Kunstsammlerin Julia Stoschek„Gerade jetzt ist es wichtig, die Stimme zu erheben“

Lesezeit 6 Minuten
Frau mit Siebenmeilenstiefeln: Julia Stoschek

Frau mit Siebenmeilenstiefeln: Julia Stoschek

Frau Stoschek, Sie feiern demnächst das zehnjährige Bestehen ihrer Stoschek Collection in Düsseldorf. Hat sich alles so entwickelt, wie Sie es sich vorgestellt haben?

Ich hatte am Anfang nur eine ungefähre Vorstellung von dem, was mich erwartet – was sich für ein derartig ehrgeiziges Projekt dann sogar als sehr hilfreich erwies. Ich erinnere mich noch gut an diesen unglaublichen Kunstsommer vor zehn Jahren mit der Biennale in Venedig, der Documenta in Kassel und den Skulptur Projekten Münster. Als ich mein Haus für Medienkunst eröffnete, war mir gar nicht bewusst, was das für ein historisches Datum war und ist – die Skulptur Projekte beispielsweise finden ja nur alle zehn Jahre statt. Dieses Szenario wiederholt sich auch in diesem Jahr.

Was wollten Sie mit ihrer Stoschek Collection anders machen?

Ich wollte ein Haus für die Kunst und für die Künstler schaffen, auch deshalb wird die Jubiläumsausstellung von einem Künstler, dem Briten Ed Atkins, kuratiert. Ich verstehe die Sammlung als Zeitkapsel, als ein Archiv von Zeitlichkeit: Zehn Jahre sind kein langer Zeitraum, aber in der Video- und Medienkunst hat sich in dieser Zeit technologisch wie auch inhaltlich Grundlegendes geändert. Ich glaube, es gibt derzeit keine vergleichbare Kunstform, die so lebensnah und aktuell und zum Glück auch so politisch ist.

Die Maler werden das vermutlich nicht gerne hören.

Ich habe überhaupt nichts gegen Malerei – ganz im Gegenteil. Aber wir sehen und fühlen heute anders, wir leben im digitalen Zeitalter. Es geht in der Kunst nicht mehr darum, Bilder oder Abbilder zu erzeugen, sondern einen Ort der Reflexion zu schaffen. Ich finde die Entpolitisierung von Kunst aktuell ganz schlimm. Gerade jetzt ist es wichtig, die Stimme zu erheben. Das war immer die Aufgabe von Kunst: wie Seismographen gesellschaftliche Entwicklungen zu registrieren und darauf zu reagieren.

Wie reagiert die Kunstwelt auf den Herrschaftswandel, den wir gerade in der Welt erleben?

Gerade die jungen Künstler entwickeln eine neue Formensprache und arbeiten wieder vermehrt im Kollektiv. Sie haben den Sharing-Gedanken verinnerlicht und teilen ihre Ideen und Visionen miteinander. Die digitalen Kommunikationstechnologien erleichtern diesen Austausch und führen die demokratische Grundidee der Videokunst fort. Deren frühe Vertreter wollten ihre Kunst der breiten Öffentlichkeit zugänglich machen, die Limitierung der Videokunst durch den Markt kam später. Soziale Teilhabe ist etwas, das Videokünstler wieder interessiert. Eine tolle Entwicklung in diesem doch sehr technischen Medium.

Und wie sehen Sie in diesem Geflecht ihre Rolle als Sammlerin?

Ich verstehe mich als Ermöglicherin oder philanthropische Produzentin, denn wir unterstützen Künstler oftmals bei den Produktionskosten. Aber meine Hauptaufgabe sehe ich darin, Medienkunst zu sammeln, zu archivieren und zu dokumentieren, also wissenschaftlich mit dieser jungen Kunstform zu arbeiten. Da sind wir auch Dienstleister für die Künstler.

Jetzt unterspielen Sie aber ihre Bedeutung. Es wird doch weltweit zur Kenntnis genommen, wen Sie sammeln, sie sitzen mit am Tisch der internationalen Kunstwelt. Wie hat Sie das verändert?

Wir haben hier in der Stoschek Collection von Anfang an darauf gesetzt, mit professioneller Arbeit zu überzeugen und auf Museumsniveau zu agieren. Aber Sie haben recht: Es steht außer Frage, dass Künstler gerne in die Sammlung aufgenommen werden und auch hier ausstellen. Das ist ja das Faszinierende: Alle Künstler leben noch und installieren ihre Arbeiten selbst vor Ort. Von diesem Austausch lebt das Haus.

Sie habe eine Filiale in Berlin eröffnet. Was können Sie dort machen, was im Rheinland nicht möglich ist?

Es war mir wichtig, auch mit einem Ausstellungshaus in die Nähe der Künstler zu ziehen. Die meisten in Europa lebenden Künstler der Sammlung leben nun einmal in Berlin. Da gibt es noch Lehrstand, mehr Raum für Ateliers, und alles ist immer noch deutlich günstiger als im Rheinland – das ist elementar. Aber ich glaube, die Stadt Düsseldorf hat das Problem erkannt und versucht zumindest gegenzusteuern, damit die Studenten, die hier an der wundervollen Kunstakademie studieren, nicht anschließend nach Berlin abwandern, um dort zu produzieren.

Ist ihre Expertise eigentlich bei der Landespolitik in NRW und in Düsseldorf gefragt?

Na ja. Ich würde mir etwas mehr Interesse von der Politik wünschen. Ich fände es beispielsweise großartig, wenn es eine engere Zusammenarbeit mit den Kunsthochschulen gäbe. Die Medienkunst ist mittlerweile so etabliert und auch an der Kunstakademie so fest verankert, dass sich das Rheinland zu einem Kompetenzzentrum entwickeln ließe. Da gibt es noch viel Potenzial. Man muss es nur erkennen und bewusst mit diesen Möglichkeiten arbeiten.

Wie sehen Sie die rheinische Kunstmesse Art Cologne?

Die Art Cologne hat sich fantastisch entwickelt, insbesondere in den letzten fünf Jahren. Allerdings verstehe ich nicht, warum sie dieses Jahr zeitgleich zum Gallery Weekend Berlin stattfindet. Die beiden wichtigsten deutschen Kunstmarkt-Ereignisse auf dieselbe Woche zu legen, das muss man erst einmal einem Außenstehenden erklären. Aber ich werde definitiv auch nach Köln kommen. Überhaupt hat sich die gesamte Kunstszene des Rheinlands großartig entwickelt. Schauen Sie sich die Kunstakademie an oder die Galerien, die in den letzten Jahren wieder nach Düsseldorf gezogen sind. Berlin ist nicht der Nabel der Welt. Berlin und das Rheinland können viel voneinander lernen und sollten ihre Kräfte bündeln.

Woher kommt dieser Aufschwung im Rheinland?

Die wichtigsten deutschen Künstler leben im Rheinland, da können wir die Bestenliste durchgehen. Aber das ist nun mal eher die etablierte Generation. Der Generationswechsel an der Kunstakademie Düsseldorf war nötig und hat viel bewirkt. Es bleiben wieder mehr junge Künstler hier, was wiederum junge Galerien anzieht. Aber das muss sich organisch entwickeln.

Inwiefern profitiert eine Stadt, eine Region denn von der Kunstszene?

Kreative Subkulturen befeuern jedes Stadtleben, das ist immens wichtig, damit sich in einer Stadt etwas tut. Das kann man gar nicht hoch genug einschätzen.

Zur Person, zur Entwicklung der Sammlung und zum Jubiläum

Julia Stoschek, geb. 1975 in Coburg, ist Gesellschafterin der Firma Brose, eines der weltweit führenden Unternehmen der Automobilzulieferer-Branche. Im Jahr 2007 eröffnete die Urenkelin des Firmengründers Max Brose in Düsseldorf die Julia Stoschek Collection, ein privates Museum für Video- und Medienkunst.

Mit über 600 Werken gehört die Stoschek Collection zu den weltweit wichtigsten Sammlungen von Videokunst. In wechselnden Ausstellungen und bei freiem Eintritt präsentiert Stoschek jeweils Teile ihrer Sammlung, das zehnjährige Bestehen ihres Museums feiert sie ab 10. Juni mit der von Ed Atkins kuratierten Ausstellung „Generation Loss“. Der Titel spielt auf die technischen Schwierigkeiten bei der Konservierung von Videokunst an, die Ausstellungsarchitektur ist eine Hightech-Premiere: Transparente, aber schallschluckende Wände sollen ein ganz neues Videokunsterlebnis möglich machen.

Die Berliner Filiale der Stoschek Collection existiert seit 2016 und ist ein großer Erfolg: „Ich glaube mittlerweile“, so Julia Stoschek, „dass jeder, der nach Berlin reist und sich für Kunst interessiert, auch zu uns kommt.“ Trotzdem will sie Düsseldorf weiterhin treu bleiben: „Ich habe ein großes Herz, das für beide Städte schlagen kann. Es gibt nicht viele Privatsammlungen mit zwei Häusern in zwei Städten. Die Berliner freuen sich, im Rheinland gezeigt zu werden, und die Rheinländer freuen sich auf die Reise nach Berlin.“ (KoM)

„Generation Loss – 10 Jahre Julia Stoschek Collection“, Julia Stoschek Collection, Schanzenstr. 54, Düsseldorf, Sa.–So. 11–18 Uhr.

Eröffnung: 10. Juni, 11–17 Uhr.

KStA abonnieren