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Kolumne von Jürgen DomianNicht mehr mein Land, meine Heimat

Lesezeit 4 Minuten
Jürgen Domian Interview

Jürgen Domian.

Lieber Adam Amoush,

Respekt! Das war eine mutige Aktion. So viel mehr hätte schiefgehen können, als Sie vorige Woche im Berliner Bezirk Prenzlauer Berg angegriffen wurden, weil Sie mit der jüdischen Kippa unterwegs waren. Unter Umständen lägen Sie jetzt schwer verletzt im Krankenhaus. Trotzdem mache ich mir Sorgen um Sie. Ich befürchte, die Sympathisanten der Täter werden Sie nicht in Ruhe lassen. Passen Sie also gut auf sich auf!

Das Echo auf Ihre Aktion ist gewaltig. Und genau an dieser Stelle werde ich stutzig. Alle sind schockiert, empört und zutiefst betroffen: Frau Merkel, Herr Maas, Frau Barley, Herr Müller, Frau Kramp-Karrenbauer, und die Grünen sind ja ohnehin immer betroffen. Wo, bitte schön, leben diese Damen und Herren? Sie tun so, als träfe uns ein solcher Vorfall wie aus heiterem Himmel. Es ist dieselbe Reaktion wie damals nach der Kölner Silvesternacht.

Die Frucht der Ignoranz

Mich wundern derartige Vorkommnisse überhaupt nicht. Ich rechne ständig mit ihnen. Sie sind auch die Frucht der Ignoranz. Einer Ignoranz, die gerade in linksliberalen und intellektuellen Kreisen seit Jahrzehnten grassiert. Ich weiß, wovon ich spreche. Ich bin seit mehr als 30 Jahren SPD-Mitglied, und ich kenne die reflexartige Abwehr, wenn man Kritik an Kultur und Tradition unserer muslimischen Freunde äußerte. Schnell wurde man in die rechte Ecke geschoben. Dieses Verhalten hat die AfD so erst möglich gemacht.

Ich habe in meiner Sendung mit so vielen jungen Leuten gesprochen, die muslimische Wurzeln hatten, hin- und hergerissen waren zwischen familiärer Tradition und westlicher Lebensweise. Am dramatischsten habe ich die Gespräche in Erinnerung, in denen es um Zwangsverheiratung ging oder um Homosexualität. Haben sich die deutschen Schwulen früher über Diskriminierung und rechtliche Ungleichbehandlung beklagt, so hatten diese jungen homo- oder bisexuellen Männer Angst um Leib und Leben.

Hand in Hand über die Kölner Ringe 

Übrigens, wir waren in den 90er Jahren schon mal so weit, dass zwei Männer am Samstagabend entspannt Hand in Hand über die Kölner Ringe schlendern konnten. Heute sollten sie das nicht mehr wagen. Zu groß die Gefahr, eins in die Fresse zu bekommen. Und das nicht von Nazis oder anderen Bekloppten, sondern von Männern, die selbst oder deren Eltern aus muslimisch geprägten Gesellschaften stammen. Aus Gesellschaften, in denen Schwulenhass, Frauenfeindlichkeit und Antisemitismus zum Alltag gehören.

Früher durfte man so etwas nicht sagen. Man verschloss die Augen und träumte von Multikulti. Und genau das ist der Punkt. Wer soll es denn sonst sagen, beklagen und anprangern – wenn nicht wir? Warum nehmen wir den Rechtspopulisten dieses Thema nicht weg? Warum fordern wir nicht konsequent, dass in unserem Land niemand etwas zu suchen hat, der nicht zu 100 Prozent auf dem Boden des Grundgesetzes steht? Warum haben wir so lange die Arme geöffnet, ohne klare Bedingungen für ein Miteinander zu formulieren?

Deutschland ist ein weltoffenes Land

Ich bin stolz darauf, in einem weltoffenen Land zu leben. In einem großartigen Land. In diesem Sinne bin ich sogar stolz, ein Deutscher zu sein. Aber ich will eben auch, dass dieses Land großartig und weltoffen bleibt. Ein Land, in dem jüdische Bürger gut und gerne leben; in dem sie in der Schule nicht gemobbt werden und eben keine Angst zu haben brauchen, wenn sie ihren Glauben auf offener Straße zeigen. Und das überall. Gar nicht auszudenken, was geschehen wäre, wenn Sie, lieber Adam Armoush, mit Kippa durch Berlin-Neukölln gegangen wären.

Und was jetzt? Ich finde, Herr Seehofer muss handeln. Der „Heimatminister“ muss dafür sorgen, dass wir unsere Heimat nicht verlieren. Denn wenn es so weitergeht; wenn Juden (oder auch Schwule) auf offener Straße verprügelt werden, weil sie sind, was sie sind – dann ist Deutschland nicht mehr mein Land, nicht mehr meine Heimat. Dabei muss Seehofer aber besonnen vorgehen, und er sollte sich nicht mit so blöden Dingen beschäftigen wie zum Beispiel der Frage, „Gehört der Islam zu Deutschland?“ Natürlich gehört der Islam zu Deutschland! Und das ist gut so. Er gehört dazu, weil zuerst und vor allem das Grundgesetz zu Deutschland gehört. Wenn beides miteinander im Einklang steht, sind wir im grünen Bereich.

Mit Ihnen, lieber Adam Armoush, hätte ich gerne in meiner Sendung gesprochen. Bleiben Sie mutig, aber seien Sie vorsichtig!

Ihr Jürgen Domian

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