Konzert in der Lanxess-ArenaWarum Tool ihren Fans mit Rauswurf drohen

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Tool-Sänger Maynard James Keenan im Jahr 2019. Beim Kölner Konzert war das Fotografieren streng verboten.  

Köln – Ein Gehäuteter dreht sich langsam auf der gigantischen LED-Wand. Er hat mehr Arme als die Göttin Kali. Aus seinen freigelegten Bizepsen blicken uns Augen an. Synthetische Basstöne gleiten ineinander über. Danny Carey schlägt mehrmals auf ein elektronisch verzerrtes Becken, die schwarze Messe kann beginnen. Angeblich trommelt er Hexagramm-Muster auf seine Felle. Früher hätten besorgte Eltern sowas glatt geglaubt und Selbsthilfegruppen gegen Satanismus gegründet.

Jetzt erfüllt Justin Chancellors geslappter Bass die Kölner Arena,  Adam Jones schrubbt seine vielfach verzerrte Gitarre im Stakkato und die Videowand zeigt zwei fraktal verästelte Blutbäume. Das könnten Lungenflügel sein, schließlich setzt Maynard James Keenan jetzt zu einer die Oktaven hoch und wieder herunter kletternden Klage an, über überfällige Immunität, leichtfertige Ansteckung und die Gefahr, die von anderen atmenden Menschen ausgeht: „Fürchte das Licht, fürchte den Atem, fürchte die anderen bis in alle Ewigkeit.“ Und dann ist auch noch von einem bösen Betrüger die Rede, dem man nicht auf den Leim gehen solle, denn schwermetallische Musik braucht den Teufel dringender als die katholische Kirche.

„Fear Inoculum“ heißt das Titelstück des aktuellen, trotz ihrer mehr als 30-jährigen Geschichte erst fünften Albums von Tool. Als Inokulum bezeichnet man in der Medizin das infektiöse Material eines Virus. Also ganz klar: ein Covid-Song. Nur, dass die kalifornischen Prog-Rocker das Stück bereits 2018 aufgenommen hatten. Wahrscheinlich wurde es ihnen vom Gottseibeiuns persönlich eingeflüstert. Es lohnt sich, seine Seele zu verkaufen.

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Dummheiten und Geistesblitze

Gut, das ist natürlich höherer Blödsinn. Was auch für viele andere Lyrics von Tool-Songs gilt. Dass die Band immer wieder als Metal für denkende Menschen beschrieben wird, ist gleich doppelt falsch. Zum einen, weil es unverschämterweise impliziert, andere Musiker, die ihre Gitarren tiefer stimmen, würden für Blöde spielen. Zum anderen, weil Keenans Texte doch eher assoziativ als tiefschürfend sind. Mal schlecht gelaunte, mal sarkastische, mal geistesblitzende Verbalisierungen von dem, was Tools Musik längst schon erzählt.

Maynard James Keenan ist wahrscheinlich der einzige Mensch außer Sascha Lobo, der noch im fortgeschrittenen Alter einen Irokesenhaarschnitt trägt. In der Arena erkennt man das nur im Schattenriss, denn der Sänger steht weit hinten auf der Bühne, mal links, mal rechts seines Schlagzeugers, auf hohen Podesten, vom Publikum ab-, der Band zugewandt, verloren in der Musik.

Wie ein Messermörder aus dem Horrorfilm

Die ist ein alles verschlingendes Monstrum, schreitet so langsam voran wie ein psychotischer Messermörder im Horrorfilm und überwältigt dann doch im Crescendo virtuos übereinander her fallender Instrumente.

Dass Tool in erdgeschichtlichen Zeiträumen operieren, erkennt man auch daran, dass sie sich zwischen ihren beiden letzten Alben 13 Jahre Zeit gelassen hatten. Folglich hat das Kölner Konzert extremen Seltenheitswert und die ausgehungerten Fans sind nur allzu bereit, sich dem strengen Regiment der Band zu unterwerfen. Vor allem gilt ein absolutes Fotoverbot, schon beim gezückten Handy werden die strategisch platzierten Ordner nervös, „Zuwiderhandlungen“, informieren Zettel, „führen zum Ausschluss von der Veranstaltung“. Und so geschieht es, dass die Arena in nachtschwarze Dunkelheit getaucht ist, während die Lichtshow auf der Bühne in scheinbar greifbarer Plastizität gewittert. 

Meditationsmusik für Biertrinker

Über allem dräut ein leuchtendes Heptagramm, ein siebenzackiger Stern, der auf alle möglichen christlichen, gnostischen oder esoterischen Inhalte verweisen mag, aber hauptsächlich verdammt cool aussieht. Tool sind keine Geheimnisträger, eher die Verklärung der freitagabendlichen Led-Zeppelin-Lasershow in den Planetarien der amerikanischen Provinz. Medizinische Illustrationen verwandeln sich in Horror-Fantasy-Bilder, verwandeln sich in Ernst Haeckels Zeichnungen von Strahlentierchen, oder in psychedelische Mandalas.

Spielen Tool nun eigentlich verkifften Stoner-Rock, eine massenkompatiblerer Version des Kunstrocks von King Crimson – oder schlicht Meditationsmusik für Biertrinker? Ist diese Musik hart oder weich? Abweisend oder einladend? Und wenn ihre sinfonisch ausladenden Stücke große Ernsthaftigkeit ausstrahlen, warum haben sie dann ein Stück namens „Die Eier von Satan“ im Repertoire, in dem ein befreundeter Musiker in Till-Lindemann-Deutsch ein Rezept für Haschkekse vorträgt?

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Es ist genau diese Schwebe  zwischen Bedeutungshuberei und Pennälerhumor, zwischen filigraner Kunstfertigkeit und brutaler Monotonie, die Tool auszeichnen.

Zur Freude ihres gehorsamen Publikums haben Tool auch einige ihrer Klassiker mit ins gut zweistündige Programm genommen: „The Grudge“, das sagenhaft dumpf betitelte „Hooker With a Penis“ und auch das ruppige „Sober“, vom ersten Album. Das leitet Justin Chancellor mit einer Bassversion der deutschen Nationalhymne ein, und es herrschte ja tatsächlich große Einigkeit im Publikum. Immer wieder brechen Männer in schwarzen T-Shirts in furiose Schlagzeug-Pantomimen aus. Die ersetzen bei Tool-Fans die klassische Luftgitarre, denn das Fundament des Band-Sounds bilden die Polyrhythmen ihres Drummers Danny Carey – der Mann mit der größten Tom-Tom-Sammlung im harten Rock.

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