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Kommentar zu Fynn KliemannLass uns mal ruinier'n

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Lesezeit 3 Minuten
IMAGO Fynn Kliemann 2

Fynn Kliemann

Stellen Sie sich vor, Friedrich Merz setzt sich in Köln in einen Flieger, weil er einen Termin in Berlin hat. Auf dem Rollfeld spuckt er noch schnell ein Kaugummi aus, bevor er einsteigt. Gut, umwelttechnisch jetzt alles nicht das Grüne vom Ei, aber weder überraschend noch große Aufregung wert. Und jetzt stellen Sie sich vor, es wäre Umweltaktivistin Luisa Neubauer, die ihr Kaugummi nicht regelkonform entsorgt und in den Flieger steigt. Den Rest können Sie sich denken.

Aus Bangladesch verschickte Masken, die dann in Deutschland als angeblich fair in Europa produzierte Ware verkauft werden; mangelhafte Ausschussware, die an Geflüchtete verteilt wird: All das klingt nach einer miesen Nummer.

Sollte sich herausstellen, dass diese vom ZDF Magazin Royale gegen Fynn Kliemann erhobenen Vorwürfe zutreffen, würde die Nummer nochmal eine ganze Ecke mieser. Denn Kliemann ist nicht irgendein beliebiger Geschäftsmann, bei dem man dubiose Geschäftspraktiken eh mit einrechnet. Er ist einer von den Guten – das ist zumindest das Image, das er mit viel Einsatz aufgebaut hat. „Fimbim“: Das ist der kreative, coole, nette Typ, der authentische Macher, der Menschen hilft, während andere nur darüber reden. Dieses Image könnte sich nach der Böhmermann-Recherche nun ändern.

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Ja, im Fall Kliemann ist viel Häme dabei. Einige werden sagen, sie hätten es ja schon immer gewusst. Wahrscheinlich ist eher, dass ihnen Kliemann und sein zur Schau getragenes – Achtung, Trigger-Wort: – Gutmenschentum einfach schon immer etwas auf die Nerven ging.

Und das ist genau das Traurige an der Sache: Natürlich ist es für manche schwer zu glauben, dass jemand auf so vielen Pfaden so kreativ, erfolgreich, authentisch und für das Gute im Einsatz unterwegs ist. Schwer deshalb, weil die Welt, in der wir leben, uns eben alle ein bisschen Zynismus gelehrt hat.

Umso schöner wäre es gewesen, wenn all die Zyniker am Ende daneben gelegen hätten. „Gut, der nervt, und ja, er sollte seine Praktikanten bezahlen. Aber ist ja sonst schon super was der alles macht“: Das wäre ein Fazit gewesen, mit dem selbst Kritiker sicher sehr gut hätten leben können.

Kendra Stenzel

Kendra Stenzel

Leiterin des Newsteams beim „Kölner Stadt-Anzeiger“. Studierte zunächst Psychologie und Rechtswissenschaften in Gießen, dann Amerikanistik, Linguistik und Klassische Literaturwissenschaft in Köln (mit...

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Die Story des Do-it-Yourself-Helden könnte nun jedoch anders weitergehen: Fynn Kliemann, der PR-König, der Greenwashing betreibt, weil es zum Image passt; der nicht einfach „macht", sondern es „richtiger machen“ will um jeden Preis, weil sich das eben besser verkauft.

Diese Geschichte wäre auch eine über uns: über die einen, die ohnehin nicht mehr an das Gute glauben. Und über die anderen, die, die es ihm abgekauft haben, weil Geld ausgeben für eine gute Erzählung sich irgendwie so wohlig wenig nach Kapitalismus anfühlt.

„Lass uns mal ruinier'n", sang Kliemann 2020, also im Jahr der mutmaßlich betrügerischen Maskendeals, in einem seiner Songs. Es wär der passende Titel für diese Story.

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