Kronzeuge des HolocaustWarum die Lyrik von Paul Celan heute noch so wichtig ist

Lesezeit 5 Minuten
Anselm Kiefers Kunstwerk für Paul Celan – „Aschenblume“

Anselm Kiefers Kunstwerk für Paul Celan – „Aschenblume“

Paul Celan (eigentlich Paul Antschel), dessen Familie im Ghetto und KZ ermordet wurde, floh 1947 nach Frankreich . Aber wie viele, die das Exil oder die Todeslager überlebt hatten, blieb auch Celan gezeichnet. Am literarischen Leben in der Bundesrepublik hat er zwar teilgenommen. Aber erst nach 1952 war es möglich, dass ein Gedicht wie Celans „Todesfuge“ Resonanz fand.

Im Mai desselben Jahres nahm Celan auf Einladung von Hans Werner Richter an der Frühjahrstagung der Gruppe 47 in Niendorf an der Ostsee teil. Die versammelten prominenten Autoren konnten indes mit der Sprache seiner Lyrik nichts anfangen. Den meisten war sein Rezitationsstil zu pathetisch. Die Stimme des jüdischen Dichters, der den Holocaust überlebt hatte, erinnerte einige Kritiker sogar an die von Goebbels. Hans Werner Richter urteilte über Celan, „er habe in einem Singsang vorgelesen wie in der Synagoge“.

Dabei war es ausgerechnet Richter als der Spiritus Rektor der Gruppe, der sich für die Lesung des staatenlosen Dichters aus der Bukowina eingesetzt hatte. Es war von empörender Peinlichkeit, was sich die Dichter und Denker da gegenüber ihrem Gast leisteten. Celan war tief verletzt Der 31-Jährige schrieb wenige Tage später an einen Freund: „Ich war dort oben beleidigt worden … Und so etwas muss ich erleben! Nach der Lesung der Todesfuge.“

Dennoch: Das Desaster in Niendorf war nicht das Ende. Es war auch nicht der Ausdruck eines neuen Antisemitismus in Deutschland, eher der Mangel an Kenntnis und Sensibilität. Wahrscheinlich hatten die meisten Zuhörer weder Ahnung noch Gespür für das, was man später als Holocaust und Shoa bezeichnete. Der Golem Tod, der Meister aus Deutschland, wie Celan ihn nannte, der Tod, der seine Finger tanzen lässt, mechanisch und wohl kalkuliert – für Celan war ein naiver und unmittelbarer Gebrauch der „Mördersprache“ nicht mehr möglich. So wurden seine Gedichte oft als „kryptisch“ oder „hermetisch“ bezeichnet. Gleichwohl erkannte man später Celan, der seit 1955 die französische Staatsbürgerschaft besaß und fünf Jahre später mit dem Georg-Büchner-Preis ausgezeichnet wurde, als einen der bedeutendsten Dichter der deutschen Sprache.

Das könnte Sie auch interessieren:

In seiner Dankesrede in Darmstadt bezog sich Celan ausdrücklich auf Büchners Reflexion über Substanz und Funktion der Kunst. Es war seine bis dato wichtigste theoretische Äußerung. Nirgendwo sonst hat er sich genauer, offener und ausführlicher zu seiner ästhetischen Selbstinterpretation bekannt. Dass seine heute vielgerühmte „Todesfuge“ über den Massenmord an den Juden („Wir schaufeln ein Grab in den Lüften da liegt man nicht eng“) bereits in den 50er Jahren zum Unterrichtskanon an den deutschen Schulen gehörte, hat ihn für viele zu einer Ikone poetischer Kronzeugenschaft der Shoa gemacht. Die wenigsten aber wussten, dass die „Todesfuge“ von der Trauer um seine Eltern zeugt – und bereits 1947 in rumänischer Übersetzung erschienen war.

Verstanden hat diesen Hintergrund in Deutschland zuerst die Lyrikerin Marie Luise Kaschnitz, die mit Celan seit 1948 befreundet war und ihn gefördert hat. Mit tonloser Stimme hatte der 28-Jährige sein Gedicht vorgelesen. Später schreibt sie, ohne seinen Namen zu nennen, von dem „jungen Dichter aus dem Osten“, den sie in Paris aufsuchte, dessen Schicksal sie nicht vergessen konnte.

Ihrer Tochter berichtet Marie Luise Kaschnitz vom Besuch Celans: „Wenn man Celan nur ansieht, bleibt einem der Bissen im Halse stecken, und man geniert sich, dass man lebt.“ Der Schluss des Gedichts – „Der Tod ist ein Meister aus Deutschland“ – war auch das Bekenntnis vom endgültigen Zerbrechen einer deutsch-jüdischen Symbiose. Daran änderten auch nichts die geheimnisvoll beschwiegenen Treffen Celans mit Martin Heidegger im Sommer 1967 in Todtnauberg und in Freiburg. Celan hatte Heideggers philosophisches Werk intensiv studiert. Er wusste auch von dessen Sympathien für den Nationalsozialismus und ahnte vermutlich seine antisemitische Einstellung. In dem Gedicht „Largo“ spricht er von dem „heidegängerisch Nahen“. Schon 1957 wollte er Heidegger sein Gedicht „Schlieren“ schicken, das dann später in dem Lyrikband „Sprachgitter“ erschien. Es handelt von einem Auge, dessen Verwundung die Welt erschließt und die Erinnerung festhält, die Erinnerung an eine Wunde, die einer Verbindung im Weg steht. Gemeint war damit offenbar Heideggers Schweigen zu Auschwitz.

Andererseits hatte sich Heidegger schon relativ früh in den 50er Jahren mit Celans Dichtung vertraut gemacht: „Ich kenne alles von ihm, weiß auch von der schweren Krise, aus der er sich selbst herausgeholt hat, soweit dies ein Mensch vermag. Es wäre heilsam, Paul Celan auch den Schwarzwald zu zeigen.“

Zur Person

Paul Celan wurde am 23. November 1920 in Czernowitz in der Bukowina im damaligen Nordrumänien geboren. Er hieß ursprünglich Paul Antschel, später rumänisiert Ancel, woraus das Anagramm Celan entstand. Seine Eltern starben im Zwangsarbeiterlager Michailowka. Er selbst überlebte die nationalsozialistische Judenverfolgung als Zwangsarbeiter im Straßenbau; nach der Einnahme von Czernowitz durch die Rote Armee im August 1944 kehrte Celan in seine Heimatstadt zurück und nahm sein Studium der Romanistik wieder auf. 1945 übersiedelte Celan nach Bukarest und studierte dort weiter. Später arbeitete er dort als Übersetzer und Lektor. 1947 floh er über Ungarn nach Wien und siedelte 1948 nach Paris über. Noch im selben Jahr erschien sein erster Gedichtband, „Der Sand aus den Urnen“, dessen gesamte Auflage er wegen zahlreicher Satzfehler einstampfen ließ. 1952 erschien bei der Deutschen Verlagsanstalt in Stuttgart sein Lyrikband „Mohn und Gedächtnis“, der das Gedicht „Todesfuge“ enthält. (ksta)

Man stand im Briefwechsel. Nach ihrem letzten Treffen sagte Heidegger: „Celan ist krank – heillos.“ Dem Philosoph war durchaus bekannt, dass sich der Dichter wiederholt in psychiatrischer Behandlung befand.

Wie konnte einer wie er mit dieser trostlosen Vorgeschichte zu einem der bedeutendsten Lyriker werden? Seine eigene Stimme hatte er über Trakl und Rilke gefunden. Einen Einblick in seine poetologische Arbeit, seine künstlerische Entwicklung, auch in seine Einsamkeit bringt aber nicht nur die innere Verfasstheit Celans zum Ausdruck. Seine Prosa ist nicht weniger subtil als seine Dichtung. Celan war ein Meister des Abgründigen. Er brachte es immer wieder fertig, mit seiner Sprachkunst auszudrücken, was nicht gesagt, sondern nur angedeutet werden kann. In den letzten Lebensjahren hatte er sich von seiner Familie getrennt. Sein Leichnam wurde am 1. Mai 1970 an einem Wehr der Seine gefunden. Vermutlich hat sich Celan in der Nacht zum 20. April das Leben genommen. 

KStA abonnieren