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Kölner TheaterEine Premiere mitten im Lockdown

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Szene aus „Wegklatschen“

Köln – Sie sind die Guten, oder? Aus berechtigter Sorge über die wieder erstarkenden rechtsradikalen Umtriebe im Land schließen sich in Sergej Gößners Jugendstück „Wegklatschen“ vier junge Leute und ein nicht mehr ganz so junger Familienvater zu einer schnellen Eingreiftruppe zusammen. Sie wollen dem rechten Hass mit Sponti-Humor begegnen. 

Gleich ihre erste Aktion ist ein voller Erfolg: Auf einer Nazi-Demo verteilen sie kostenloses Eis am Stiel an die Teilnehmer – in Penisform. Was für ein Fotomotiv! In den Medien, sozial wie klassisch,  werden sie für ihre Chuzpe gefeiert. Ihr Symbol: ein schlichtes Herz, so rein wie ihre Absichten.

Fast zwangsläufig folgt das Wechselspiel aus Aktion und Reaktion jedoch einer Überbietungslogik, bildet eine Spirale, die nur in Gewalt enden kann: „Applaus für Bonnie und Clyde“ lautet der Untertitel des Stücks, das jetzt in der Kölner Comedia Premiere feierte (allerdings unter Ausschluss der Öffentlichkeit). Das Fragezeichen dahinter denkt man sich unweigerlich mit.

Gute Absichten eskalieren

Nichtstun ist freilich auch keine Alternative. Doch dass die guten Absichten schnell eskalieren, kommt wenig überraschend. Auch, weil die Handlung in Rückblicken aus Einzelverhören mit den Mitgliedern der Gruppe erzählt wird. Gößner interessiert sich vor allem für den politischen Prozess: Am Anfang droht die Gruppe schon an der gemeinsamen Pizza-Bestellung zu scheitern, später zersplittert sie sich und kommt erst wieder zusammen, als das Schlimmste längst geschehen ist.

Regisseur Manuel Moser erzählt das Geschehen mit maximaler Dynamik auf leer gefegter Bühne. Die besteht im Grunde nur aus zwei Rampen, auf denen sich die Aktivisten erregen können. Moser kann sich dabei ganz auf sein hervorragendes Ensemble verlassen: Mit  Laura Thomas, Maximilian von Ulardt und Gareth Charles feierte er bereits  in der Comedia-Produktion „Werther in Love“ Erfolge und  Sibel Polat ist sowieso die wichtigste Bank des Kinder- und Jugendtheaters an der Vondelstraße. 

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Weshalb Kübra Sekin, die zum ersten Mal in der Comedia zu sehen ist, um so mehr überrascht: Sie spielt die „loose cannon“ der Gruppe, und wenn  sie mit ihrem elektrischen Rollstuhl die Rampe hoch rast, um mit der nächsten irren Idee aufzutrumpfen, kriegt man es fast ein wenig mit der Angst zu tun.

So geht Jugendtheater (ab 13 Jahren) auf Augenhöhe: Spannend, unverblümt und ohne Angst vor schwierigen Fragen.    Die nächsten „Wegklatschen“-Aufführungen können nun leider erst im Juni stattfinden. Was andererseits fast einen nahtlosen Übergang in die nächste Spielzeit bedeutet.

Neun neue Produktionen

Deren neun Neu-Produktionen wurden jetzt vorgestellt: So wird Sibel Polat schon im August in einem Solo gleich „33 Frauen“ verkörpern, die die Welt verändert haben. Regisseur Markolf Naujoks befragt Jules Vernes Klassiker „20 000 Meilen unter dem Meer“ nach dem gegenwärtigen Zustand der Ozeane. Und die „theatrale Stadtteil-Installation“ „Die sich nicht fürchten“ beleuchtet in den Kölner Stadtteilen Mülheim und Kalk Angst- und Freiräume für junge Menschen, die anders aussehen, als die Mehrheitsgesellschaft.

Zudem gibt es Kooperationen mit dem Agora Theater aus dem belgischen St. Vith, dem Jungen Nationaltheater Mannheim und dem Essener Ensemble toboso.  Da kann man durchaus hoffnungsvoll nach vorne schauen, selbst in der aktuellen Rumpfspielzeit ist die Comedia ja ihrem neu gewonnenen Status als „Zentrum der Kultur für Junges Publikum“ mehr als gerecht geworden.

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