Kölner Zamus FestivalNeuer Klang für die Alte Musik
Köln – Neue Locations, neue Ensembles, vor allem neue Formate – das Kölner „zamus: early music festival“ unter Intendant Ira Givol macht nach den mühevollen Corona-Jahren Ernst mit seinem Aufbruch zu neuen Ufern.
Verband man früher mit Alter Musik eher die sechs Brandenburgischen Konzerte von der Stange und ähnlich einfallsreduzierte Programme, so begibt sich das Zamus-Festival ausweislich seines Beginns am vergangenen Wochenende auf die stürmische See des experimentellen Wagnisses. Klar, dass da auch schon mal ein Schiffbruch droht, aber wer nichts riskiert, gewinnt auch nichts.
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Konzertort ist ein Volltreffer
Allemal einen Volltreffer haben die Veranstalter mit ihrem neuen Haupt-Konzertort, dem Sülzer Ventana, gelandet. Der umgebaute Kirchenraum des früheren Kinderheims am Gürtel eignet sich atmosphärisch und vor allem akustisch (genau in der bekömmlichen Mitte zwischen zu hallig und zu trocken) vorzüglich. Jedenfalls galt das ohne Einschränkungen für die Agenda der ersten beiden Konzerte.
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„Händel im Affekt“ war der Auftritt des Berliner Vokalsolisten-Ensembles The Present überschrieben. Das mutet auf Anhieb noch vertraut an – die aus Antike und Neuplatonismus stammende Temperamenten- und Affektenlehre war schließlich die geistige Grundlage der Barockmusik – zumal im Fall des Bühnenkomponisten Händel.
The Present kombinierte indes nicht nur Arien und Duette aus einschlägigen Opern und Oratorien mit Zeitgenössischem von Luciano Berio, Steve Reich, Georges Asperghis, Lucia Ronchetti und Cathy Barberian sowie mit Rezitationen aus philosophisch-musiktheoretischen Traktaten von Descartes, Athanasius Kircher und Mattheson. Vielmehr erklang auch Händel selbst in ungewohnten und auf jeden Fall sehr „present“ wirkenden Arrangements.
Kein Orchester also agierte da auf dem Podium. Dessen Stimmen wurden von den die wechselnden Solisten begleitenden Ensemble-Kollegen adaptiert – in Gestalt von Vokalisen, Hm-hm-hm- und Dim-dim-dim-Formulierungen, mit dem rhythmischen Schlagen auf Donnerblech und Plastikfolien.
Nette szenische Spaßeffekte
Keine Frage: Da gab es nette szenische Spaßeffekte (zorniges Stühleschmeißen zum Beispiel), eine lustvolle Emanzipation des Geräuschhaften und grotesk-interessante Verfremdungen der Händel’schen Originale. Von der Potenz der Stimmen ganz abgesehen. Schwerer tat man sich als Zuhörer mit der Frage, was das Ganze im Ergebnis sollte?
Ging es vielleicht um die Geburt der Musik aus dem Atem oder eben aus dem Affekt? Das wären allerdings keine richtig originellen Erkenntnis. Und die chorische Lesung der erwähnten Texte war kaum geeignet, die Aufmerksamkeit auf deren Diskurse zu konzentrieren.
Modernistische Dekonstruktion allein also bringt es noch nicht, wenn in ihrem Zentrum ein Verständnisloch klafft. Der Tatsache, dass durch alle Zurichtungen hindurch Händels Genie in Sätzen wie „Riva son d’ogni conforto“ und „Tu del ciel ministro eletto“ berührend hörbar wurde, wuchs da fast schon ein Trosteffekt zu.
Frühbarocke Pracht
Nach diesem spektakulären Auftakt ging es mit Skip Sempés (am Virginal) illustrem Renaissanceensemble „Capriccio Stravagante“ weiter. Das brachte John Dowlands berühmte „Lachrimae“, eine Zusammenstellung von Tänzen und Instrumentalstücken aus dem Jahre 1604, auf die Bühne, und zwar nicht als einfaches Gambenconsort, sondern in frühbarocker Pracht mit Gamben, Blockflöten, Posaunen und Cornetten.
Eine wunderbare Soundwirkung von dunkler Fülle und Sattheit wuchs der Musik des Shakespeare-Zeitgenossen da zu, verstärkt und verflüssigt durch das ausgeprägte Improvisationstalent und den rhythmischen Drive, der von den Spielern ausging.
Erhabene Langeweile
Einen Modernisierungsgewinn eigener Art zeitigte das letzte Stück des Konzerts – da meinte man fast einem Menuett der fortgeschrittenen Barockzeit beizuwohnen. Freilich: Aller Farben- und Formenfülle zum Trotz ist ein Abend ausschließlich mit Dowland wohl doch eher etwas für die Freaks. Wer kein Freak ist, den mochte gegen Schluss so etwas wie eine erhabene Langeweile ankommen.