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Kritik vor Netrebko-Konzert in Köln„Mitverantwortlich für den brutalen Krieg”

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Die Russin Anna Netrebko singt am 29. August in der Kölner Philharmonie.

Köln – Der Auftritt der russischen Opernsängerin Anna Netrebko mit ihrem Ehemann Yusif Eyvazov am 29. August in der Kölner Philharmonie sorgt für Kritik. „Der Auftritt von Netrebko ist ein schlechtes Zeichen nicht nur für die Tausenden Ukrainerinnen und Ukrainer, die in Köln aufgenommen wurden“, sagte die ukrainische Generalkonsulin Iryna Shum dem „Kölner Stadt-Anzeiger“. „Es ist auch ein Affront gegen Zehntausende Kölnerinnen und Kölner, die die Ukraine in den vergangenen Monaten unterstützt haben.“

Netrebko habe jahrelang „russische Staatspropaganda verbreitet und im Jahr 2014 den russischen Einmarsch in den Donbass und die Zerstörung ukrainischer Städte unterstützt“, so Shum. Damit sei sie „mitverantwortlich für den brutalen Krieg gegen die Ukraine“.

Anna Netrebko zeigt Fahne mit „Neu-Russlands“ im Donbass

Die Operndiva, die neben einem russischen auch einen österreichischen Pass besitzt und größtenteils in Wien lebt, hatte sich im Donbass vor acht Jahren mit der Fahne „Neu-Russlands“ fotografieren lassen – einem Symbol für die vermeintliche Zugehörigkeit der Ostukraine zu Russland.

Alles zum Thema Kölner Philharmonie

In Interviews hatte Netrebko zuletzt geäußert, sie sei gegen den Krieg in der Ukraine – und habe dem russischen Präsidenten Putin bei der Wahl 2018 nicht mehr ihre Stimme gegeben. „Gegen den Krieg sind wir alle – leider hat Frau Netrebko nie gesagt, wer in diesem Krieg der Aggressor ist. Sie hat bewusst vermieden, Täter und Opfer zu nennen. Ihre Distanzierung klingt dadurch mehr als halbherzig“, so Iryna Shum, die sich „von der Stadt Köln eine ähnliche Reaktion wie in Stuttgart gewünscht hätte“.

Kölns Kulturdezernent verteidigt Netrebko

Ein Gastspiel Netrebkos mit Eyvazov auf dem Stuttgarter Schlossplatz, geplant für den 2. September, war abgesagt worden. Das Schloss gehört dem Land Baden-Württemberg, Landesfinanzminister Danyal Bayaz hatte den Auftritt der Operndiva mit dem Argument abgelehnt, Netrebko habe sich nicht klar genug vom russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine distanziert.

Kölns Kulturdezernent Stefan Charles äußerte Verständnis für die Kritik an dem Auftritt Netrebkos in der Philharmonie, verteidigt ihn gegenüber dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ allerdings dennoch: „Die Äußerungen von Anna Netrebko im Hinblick auf den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine sind mittlerweile eindeutig in der Distanzierung vom Krieg“, so Charles. „Dennoch kann ich nachvollziehen, dass die jahrelange, völlig unkritische Nähe Netrebkos zum Kreml bei vielen Kölnerinnen und Kölnern Zweifel an ihrer veröffentlichten Haltung zum Krieg und zu Putin aufkommen lassen.“

Nähe zum russischen Regime kann kritisiert werden

Wie tausende Kölnerinnen und Kölner stehe die Stadt Köln an der Seite der Ukraine. Der Vermieter Köln-Musik und die Stadt hätten sich daher darauf verständigt, „die Erträge aus dem Konzert in der Philharmonie für Wiederaufbauprojekte in unserer Projektpartnerstadt Dnipro zu verwenden“, so Charles.

„Grundsätzlich sollte jeder Künstler, der nicht zum Staatsfeind erklärt wird, auftreten dürfen, wo er möchte“, sagt Louwrens Langevoort, Intendant der Kölner Philharmonie. „Natürlich kann man ihre Nähe zum russischen Regime kritisieren. Egal wie man zu Netrebko steht, sollten wir aber nicht den Fehler machen, russische Kultur zu canceln“, sagt Langevoort. Eingeladen hatte Netrebko nicht die Köln-Musik, sondern die Event-Agentur Handwerker Promotion. 

Auftrittsverbote auf der ganzen Welt

Nicht auftreten durfte Anna Netrebko dieses Jahr in Baden Baden bei den Osterfestspielen. Auch die Metropolitan Opera in New York nahm Netrebko nach dem Einmarsch der russischen Truppen in die Ukraine vom Spielplan. Bei den Thurn-und-Taxis-Schlossfestspielen in Regensburg durfte sie dagegen genauso auftreten wie in Paris und Monte Carlo. Auch ihr Konzert in der Elbphilharmonie in Hamburg am 7. September soll stattfinden.

Anna Netrebko stand dem Kreml stets nach. Im Jahr 2008 wurde sie zur „Volkskünstlerin der Russischen Föderation“ gekürt, 2012 rief sie die Menschen dazu auf, Wladimir Putin zu wählen. Als russische Soldaten im Jahr 2014 die Krim besetzten und in den Donbass einmarschierten, reiste sie ins Kriegsgebiet und ließ sich mit dem russischen Separatistenführer fotografieren – ein klares politisches Statement für die russische Invasion in den Donbass.

Kritiker als „Human shit“ bezeichnet

Kritiker aus dem Westen bezeichnete Netrebko auf Instagram als „Human shit“ – wer sie öffentlich dazu auffordere, sich von Putin zu distanzieren, der sei „genauso böse wie blinde Aggressoren“. Im vergangenen Jahr feierte sie ihren 50. Geburtstag im Kreml.

Erst, als ihr ihre Agentur und ihr Plattenlabel kündigten und etliche Auftritte abgesagt wurden, distanzierte Netrebko sich auch in Interviews vom Krieg in der Ukraine. Inzwischen sitzt die Diva zwischen den Stühlen: Im Westen steht man ihr kritisch bis ambivalent gegenüber, in Russland hat sie ihren Heldinnenstatus verloren.

Netrebko sagt, sie sei „keine politische Person“

Nicht wenigen gilt sie dort als Vaterlandsverräterin. In Nowosibirsk wurde sie mit der Begründung ausgeladen, man brauche „Idole mit einer klaren staatsbürgerlichen Haltung“. Netrebko stehe dafür nicht mehr.

Wenige Tage nach der russischen Invasion in der Ukraine hatte Netrebko auf Instagram geschrieben: „Ich bin eine Russin und liebe mein Land, aber ich habe viele Freunde in der Ukraine, und der Schmerz und das Leid brechen mir das Herz. Ich möchte, dass dieser Krieg aufhört und die Menschen in Frieden leben können.“ Ihr Ziel als Künstlerin sei es, „über politische Unterschiede hinweg zu vereinen“. Sie sei „keine politische Person“.

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Das Gegenteil sei der Fall, meint Tatiana Dettmer, Leiterin des Kölner Lew-Kopelew-Forums. „Anna Netrebko hat mit ihren öffentlichen Einlassungen in den vergangenen Jahren immer wieder gezeigt, dass sie mit westlichen Werten fremdelt und Putins Regime sehr nahesteht“, sagt die Historikerin. Im Kopelew-Forum findet in diesen Wochen eine Langzeitlesung aus dem Buch „Die Dämonen“ des russischen Dichters Fjodor Dostojewskij statt.

„Das haben wir nach der Invasion der russischen Armee bewusst ins Programm genommen, um zu zeigen, dass russische Kultur nicht gestrichen werden darf“, so Dettmer. „Eine Künstlerin wie Netrebko, die Putin nahesteht und seine Propaganda vertreten hat, im Westen auftreten zu lassen – das ist allerdings so, als hätte man Hitler-nahe Künstler während des Zweiten Weltkriegs in Großbritannien auftreten lassen.“    

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