Kolumne Über den PlattenrandKöln hat für Nico keinen Platz

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Christian Bos

Köln – Neulich, in der Küche einer Berliner Freundin, ereilte mich die Melancholie. Zuerst verstand ich nicht, warum. Doch dann drang eine Querflöte aus dem muffigen Klangteppich des Küchenradios und zwitscherte die Erklärung für die seelische Eintrübung. Aus dem Äther strömte „Chelsea Girls“, das Solodebüt der Velvet-Underground-Chanteuse Nico. Musste irgendein Studentensender sein. Kurz darauf lieferte der Ansager den Grund nach: Die „Chelsea Girls“ sind gerade 50 Jahre alt geworden.

Das Jubiläum wäre ein Anlass

Das könnte man feiern, zumal in Köln, wo Nico als Christa Päffgen im Jahr 1938 geboren worden war. Ein Verwandtschaftsverhältnis mit der hiesigen Brauhaus-Dynastie besteht. Doch muss man Nicos Leben und künstlerische Hinterlassenschaft als Negativfilm zum jovialen Frohsinn beschreiben, dessen die Stadt sich rühmt.

Für „Chelsea Girls“ hatten Bob Dylan, Lou Reed und Jackson Browne ihr Lieder auf den statuesken Leib geschrieben – Nico hasste das Album, vor allem die nachträglich hinzugefügte Querflöte. Gegen die schwarzen Depressionslöcher, die sie mit ihren folgenden Platten aufriss, nimmt es sich geradezu frivol aus. Überhaupt zog Frau Päffgen dem Kölsch das Heroin vor. Eine Wahl, die jenseits der rheinischen Mentalitätsgrenzen gar nicht mal so bizarr erscheint. Beruhigen Sie sich, war nur ein Witz.

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Kein Platz mit Nicos Namen

Durchaus ernst nahmen Abgeordnete der CDU in der Bezirksvertretung Innenstadt die Drogenkarriere der Stadttochter. An ihren Stimmen scheiterte vor elf Jahren die Benennung des namenlosen Platzes an der Nordseite der ehemaligen Messehallen nach Nico. Christa-Päffgen-Platz hätte der beinahe geheißen, wäre nicht die Angst vorm üblen Leumund größer gewesen.

Ein gewichtigeres Argument fiel allerdings nie: Kölns Schönste soll Zeit ihres Lebens zu rassistischen Ausfällen geneigt haben, gegen Juden, gegen Schwarze. Vielleicht wollte sie auf diese Weise ihr Image als nordische Rachegöttin kultivieren, vielleicht sprach sie im Rausch. Oder ich suche schlicht nach Gründen, um nicht von meiner jahrzehntelang gepflegten Verehrung für Frau Päffgen abzulassen.

Unbequeme Fragen zu Stars – und uns

Was uns zu einer Frage führt, die sich derzeit wohl viele stellen: Wie verhalte ich mich zu einem Künstler, dem moralisch fragwürdiges, wenn nicht gar kriminelles Verhalten zur Last gelegt wird? Lässt sich das Werk vom Schöpfer trennen? Einfacher gefragt: Wann gucken Sie sich das nächste Mal einen Film mit Kevin Spacey oder von Roman Polanski an? Macht es einen Unterschied, ob der Täter als Schauspieler im Bild auftaucht, oder als Regisseur hinter den Kulissen wirkt? Geht es da nur um unser schlechtes Gewissen? Glauben Sie, dass sich David Bowie und Led Zeppelin in den 70ern darum geschert haben, wie alt oder wie narkotisiert ihre Groupies waren? Jenseits des Plattentellerrands lauern unbequeme Fragen.

„Ich werde dein Spiegel sein, reflektieren, was du bist“, hat Nico 1967 gesungen. Es wäre leicht zu sagen, dass dieser Spiegel heute beschlagen ist. Aber wahrscheinlich gefällt uns nur nicht, was wir da sehen, blicken wir zu tief hinein.

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