Kölner TheaterpremiereÖdipus nach der Klimakatastrophe

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Szene aus „Anthropos, Tyrann (Ödipus)“ im FWT 

Köln – Der Zeiger der Weltuntergangsuhr steht 2022 zum dritten Mal in Folge auf 100 Sekunden vor Mitternacht. „Die Uhr bleibt so nahe wie nie zuvor an einer Apokalypse“, hieß es am 19. Januar im amerikanischen „Bulletin of the Atomic Scientists“, denn die Welt steckt weiter in einem extrem gefährlichen Moment fest.“

Wie fahrlässig der Mensch mit solchen wissenschaftlichen Warnrufen umgeht, davon kann man sich aktuell in dem Theaterstück „Anthropos, Tyrann (Ödipus)“ ein Bild machen. Der Dramatiker Alexander Eisenach verknüpft auf eindringliche Art und Weise Texte der Erdsystemforscherin Antje Boetius zur Klimakatastrophe mit Auszügen aus der Sophokles-Trilogie „König Ödipus“, „Ödipus auf Kolonos“ und „Antigone“.

In der Kölner Inszenierung von Regisseur Frederik Werth im FWT scheint der Zeiger der Uhr derweil schon nach Mitternacht gesprungen zu sein. Die Bühne (Annika Garling) ist bedeckt mit Brutkästen, in denen sich neues Leben formt. Maden und Pilze dominieren das Geschehen, während die wenigen Menschen, von Seuchen gezeichnet, wie weißgewandete Zombies herum irrlichtern.

Theater als Komposthaufen

„Komposttheater“ nennt der Regisseur denn auch seine Inszenierung, als deutlichen Hinweis dafür, dass im Umgang mit der Erde ein Paradigmenwechsel stattfinden muss. Das kraftvoll aufspielende Darstellerquartett Thomas Kaschel, Lisa Sophie Kusz, Philipp Sebastian und Fee Zweipfennig führt in wechselnden Rollenkonstellationen durch das tragische Geschehen in der Stadt Theben und den Aufstieg und Fall des Ödipus Rex.

In der distanzierten Auseinandersetzung mit dem antiken Theaterstoff, schärft sich gleichzeitig der Blick auf die moderne Tragödie. Ödipus, der sich zum König von Theben aufschwang, nachdem er das Rätsel der Sphinx lösen konnte, wird hier zum perfekten Anschauungsobjekt. Seine Hybris, Herr über die Erde zu sein, findet in der heutigen Verhaltensweise der Menschen des Anthropozäns seinen Widerhall.

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Der Zuschauer wird Zeuge, wie die antiken Gestalten, die göttlichen Weisheiten, gesprochen durch das Orakel, zu lange missverstehen und erblickt darin die reale Perspektive des eigenen Untergangs. Dabei liegen, anders als die sibyllinischen Rätsel des Orakels, heute die Orakelsprüche der Moderne als wissenschaftliche Fakten klar auf dem Tisch. Schritt für Schritt durchlebt man die Tragödie des Ödipus in ihren folgerichtigen Abläufen und wird sich gleichzeitig darüber bewusst, welche Dringlichkeit die heutige Situation aufweist.

Wenn im Bühnenspiel die von den Katastrophen gezeichneten Thebaner dem unerbittlichen Orakel Zugeständnisse abluchsen wollen, ist das nicht ohne Komik. Allerdings bleibt einem das Lachen im Halse stecken, angesichts der eigenen Halbherzigkeit, mit der man sich die aktuellen Katstrophenszenarien um Corona, das Klima, die soziale Ungleichheit und die Zunahme an Desinformation so zurecht legt, dass das eigene Leben möglichst nahtlos weitergeht. Ein weiter so, ist aber keine Option, soll die letzte große Tragödie der Menschheitsgeschichte noch abgewendet werden.

FWT, 2. + 3.2., 20 Uhr

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