autor sein vor zwei Jahren am Deutschen Theater Berlin uraufgeführtes Stück für die Kölner Neufassung um ein letztes Viertel (und einige satirische Seitenhiebe, etwa auf den Gedicht-losen AfD-Vorsitzenden Tino Chrupalla) ergänzt, in dem das Spiel aller Zusammenhänge verlustig gegangen ist.

Von groben Späßen über die Kölner Kulturpolitik bis zu albernen Star-Wars-Reenactments: Jetzt macht jeder einfach, was er will und nichts macht mehr Sinn.

Nur: müssen die aktuellen Zumutungen an die Kunst und das Spiel zwangsläufig zu solchem Leerlauf führen? „Ode“ ist das beste Beispiel dafür, dass das Theater diese Herausforderungen sportlich annehmen kann.

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