Kunst und KaufrauschArt Basel bricht Rekorderlöse mit Kölner Maler

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Keine Pause von der Kunst, sondern selbst ein Kunstwerk: „ovoid solitude“ von Sislej Xhafa

Keine Pause von der Kunst, sondern selbst ein Kunstwerk: „ovoid solitude“ von Sislej Xhafa

Die fünfzigste Ausgabe der Megashow Art Basel könnte ein Grund zum Nachdenken sein. Stattdessen tut das Flaggschiff am Rheinknie alles, um jung zu bleiben. 19 Neuzugänge sorgen unter den rund 290 teilnehmenden Galerien für Frischblut, darunter auch die Berliner Galerien Société und Wentrup. Ermöglicht wird der Nachschub im begehrten Hauptsektor nicht zuletzt durch eine Reduktion des Quadratmeterpreises um 20 Prozent für das erste Jahr. Im zweiten Jahr sind es nur noch zehn Prozent.

Immerhin eine Gnadenfrist, denn dann drohen die berüchtigt astronomischen Standkosten, die den großen Konzerngalerien natürlich kaum sauer aufstoßen können, wenn etwa ein David Zwirner gleich am ersten der zwei Preview-Tage einen Gerhard Richter von 1966 für 20 Millionen Dollar verkaufte, flankiert von einem frühen Sigmar Polke für zehn Millionen Dollar und einem Neo Rauch für schlappe 1,2 Millionen Dollar, den sich ein indonesischer Sammler gönnte. Die Galerie Thaddaeus Ropac konnte auf Augenhöhe auch nicht klagen. Hier sorgte der Verkauf von drei Gemälden eines Georg Baselitz bereits für Einnahmen von 4,25 Millionen Euro, gefolgt von drei Robert Rauschenbergs, die rund 3,7 Millionen Dollar in die Kasse strömen ließen. Iwan Wirth, dritter im Bunde unter den Markt-Alphatieren, jubelte sogar: „2019 brachte uns den erfolgreichsten ersten Tag ein, den wir jemals hatten.“

Selbst erfreulich viele Künstlerinnen konnten von dem Kaufrausch profitieren, darunter Pipilotti Rist, Jenny Holzer, Louise Bourgeois oder Alina Szapocznikow, von der sich ein Selbstporträt aus Bronze von 1966 für 1,5 Millionen Euro verkaufte, der höchste Preis unter allen genannten Frauen, woran sich ablesen lässt, dass die männlichen Kollegen immer noch Lichtjahre vorausgeeilt sind. Ob das auch für die Abnehmer der Ware gilt?

Bevor man sich den Kopf zerbrach, ob eine Jil Sander, die gar nicht unterkühlt, wie man sie sonst von Fotografien kennt, durch die Gänge schlich, über eine dicker gefüllte Portokasse verfügt als VW-Manager Matthias Müller, der trotz der auf jugendlich maskierenden Garderobe die Blicke auf sich zog, vielleicht, weil man sich wegen der Auflösung des Rätsels bestätigt fühlte, wo denn die schwer verdienten Abgas-Millionen geblieben seien, empfahl sich der Gang in die Nachbarhalle 1.1.

Kontrastreicher könnte der Empfang nicht sein. Hat der alte Mann am Eingang etwa ein Päuschen eingelegt? Oder sitzt er mitten in einem Kunstwerk, auch wenn die überdimensionale Fassade einem Garagentor ähnelt? Worauf wartet er eigentlich? Dass Godot vorbeikommt? Ausgedacht hat sich dieses lebende Bild mit dem Titel „ovoid solitude“ der Kosovo-Albaner Sislej Xhafa. Sein Protagonist ist der kubanische Eierverkäufer Raúl Portillo Samá. Langweilig wird es dem geduldig ausharrenden, aus einem gänzlich anderen Kosmos rausgerissenen Herrn, der tatsächlich hinter seinem Stuhl Pappkartons mit Eiern zum Verkauf bereithält, jedenfalls nicht. Kaum eine Minute vergeht, ohne dass sich einer der Besucher der „Art Unlimited“ nähert, um ein Schwätzchen zu halten. Vielleicht über den Abgrund zwischen den Eier-Preisen und den vielen Nullen eines Richter-Gemäldes? Traditionell ist der Sektor für Kunst im XXL-Format ein Publikumsrenner. Was mitunter schräge Blüten treibt, wenn die Erschöpfung manch einen Kunst-Aficionado dazu verführt, ein Verkaufsobjekt zur Ruhezone umzufunktionieren, wie diesmal etwa die Sitzskulptur „Test“ von Franz West, die gleich am ersten Tag für 3,8 Millionen Dollar verkauft wurde. Die Illusion von Ruhe versprach auch der fünf Meter hohe Sonnenkreis von Ugo Rondinone und wenige Schritte weiter ein Triumphbogen aus frisch duftendem Eukalyptus, den Kapwani Kiwanga aus Ruanda geflochten hatte.

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Wären da nicht die vielen kosmisches Unheil verheißenden Video-Projektionen, die beim Flanieren das Natur-Thema als ein nicht zufällig gesetztes Motto enthüllten, denn der Klimawandel beschäftigte bei diesem Jahrgang selbst die Messeleitung. Stolz verwies man darauf, dass die Standarchitektur aus wiederverwertbarem Material hergestellt und Plastikgeschirr verbannt worden sei. Schade nur, dass diese kosmetischen Eingriffe die Vielfliegerei der aus allen Himmelsrichtungen pilgernden Sammler und Museumsdirektoren trotzdem nicht ungeschehen machen.

Weshalb man auch verstehen konnte, dass manch einer resigniert über so viel verpuffenden Aktionismus die VR-Brille anzog und in die von Paul McCarthy erschaffene virtuelle Gegenwelt flüchtete. Dass diese dann enttäuschende Ähnlichkeiten mit den Western-Klassikern eines John Ford aufwies, wo die toxische Männlichkeit eines John Wayne noch als heroische Authentizität gefeiert wurde, war ein Grund mehr, um bei Andrea Bowers Textarbeit „Open Secret“ vorbeizuschauen. Die Amerikanerin hatte auf roten Bahnen all die Anklagen wegen sexueller Nötigung recherchiert, die im Zuge der #MeToo-Debatte ans Licht gekommen sind – und siehe da, die Länge der Wandinstallation war gewaltig.

Da half nur ein Abstecher zur Waschanlage von Daniel Knorr. Autos wurden hier zwar nicht gewaschen, sondern aus Leinwänden gezimmert und in Regenbogenfarben besprüht. Fertig die Kritik an einem Kunstmarkt, der seine Ware auf dem Fließband produziert und mit möglichst hohem Profit absetzt, auch wenn die so erzeugten Trophäen eigentlich zu nichts zu gebrauchen sind, wie die papierenen Vehikel, die nur mit Muskelkraft angeschoben werden konnten, oder am anderen Ende der Statussymbol-Stange die VW-Diesel, die nach den inzwischen weltweiten Myriaden von Klagen nun zu Geldvernichtungsanlagen geworden sind.

Art Basel, Messehallen, 13 – 16 Juni.

www.artbasel.com

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