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Laut BerichtStrukturen beim WDR lassen Raum für Machtmissbrauch und Diskriminierung

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Köln – Mit deutlichen Worten hat Monika Wulf-Mathies, die im Auftrag des WDR unabhängig überprüft hat, wie der Sender mit Hinweisen auf sexuelle Belästigung umgegangen ist, das Betriebsklima und die Strukturen im WDR kritisiert.

Sie beklagte ein Fehlen klarer Regeln und gegenseitiger Wertschätzung beim WDR, als sie am Mittwoch in Bonn ihren Bericht, der unter der Überschrift „Mehr als #MeToo - die Verantwortung des WDR als Arbeitgeber“ steht, vorstellte. Der Sender brauche einen Kulturwandel. „Es hat sich sehr schnell gezeigt, dass das Thema sexuelle Belästigung nur die Spitze des Eisbergs ist, hinter dem sich Machmissbrauch, vielfältige Diskriminierungserfahrungen und eine Unzufriedenheit mit dem Betriebsklima verbergen“, sagte Wulf-Mathies.

Um nachhaltige Verbesserungen zu erzielen, sind nach Wulf-Mathies' Ansicht gegenseitige Wertschätzung, angepasste personelle Strukturen und klare Regeln, welches Verhalten verboten ist, nötig.

Besonders Studentinnen, freie Mitarbeiterinnen und Praktikantinnen betroffen

„Sexuelle Belästigung ist eine sehr hässliche Form von Machtmissbrauch“, so Wulf-Mathies. Beim WDR bestehe ein strukturelles Machtgefälle zwischen in der Regel männlichen Chefs und weiblichen Untergebenen, das Raum für Grenzüberschreitungen lasse. Solche strukturellen Bedingungen seien ein Nährboden für Machtmissbrauch und Diskriminierung.

Gerade Studentinnen, Freie Mitarbeiterinnen und Praktikantinnen seien durch die Strukturen bedroht, da sie sich in einem besonders starken Abhängigkeitsverhältnis befänden. Hinzu komme, dass Macht im WDR nicht nur in den Führungsetagen vorhanden sei, sondern überall dort eine Rolle spiele, wo Aufträge etwa an Freie Autoren vergeben werden.

Die hierarchischen und dezentralen Personal-Strukturen schränkten Durchlässigkeit und Transparenz zusätzlich ein. Bei Führungskräften werde häufig in erster Linie auf die journalistische Kompetenz geblickt, soziale Fähigkeiten und Managementqualitäten spielten hingegen keine Rolle. Es gebe auch keine verbindlichen Kriterien für die Besetzung von Führungspostionen.

Fälle sexueller Belästigung reichen bis in die 90er zurück

Eine Dienstvereinbarung, die auf Bestreben des WDR-Intendanten Tom Buhrow 2015 getroffen worden war, sei nicht ausreichend gewesen. Auch der Interventionsausschuss sei aus Angst vor negativen Konsequenzen nur selten angerufen worden. „Betroffene haben sich in der Vergangenheit nicht direkt an den WDR gewandt“, so die 76-Jährige.

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Die Sozialdemokratin Wulf-Mathies fordert eine dauerhafte externe Anlaufstelle für Betroffene, eine neue, umfassende Dienstvereinbarung und die Einrichtung einer Clearingstelle, die Beschwerden prüfen und Kommunikationsmängel beseitigen soll, sowie ein eindeutig definierteres Verfahren mit klaren Berichtswegen und Zuständigkeiten.

Ihr Bericht basiert auf rund 35 ein- bis zweistündigen Gesprächen mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Hauses, aber auch mit externen Fachleuten, sowie dem Studium von Unterlagen von bekannt gewordenen Fällen sexueller Belästigung im WDR, die schon lange, häufig bis in die 90er Jahre, zurückreichen.

„Generell lässt sich sagen, dass bei diesen Fällen ein größerer Ermittlungseifer notwendig gewesen wäre“, sagte die Prüferin. Sie bemängelte, dass Vorgesetzte damals keine Maßnahmen zum Schutz von Frauen ergriffen hätten, es habe keine festen Regeln und kein Betriebsklima gegeben, dass Frauen das Vertrauen gegeben hätte, sich an ihre Vorgesetzten zu wenden.

Beschuldige Mitarbeiter entlassen

Zu den konkreten aktuellen Fällen, die im Rahmen der MeToo-Berichterstattung rund um den WDR eine Rolle gespielt haben, äußerte sich Wulf-Mathies nicht. In diesem Zusammenhang war etwa die Frage aufgekommen, ob bei einem 2010 bekannt gewordenen Fall die damals zuständigen Führungskräfte Jörg Schönenborn und Tina Hassel angemessen reagiert haben. Auf diese Fragen ging Wulf-Mathies jedoch nicht ein.

Der WDR hatte im Rahmen des Skandals zwei Mitarbeiter entlassen, unter ihnen Fernsehspielchef Gebhard Henke. Mit ihm einigte der Sender sich außergerichtlich. Der andere Entlassene geht gegen die Kündigung vor. In einem dritten Fall durfte der Beschuldigte inzwischen wieder an seinen Arbeitsplatz zurückkehren.

WDR-Intendant Tom Buhrow dankte Wulf-Mathies für ihre Arbeit und sagte: „Ich sehe viele Dinge ähnlich wie sie, die #MeToo-Fälle haben bei uns im WDR zu einer neuen Sensibilität geführt, nicht nur im Umgang mit sexueller Belästigung und Machtmissbrauch." Er habe beim Lesen des Berichts einige Male schlucken müssen. Eines sei ihm aber klar gewesen: „Es geht um wesentlich mehr. Es hat sich einiges aufgestaut. Dem müssen wir ins Auge sehen, und wir müssen uns das ungeschminkt sagen lassen.“

Buhrow sieht den WDR aber auf dem richtigen Weg. So soll es eine neue Dienstvereinbarung geben und auch den Vorschlag von Monika Wulf-Mathies, eine Clearingstelle einzurichten, bezeichnete er als sinnvoll. „Wir sind dabei, Strukturen aufzubrechen. Ich werde all das, was Sie gesagt haben, sehr ernst nehmen“, betonte er.

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